Als Jurist hat man es bisweilen schon schwer, Nichtjuristen zu erklären, dass es zu einzelnen Rechtsfragen unterschiedliche Rechtsansichten gibt. Etwas übersichtlicher ist es, wenn man unterschiedliche Rechtsansichten unterschiedlichen Gerichten zuordnen kann. Das OLG München etwa muss nicht zwingend der gleichen Ansicht sein wie das Kammergericht in Berlin. Sehr viel schwieriger wird es aber, wenn sogar innerhalb eines Gerichts vollständig unterschiedliche Rechtsansichten geurteilt werden. Im Rahmen des Berliner Mietendeckels zeigen etwa einige Zivilkammern des Landgerichts Berlin derzeit eine kaum mehr nachvollziehbare oder rechtlich erklärbare „Meinungsvielfalt.“ Klärend wirkt hier typischerweise der Bundesgerichtshof. Ein aktueller Fall aber zeigt, dass auch die dortigen Zivilsenate nicht immer einer Ansicht sind.

Inhaltsübersicht:

  • Die Rechtsprechung des V. Zivilsenats des BGH zum Kaufvertragsrecht
  • Die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zum Werkvertragsrecht
    • Keine fiktiven Mängelbeseitigungskosten (Ziff. 1)
    • Praxisbeispiele des VII. Zivilsenats zum Bauvertrag
    • VII. Zivilsenat zum Bauträgervertrag
    • VII. Zivilsenat zum Architekten- und Ingenieurvertrag (Ziff. 2)
    • Wie der VII. Zivilsenat den Haftungsfall beim Wohnungskauf entscheiden würde

Die Rechtsprechung des V. Zivilsenats des BGH zum Kaufvertragsrecht

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Wohnungskäufer wegen eines Feuchtigkeitsschadens einen kaufrechtlichen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verkäufer geltend machte und diesen nach den voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten bemessen wollte. Das möchte der V. Zivilsenat bejahen.

  • Er möchte daran festhalten, dass bei einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) der Schaden des Käufers generell nach den voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, unabhängig davon, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird (im Folgenden: fiktive Mängelbeseitigungskosten).
  • Er sieht sich daran durch die mit Urteil vom 22. Februar 2018 geänderte Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Unzulässigkeit der Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gehindert. 
    • Danach könne der Besteller, der den Mangel nicht beseitigen lasse, im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Bauunternehmer seinen Schaden nicht nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen.
    • Eine Schadensbemessung nach den Mängelbeseitigungskosten komme nur in Betracht, wenn der Besteller diese aufgewendet habe.
    • Vor den Nachteilen und Risiken einer Vorfinanzierung werde der Besteller dadurch geschützt, dass er Vorschuss verlangen könne.
    • Die vorgenannten Grundsätze zur Schadensbemessung gälten auch für den Schadensersatzanspruch des Bestellers gegen den Architekten wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben.
      • Allerdings habe der Besteller keinen Anspruch auf Vorschuss für die Beseitigung der Mängel des Bauwerks gemäß § 634 Nr. 2, § 637 BGB, da der Architekt nicht die Errichtung des Bauwerks schulde.
      • Er könne in diesem Fall jedoch Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4, § 280 BGB auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags von dem Architekten fordern.
    • Dem wolle sich der V. Zivilsenat für das Kaufrecht nicht anschließen, sehe sich daran jedoch durch die Begründung gehindert, auf die der VII. Zivilsenat die Änderung seiner Rechtsprechung gestützt habe.
      • Die Ersatzbeschaffungs- oder Mängelbeseitigungskosten bilden nach dem V. Zivilsenat das Leistungsinteresse des Käufers unabhängig von der Frage, ob er sie tatsächlich aufgewendet habe, zutreffend ab.
      • Ein Ergebnis, wonach der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsse, sei nicht vertretbar. Ein Selbstvornahmerecht nebst Vorschussanspruch gibt es – anders als im Werkvertragsrecht – im Kaufrecht nicht. 
      • Für das Kaufrecht sei auch nicht erkennbar, dass die bisherige Rechtsprechung zu einer Überkompensation geführt habe.
      • Im Regelfall komme es nicht zu unangemessenen Ergebnissen, weil der Käufer die Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung vermeiden wolle.
      • Auch könne er anerkennenswerte Gründe dafür haben, die Behebung des Mangels auf später zu verschieben oder diesen gar nicht zu beheben.
      • Die bisherige Rechtsprechung sei praktikabel und der Schaden könne relativ verlässlich bemessen werden. 

Also hat der V. Zivilsenat den VII. Zivilsenat gefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhält.


Die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zum Werkvertragsrecht

Der VII. Zivilsenat antwortet eindeutig:

  1. Der VII. Zivilsenat hält an der Rechtsauffassung fest, wonach der Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) nicht anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten bemessen werden darf.
  2. Der VII. Zivilsenat hält daran fest, dass sich der Schadensersatzanspruch des Bestellers gegen den Architekten bei Planungs- und Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk realisiert haben, auf Vorfinanzierung „in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags“ richten kann.

Keine fiktiven Mängelbeseitigungskosten (Ziff. 1)

Der VII. Zivilsenat beharrt auf der Berücksichtigung werkvertraglicher Besonderheiten bei der Schadensbemessung, was erforderlich geworden ist, um in diesem Bereich Fehlentwicklung zu beenden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse sei es weder angezeigt noch möglich, die Bemessung des Vermögensschadens einheitlich für alle Rechtsgebiete ohne Rücksicht auf die jeweiligen normativen Wertungen zu handhaben. 

Danach ist stets eine schadensrechtliche Wertung erforderlich, die neben den allgemeinen Grundsätzen auch die Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps in den Blick zu nehmen hat (normativer Schaden).

BGH – VII. Zivilsenat

Ein Gleichlauf hinsichtlich der Schadensbemessung im Rahmen der Mängelhaftung des Werkvertrags- und des Kaufrechts sei angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Mängelrechte, insbesondere im Hinblick auf den Vorschussanspruch, aber auch im Hinblick auf das Nacherfüllungsrecht, nicht geboten. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen diese Unterschiede bei einer auf normativen Wertungen beruhenden Schadensbemessung keine Rolle spielen und eine Handhabung nach den Bedürfnissen des jeweiligen Vertragstyps nicht ermöglichen sollten. Das Regelungskonzept der werkvertraglichen Mängelrechte weiche in zentralen Punkten von demjenigen des Kaufrechts ab:

  • Für den werkvertraglichen Nacherfüllungsanspruch gilt im Grundsatz – wie für den Erfüllungsanspruch – die werkvertragstypische Erfolgshaftung, nach der der Unternehmer das Erfüllungsrisiko für die versprochene Leistung unabhängig von dem dafür erforderlichen Aufwand trägt. Die Regelung zur Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung in § 635 Abs. 3 BGB ist vor dem Hintergrund dieser Risikoverteilung restriktiv auszulegen. Demgegenüber gelten im Kaufrecht andere Maßstäbe für die Prüfung der Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung. Die kaufvertraglichen Regelungen führen dazu, dass Überkompensationen eingeschränkt werden können. Im Werkvertragsrecht ist es nicht in einer dem Kaufrecht vergleichbaren Weise möglich, die Auswüchse einer Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu begrenzen, ohne gleichzeitig das im Werkvertragsrecht zentrale Nacherfüllungsrecht des Bestellers und damit die Erfolgshaftung des Unternehmers deutlich zu entwerten.
  • Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt darin, dass das sich aus § 634 BGB ergebende Konzept der werkvertraglichen Mängelrechte – anders als das Konzept der kaufvertraglichen Mängelrechte – zugunsten des Bestellers ein Selbstvornahmerecht und hierfür einen Vorschussanspruch vorsieht, § 634 Nr. 2, § 637 BGB. Dieser Anspruch schützt den Besteller, der die Mängelbeseitigung durchführen lassen will, umfassend vor der Notwendigkeit einer Vorfinanzierung. Es bedarf also im Werkvertragsrecht keiner Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten zur Vermeidung einer nicht zumutbaren Vorfinanzierung einer Mängelbeseitigung.

Nach dem VII. Zivilsenat lässt sich eine generelle Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten jedenfalls im Werkvertragsrecht auch nicht mit einer einfacheren und damit praktikableren Ermittlung der Kosten rechtfertigen:

  • Zum einen sind die fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht keineswegs immer einfach zu ermitteln, vielmehr steht – wie die Erfahrungen des VII. Zivilsenats zeige – häufig bereits die Methode der (nicht durchgeführten) Sanierung im Streit.
  • Zum anderen trägt die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats diesem Umstand dadurch Rechnung, dass sie in geeigneten Fällen eine dahingehende Schätzung des mangelbedingten Wertunterschieds gemäß § 287 ZPO zulässt. Danach kann in geeigneten Fällen der mangelbedingte Wertunterschied aus Gründen der Vereinfachung anhand fiktiver Mängelbeseitigungskosten geschätzt werden, § 287 ZPO. Jedoch handelt es sich dabei um eine Schätzung, die dann nicht gerechtfertigt ist, wenn diese – nicht angefallenen – Kosten den Wertunterschied nicht mehr annähernd widerspiegeln.

Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten ist nach dem VII. Zivilsenat im Werkvertragsrecht also nicht gerechtfertigt. Eine Abrechnung auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten, ohne dass eine Selbstvornahme erfolgt, kann nach dem VII. Zivilsenat vielmehr zu einer erheblichen Überkompensation des Bestellers und damit zu nicht mehr tragbaren Ergebnissen führen. Diese Form der Schadensbemessung habe vielmehr nach den langjährigen Erfahrungen des VII. Zivilsenats in zahlreichen Fällen tatsächlich zu einer erheblichen Überkompensation des Bestellers geführt.

Die Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bei Mängeln, mit denen der Besteller „leben kann“, deren Beseitigung aber hohe Kosten verursachen würde, ist zunehmend als lukrative Geldquelle genutzt worden. Insbesondere im Baurecht hat es im Laufe der Zeit eine dahingehende Fehlentwicklung gegeben, die eine Änderung dieser Rechtsprechung geboten erschienen ließ.

BGH – VII. Zivilsenat

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