Fortsetzung von Teil 2.
Teilabnahme
Nach § 650s BGB kann der Architekt/Ingenieur ab der Abnahme der letzten Leistung des bauausführenden Unternehmers oder der bauausführenden Unternehmer eine Teilabnahme der von ihm bis dahin erbrachten Leistungen verlangen.
Der Gesetzegeber will mit dieser Regelung eine ungleiche Belastung von Architekten und Ingenieuren im Rahmen ihrer gesamtschuldnerischen Haftung für Baumängel zusammen mit dem Bauunternehmer reduzieren, indem ein Gleichlauf der Verjährungsfrist der Mängelhaftung mit der des bauausführenden Unternehmers hergestellt werden soll.
Worum geht es? Leser dieses Forums kennen die Problematik aus einem früheren Beitrag (Planung, Überwachung und Baubetreuung: Zur Unwirksamkeit von Verjährungsklauseln und zur Teilabnahme bei Architekten- und Ingenieurverträgen): Übernimmt der Ingenieur oder Architekt Objektbetreuungsleistungen gemäß Leistungsphase 9 der HOAI, so ziehen sich seine Leistungspflichten weit, d.h. grundsätzlich bis zum Ablauf der Gewährleistungsfristen gegenüber den Bauunternehmen, fort. Entsprechend spät beginnt grundsätzlich auch die Verjährung von Gewährleistungsansprüchen gegen ihn wegen etwaiger Mängel an seinem Planungs- bzw. Überwachungswerk. Ihm stellt sich daher typischerweise die Frage,
- ob die Vereinbarung eines vorgelagerten Verjährungsbeginns (etwa mit Abnahme der Bauunternehmerleistungen/Ingebrauchnahme) möglich ist und/oder
- ob nicht schon zuvor (nach Beendigung der vorhergehenden Leistungsphase 8) eine Teilabnahme für die Planungs- und Überwachungsleistungen (ohne Betreuungsleistungen) und damit insoweit ein Verjährungsbeginn möglich ist.
Der BGH hatte die erste Frage für den Fall des Vorliegens von Allgemeinen Geschäftsbedingungen verneint und die zweite Frage bejaht, aber sowohl an das tatsächliche Vorliegen als auch an die Vereinbarung einer Teilabnahme hohe Anforderungen gestellt (ausführlich hier).
Der Gesetzegeber begründet die zu beseitigende ungleiche Belastung wie folgt:
Nach dem Ende der Verjährungsfrist für den bauausführenden Unternehmer haften Architekt und Ingenieur weiterhin für in dieser Phase noch vom Bauherrn geltend gemachte Baumängel, auch wenn diese ggf. überwiegend vom Bauunternehmer zu verantworten sind. Ein Rückgriff des in Anspruch Genommenen auf den Bauunternehmer ist wegen der für diesen Unternehmer dann bereits abgelaufenen Mängelgewährleistungsfrist jedoch nicht mehr möglich. (Aus der Gesetzesbegründung)
Durch die Einführung des Rechts auf Teilabnahme soll erreicht werden, dass
- die Verjährungsfristen von bauausführendem Unternehmer und Architekten/ Ingenieur für ihre bis zur Bauabnahme erbrachten Leistungen „nahezu“ parallel laufen und
- der Architekt/Ingenieur nach einer Inanspruchnahme noch die Möglichkeit hat, auf den bauausführenden Unternehmer zurückzugreifen.
Die Norm soll keine Anwendung finden wenn der Architekt oder Ingenieur nicht mit über die Planungs- und Bauüberwachungsphase hinausgehenden Tätigkeiten beauftragt ist. Insoweit bleibt es bei der gesetzlichen Regelung, wonach vorbehaltlich abweichender Vereinbarung nur eine Gesamtabnhame des geschuldeten Werkes vorgesehen und ein Anspruch auf Teilabnahme nicht gegeben ist.
Erfolgt eine Teilabnahme der vom Architekten/Ingenieur bis zur Abnahme der letzten Leistung des bauausführenden Unternehmers ebrachten Leistungen, so greifen für diesen Teil der Leistungen die allgemeinen Abnahmefolgen ein (zu den Folgen einer Abnahme siehe schon hier), also
- Beginn der Verjährungsfrist,
- Fälligkeit des Werklohns,
- Übergang der Leistungsgefahr,
- Übergang der Beweislast für das Vorliegen von Mängeln auf den Auftraggeber, soweit dieser bei der Abnahme kein Vorbehalt erklärt hat.
Anmerkung: Teilabnahme bedeutet also nicht, dass nur ein Teil der Abnahmefolgen eintritt, etwa der Verjährungsbeginn. Das „teilweise“ an der Teilabnahme bezieht sich vielmehr auf den Gegenstand der Abnahme, d.h. auf die bis zur Abnahme abnahmefähig erbrachten (Teil-) Leistungen. Für diese teilweise erbachten Leistungen gelten die Abnahmefolgen im Fall der Teilabnahme vollständig. Gerade „wegen der schwerwiegenden Folgen der Abnahme“ hatte der BGH bislang eine vertragliche Vereinbarung der Parteien verlangt, „in der der Wille des Bauherrn zur Vorwegabnahme […] klar zum Ausdruck“ kommt. Einer solchen Vereinbarung bedarf es nun nicht mehr, der Anspruch auf Teilabnahme folgt nun aus Gesetz. Nach der nun geltenden Rechtslage ist nicht mehr der Auftragnehmer, sondern der Auftraggeber in der Verantwortung, eine etwa gewünschte abweichende Vertragsregelung hinreichend deutlich zu vereinbaren. Eine solche kann sich etwa aus Sicht des Auftraggbers anbieten, um eine „Zerstückelung“ der Abnahmefolgen in einem einheitlichen Projekt zu vermeiden. Außerdem bietet die Neuregelung dem Bauherrn Anlass, die zur Teilabnahme angemeldeten Leistungen und deren Abnahmefähigkeit sowie die Formulierung eines etwaigen Abnahmeprotokolls besonders sorgfältig zu würdigen.
Hat der Architekt oder Ingenieur von seinem Recht auf Teilabnahme Gebrauch gemacht, schließt sich nach Erfüllung aller geschuldeten Leistungen nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Schlussabnahme an.
Leistungsverweigerung bei Gesamtschuld von Bauüberwachung und Bauausführung
Nach § 650t BGB kann der Architekt/Ingenieur die Leistung verweigern, wenn
- der Auftraggeber ihn wegen eines Überwachungsfehlers in Anspruch nimmt, der zu einem Mangel an dem Bauwerk oder an der Außenanlage geführt hat, und
- auch der ausführende Bauunternehmer für den Mangel haftet und
- der Auftraggeber dem bauausführenden Unternehmer noch nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat.
Der Gesetzgeber will mit dieser Norm einen „Vorrang der Nacherfüllung“ im Verhältnis zwischen Architekt/Ingenieur, ausführendem Bauunternehmer und Besteller einführen, um eine vom Gesetzgeber angenommene „überproportionale Belastung“ der Architekten und Ingenieure im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung mit dem bauausführenden Unternehmer zu reduzieren.
Auch wenn die Verjährungsfrist für Baumängel gegenüber dem bauausführenden Unternehmer noch nicht abgelaufen ist, nehmen Bauherren bei Mängeln, die sowohl der Bauunternehmer als auch der Architekt oder Ingenieur zu verantworten haben, vorrangig letztere in Anspruch, da Architekten und Ingenieure aufgrund ihrer Berufsordnung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet sind und damit die Realisierung von Schadensersatzansprüchen gesichert ist. Ist die Realisierung des Regressanspruchs des Architekten oder Ingenieurs bzw. seiner Versicherung gegenüber dem bauausführenden Unternehmer nicht mehr möglich, etwa weil das bauausführende Unternehmen zwischenzeitlich insolvent ist, führt dies zu einer wirtschaftlich stärkeren Belastung der Architekten und Ingenieure als dies ihrem Beitrag zum Mangel entspricht. (Aus der Gesetzesbegründung)
Mit der Einführung eines Leistungsverweigerungsrechts des Architekten/Ingenieurs wird zwar die Gesamtschuldnerschaft zwischen dem bauausführenden Unternehmer und dem Architekten/Ingeneur nicht beseitigt oder inhaltlich eingeschränkt. Mit dem Erfordernis, dass der Besteller den ausführenden Bauunternehmer erfolglos zur Nacherfüllung aufgefordert haben muss, bevor er den Architekten/Ingenieur wegen eines Überwachungsfehlers in Anspruch nimmt, soll aber zumindest bei kleineren – leicht zu behebenden – Baumängeln eine vorschnelle Inanspruchnahme des Architekten oder Ingenieurs verhindert werden.
Eine Abschaffung der gesamtschuldnerischen Haftung ist abzulehnen, da diese Lösung ausschließlich zu Lasten des Bestellers und hier insbesondere der Verbraucher ginge, die eine anderweitige Absicherung ihrer Ansprüche vertraglich im Zweifel nicht durchsetzen können. Der Besteller würde beim Wegfall der gesamtschuldnerischen Haftung außerdem prozessual benachteiligt, da er dann eine Schadensaufteilung zwischen den am Bau Beteiligten vorzunehmen hätte, um diese einzeln zu verklagen. Eine solche Schadensaufteilung korrekt vorzunehmen, dürfte dem Besteller selbst mit sachverständiger Unterstützung nicht immer gelingen. (Aus der Gesetzesbegründung)
Zum besseren Verständnis der Norm sollte man sich die Grundsätze der Mangelhaftung von planenden und überwachenden Architekten/Ingenieuren vergegenwärtigen (ausführlich hier):
- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schuldet der Architekt/Ingenieur als Schadensersatz wegen der von ihm zu vertretenden Planungs- oder Überwachungsfehler, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, nicht die Beseitigung dieser Mängel, sondern grundsätzlich Schadensersatz in Geld. Denn die Mängel des Bauwerks können nicht durch Nacherfüllung der Architektenleistung beseitigt werden.
- Der Architekt/Ingenieur schuldet mit seinen Leistungen nicht – wie der Bauunternehmer mit seinen Bauarbeiten – die Entstehung des Bauwerks selbst, sondern das „Entstehenlassen“ mit seinen Planungen und Überwachungen. Realisiert sich ein Planungs- und/oder Überwachungsfehler im Bauwerk, so muss der Architekt/Ingenieur diesen Baumangel nicht durch eigene Bauarbeiten beseitigen, sondern durch finanzielle Kompensation den Auftraggeber schadlos halten.
- Da der Architekt also bei den bereits im Bauwerk verwirklichten Mängeln seiner Planung- oder Überwachungsleistungen nicht zur Nacherfüllung berechtigt ist, hat der BGH eine AGB-Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des Auftraggebers für unwirksam erachtet, mit der sich ein Architekt das Nacherfüllungsrecht dennoch vertraglich aneignen wollte (ausführlich hier: Neues zum Architektenrecht: Mangelhaftung, Nacherfüllung und Selbsteintrittsklausel & Mitverschulden und Sanierungskonzept).
Mit der neuen Norm ändert der Gesetzgeber diese Haftungsgrundsätze nicht. Der Architekt/Ingenieur hat weiterhin kein Recht auf eigene Nacherfüllung am Bauwerk, er muss den Auftraggeber weiterhin durch Schadensersatz in Geld schadlos halten.
Der Gesetzgeber macht diesen Schadensersatzanspruch – bezogen auf Überwachungsfehler – in der Durchsetzung aber davon abhängig, das der Auftraggeber sein Nacherfüllungsrecht gegeüber dem ebenfalls verantwortlichen Bauunternehmer (erfolglos) geltend gemacht hat. Der Gesetzgeber trägt also das Recht des Bauunternehmers zur „zweiten Andienung“ (das Recht zur Nacherfüllung) aus dem Bauvertrag in Gestalt eines Leistungsverweigerungsrechts des Architekten/Ingenieurs mittelbar in den Architekten-/Ingenieurvertrag hinein.
Gleichzeitig wird einer erfolgversprechenden Nachbesserung der Vorrang vor der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs auch in dem durch die Gesamtschuld entstehenden Mehrpersonenverhältnis zwischen Bauherr, Architekt bzw. Ingenieur und bauausführendem Unternehmer eingeräumt wie dies bereits im Verhältnis zwischen Besteller und bauausführenden Unternehmer der Fall ist. (Aus der Gesetzesbegründung)
Der Gesetzgeber sieht durch seine Neuregelung auch das Recht des Bauunternehmers auf Nacherfüllung gestärkt. Das Recht des Bauunternehmers zur „zweiten Andienung“ sei diesem verwehrt, wenn der Auftraggeber im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung von Architekt/Ingenieur und bauausführendem Unternehmer sofort den Architekt/Ingenieur in Anspruch nimmt. Der Bauuternehmer müsste dann im Innenverhältnis der beiden Gesamtschuldner über den Regressanspruchs des Architekten/Ingenieurs seinen Anteil der Mangelhaftung tragen, ohne Gelegenheit gehabt zu haben, die für ihn möglicherwiese kostengünstigere und unter dem Geischtspunkt der „Kundenpflege“ vorzugswürdigere Nacherfüllung vorzunehmen.
Hinweis: Keinesfalls erforderlich ist, dass der Auftraggeber gegen den Bauunternehmer erfolglos geklagt hat. Es genügt, dass er diesem erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, wie das auch das Mängelgewährleistungsrecht als Voraussetzung für die Geltendmachung anderer Mängelgewährleistungsansprüche vorsieht (vgl. § 637 BGB). Ist eine Nachfristsetzung gegenüber dem Bauunternehmer ausnahmsweise entbehrlich (vgl. §§ 637 Abs. 2, 323 Abs. 2 BGB), so greift auch das Leistungsverweigerungsrecht des Architekten/Ingenieurs nicht ein.
Der Gesetzgeber hat das Leistungsverweigerungsrecht des Architekten/Ingegieurs bewusst auf den Fall von Überwachungsfehlern, die zu Mängeln an dem Bauwerk oder der Außenanlage geführt haben, beschränkt. Im Fall von Planungsfehlern greift das Leistungsverweigerungsrecht also nicht.
Diese Beschränkung, die Planungsmängel nicht in den Anwendungsbereich des Leistungsverweigerungsrechts einbezieht, ist dadurch gerechtfertigt, dass der Architekt oder Ingenieur in diesen Fällen die Hauptursache für den Mangel gesetzt hat. Es wäre in dieser Konstellation nicht angemessen, den Besteller zunächst auf eine Inanspruchnahme des Bauunternehmers auf Nacherfüllung zu verweisen. (Aus der Gesetzesbegründung)
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