Übernimmt der Ingenieur oder Architekt Objektbetreuungsleistungen gemäß Leistungsphase 9 der HOAI, so ziehen sich seine Leistungspflichten weit, d.h. grundsätzlich bis zum Ablauf der Gewährleistungsfristen gegenüber den Bauunternehmen, fort. Entsprechend spät beginnt grundsätzlich auch die Verjährung von Gewährleistungsansprüchen gegen ihn wegen etwaiger Mängel an seinem Planungs- bzw. Überwachungswerk. Ihm stellt sich daher typischerweise die Frage,
- ob die Vereinbarung eines vorgelagerten Verjährungsbeginns (etwa mit Abnahme der Bauunternehmerleistungen/Ingebrauchnahme) möglich ist und/oder
- ob nicht schon zuvor (nach Beendigung der vorhergehenden Leistungsphase 8) eine Teilabnahme für die Planungs- und Überwachungsleistungen (ohne Betreuungsleistungen) und damit insoweit ein Verjährungsbeginn möglich ist.
Der BGH (Urteil vom 8. September 2016 – VII ZR 168/15) verneint die erste Frage für den Fall des Vorliegens von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und bejaht die zweite Frage, stellt aber sowohl an das tatsächliche Vorliegen als auch an die Vereinbarung einer Teilabnahme hohe Anforderungen.
Er hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem ein Ingenieur mit der Objektplanung, der Tragwerksplanung, den bauphysikalischen Nachweisen und der Technischen Gebäudeausrüstung beauftragt worden war. Beauftragt waren Leistungen gemäß den Leistungsphasen 1 bis 9 der HOAI. Der vereinbarte Ingenieurvertrag sah die folgende Klausel vor:
„Die Verjährung beginnt mit der Abnahme der letzten nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistung, ausgenommen ist hier ausdrücklich die LP 9 (Objektbetreuung und Dokumentation), bzw. nach Ingebrauchnahme des Gesamtobjektes.“
Der BGH zerlegt diese Klausel in zwei inhaltlich voneinander trennbare Regelungen:
- „Die Verjährung beginnt mit der Abnahme der letzten nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistung, ausgenommen ist hier ausdrücklich die LP 9 (Objektbetreuung und Dokumentation)“.
- „Die Verjährung beginnt nach Ingebrauchnahme des Gesamtobjektes.“
Zum Vorliegen von AGB und zum Klauselverbot im B2B-Bereich
Zunächst stellt der BGH heraus, dass auch bei Architekten- und Ingenieurverträgen ein zu widerlegender Anscheinsbeweis greifen kann, der bereits für den Bauvertrag entschieden worden ist:
Nach ständiger Rechtsprechung kann sich aus dem Inhalt und der Gestaltung der in einem Bauvertrag verwendeten Bedingungen ein von dem Verwender zu widerlegender Anschein dafür ergeben kann, dass die Klauseln zur Mehrfachverwendung vorformuliert worden sind. Ein solcher Anschein kann sich zum Beispiel daraus ergeben, dass Vertragsklauseln weitgehend allgemein und abstrakt gehalten sind.
Der BGH schreibt dem strikten Klauselverbot des § 309 Nr. 8 b) ff) BGB, wonach verjährungserleichternde Klauseln im Verbaucherbereich unwirksam sind, Indizwirkung für die Unwirksamkeit einer entsprechenden Klausel im unternehmerischen Geschäftsverkehr (B2B-Bereich) nach § 307 BGB zu. Diese Indizwirkung soll ausdrücklich auch für die Erleichterung der Verjährung bezüglich bauwerksbezogener Leistungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Ingenieurs gelten, die gegenüber einem Unternehmer verwendet werden.
Kann der Verjährungsbeginn an die Ingebrauchnahme geknüpft werden?
Der BGH erachtet die Klausel Nr. 2 wegen unangemessener Benachteiligung des Auftraggebers für unwirksam:
Grundsatz:
Eine unzulässige Verjährungserleichterung liegt unter anderem dann vor, wenn der Verjährungsbeginn gemessen am vom Gesetz vorgesehenen Beginn vorverlegt wird (siehe zum Bauträgervertrag schon hier).
Gesetz:
Die Verjährung der Gewährleistungsansprüche beginnt bei Planungs- und Überwachungsleistungen grundsätzlich mit der Abnahme. Wird ein Ingenieur bzw. Architekt auch mit solchen Leistungen der Leistungsphase 9 der (Objektbetreuung, d.h. insbesondere Überwachen der Beseitigung von Mängeln und Dokumentation des Gesamtergebnisses) beauftragt, hat er seine Leistungen vertragsgemäß erst erbracht, wenn auch die Leistungen gemäß Leistungsphase 9 erfüllt sind.
In beiden Fällen gehört zu den von dem Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen die Objektbegehung zur Mängelfeststellung vor Ablauf der Gewährleistungsfristen aus den Verträgen mit den am Bau Beteiligten. Erst damit ist seine Leistung abnahmereif und kommt eine Billigung der Ingenieurleistung als vertragsgemäß in Betracht. So schon BGH, Urt. v. 10.10.2013 – VII ZR 19/12.
Bei Beauftragung mit Leistungen einschließlich Leistungsphase 9 kann daher eine Abnahme grundsätzlich erst angenommen werden, wenn auch die dieser Leistungsphase entsprechenden Leistungen erbracht sind. Dabei dauert die Objektbetreuung bis zum Ablauf der Gewährleistungsfristen gegenüber den Bauunternehmen fort.
Vertrag:
Mit der vorliegenden Klausel Nr. 2 (Die Verjährung beginnt nach Ingebrauchnahme des Gesamtobjektes) wird die Verjährung von Mängelansprüchen gegen den mit Leistungen gemäß den Leistungsphasen 1 bis 9 der HOAI beauftragten Ingenieur/Architekten durch Vorverlegung des Verjährungsbeginns auf den Zeitpunkt der Abnahme des Gesamtobjekts gegenüber der gesetzlichen Regelung erleichtert. Denn die Ingebauchnahme bzw. Abnahme des Gesamtobjekts ist der Erfüllung der Leistungsphase 9 (weit) vorgelagert.
Der BGH bestätigte damit, dass eine wirksame Vorverlegung des Verjährungsbeginns auf den Zeitpunkt der Ingebrauchnahme des Gesamtobjekts nicht erfolgt war.
Verjährungsbeginn mit Teilabnahme nach Beendigung der Leistungsphase 8?
Der BGH entschied außerdem, dass eine Teilabnahme nach Beendigung der Leistungsphase 8 (Objektüberwachung) und ein hieran anknüpfender Beginn der Verjährung nicht vorlag.
Grundsätzlich gilt, dass bei einer Teilabnahme die Verjährung derjenigen Mängelansprüche, die sich auf den abgenommenen Teil beziehen, mit der Teilabnahme beginnt.
Bei einer erst teilweise ausgeführten Leistung kommt eine Abnahme durch konkludentes Verhalten aber regelmäßig nicht in Betracht. Insbesondere kommt eine konkludente Teilabnahme der bis zur Leistungsphase 8 erbrachten Leistungen aufgrund der Bezahlung der Schlussrechnung durch den Auftraggeber nicht in Betracht. Vielmehr muss der Wille des Bauherrn zur Teilabnahme wegen ihrer gravierenden Folgen klar zum Ausdruck kommen.
Eine Teilabnahme setzt grundsätzlich eine [auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen mögliche] vertragliche Vereinbarung voraus, in der der Wille des Bauherrn zur Vorwegabnahme wegen der schwerwiegenden Folgen der Abnahme klar zum Ausdruck kommen muss. So schon BGH, Urt. v. 10.10.2013 – VII ZR 19/12
In der vorliegenden Klausel Nr. 1 liegt nach dem BGH keine Vereinbarung einer Teilabnahme der bis zur Leistungsphase 8 erbrachten Leistungen: Die Verjährung beginnt mit der Abnahme der letzten nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistung, ausgenommen ist hier ausdrücklich die LP 9 (Objektbetreuung und Dokumentation).
Denn:
Diese Bestimmung legt vielmehr den Beginn der Verjährungsfrist für den Fall einer Abnahme der bis zur Leistungsphase 8 zu erbringenden Leistungen fest.
Diese Klausel regelt also nicht die Teilabnahme und begründet keine Verpflichtung zu einer Teilabnahme, sie regelt nur die Rechtsfolge (Beginn der Verjährung), falls doch eine Teilabnahme stattgefunden hat.
Fazit:
Den Architekten und Ingenieuren, die auch Betreuungsleistungen gemäß Leistungsphase 9 der HOAI erbringen, ist aufgrund des weiten Anwendungsbereichs des AGB-Rechts und des auch im B2B-Bereich geltenden strengen Maßstabes bei verjährungserleichternden Vertragsklauseln zu raten, derartige Klauselgestaltungen mit Vorsicht zu betrachten. Das auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässige Instrument der Wahl sollte die Vereinbarung von Teilabnahmen sein, die aber nicht bei jedem Auftraggeber gern gesehen sind und an deren hinreichend klare Vereinbarung hohe Anforderungen gestellt werden.
Die Ablehnung verjährungsverkürzender Regelungen durch den BGH hat, zum besseren Verständnis, auch mit den Besonderheiten im Baubereich zu tun:
Bei Bauwerken treten Mängel, auch besonders schwerwiegende, oftmals erst nach Jahren hervor und können auch dann erst nach einer einige Zeit in Anspruch nehmenden Prüfung der Ursachen und der Verantwortlichkeit geltend gemacht werden. Die Gewährleistungsfristen im Werkvertragsrecht berücksichtigen nur die Zeiträume, in denen gewöhnlich Mängel auftreten. Eine Verkürzung dieser Gewährleistungsfristen benachteiligt den Auftraggeber daher im Hinblick auf zunächst verborgene Mängel unangemessen. Insoweit werden Kaufleute im Betrieb ihres Handelsgewerbes von Bauwerksmängeln, auch solchen, die aus Planungs- oder Überwachungsfehlern resultieren, nicht weniger betroffen als Nichtkaufleute . Ein anderer Maßstab ist auch gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber nicht anzuwenden. Auch Mitarbeiter und Bedienstete von Gebietskörperschaften sind im Allgemeinen nicht imstande, verborgene Bau- und/oder Planungs- und Überwachungsmängel früher zu erkennen als ein privater Auftraggeber oder dessen Mitarbeiter. So BGH, Urt. v. 10.10.2013 – VII ZR 19/12.
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