Bereits zum letzten Beschluss des Berliner Senats über das Berliner MietenWoG, mit dem der Entwurf dem Rat der Bürgermeister zugeleitet wurde, konnte man der Presse überwiegend entnehmen, der sog. Mietendeckel gelte rückwirkend zum 18.06.2019. Und nun das gleiche Spiel: Der Berliner Senat hat am 26.11.2019 den Mietendeckel zur Einleitung des parlamentarischen Verfahrens im Abgeordnetenhauses von Berlin beschlossen und wieder meinen dpa, Spiegel, Tagesspiegel & Co.: Er solle rückwirkend zum 18.06.2019 gelten. Und tatsächlich. Nicht wenige Marktteilnehmer glauben das, Mieter ebenso wie manche Vermieter bzw. deren Wirtschaftsprüfer, die teils schon vor Rückzahlungen von Mieten rückwirkend zum 18.06.2019 warnen. Kein Vortrag zum Thema vergeht, in dem nicht eben diese Frage zur Diskussion gestellt wird. Nur: Stimmt das auch?
Hörer meiner Vorträge kennen die Antwort bereits seit einiger Zeit: Nein.
Was also gilt – unter dem Vorbehalt, dass das Gesetz überhaupt verfassungskonform und nicht ohnehin (ggf. rückwirkend) nichtig ist?
Das Inkrafttreten
Art. 4 des Berliner MietenWoG regelt das Inkrafttreten des Gesetzes: Das Berliner MietenWoG tritt nach Art. 4 Abs. 1 am Tag nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft (Ausnahme: Die Kappungsverfügung nach Artikel 1 § 4 (jetzt: § 5) gilt erstmals neun Monate nach Inkrafttreten). Das wird voraussichtlich Januar oder Februar 2020 sein. Art. 4 Abs. 2 regelt sodann das Außerkrafttreten nach fünf Jahren ab Inkrafttreten.
Wie also kommt man darauf, dass das Gesetz rückwirkend zum 18.06.2019 gelten soll? Der 18.06.2019 ist gerade nicht als Zeitpunkt des (rückwirkenden) Inkrafttretens geregelt. Auch ist die Geltungsdauer des Gesetzes ausdrücklich auf fünf Jahre ab Inkrafttreten begrenzt, nicht auf fünf Jahre plus den Zeitraum zwischen dem 18.06.2019 und dem Zeitpunkt der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin.
Das Rückwirkungs-Missverständnis
Der Grund für Missverständnisse folgt aus Art. 1 § 3 Abs. 1 S. 1 des Berliner MietenWoG zum Mietenstopp:
Vorbehaltlich der nachfolgenden Regelungen ist es verboten, eine Miete zu fordern,
die die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet.
Manch einer denkt offenbar, hierin liege eine rückwirkende Geltung des Gesetzes. Richtig ist dagegen das Folgende:
- Die Regelung hat zwei Bestandteile. Einerseits die Verbotsaussage (vorstehend rot markiert). Diese lautet nicht etwa, ist verboten ab dem 18.06.2019 oder ist ab dem 18.06.2019 verboten. Die Geltung des Verbots richtet sich einzig nach den allgemeinen Regelungen des Inkrafttretens: Das Verbot gilt erst ab Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, also voraussichtlich ab Anfang 2020 – keine Rückwirkung.
- Davon zu trennen ist der weitere Regelungsbestandteil der Norm, der oben blau markiert ist und sich mit der zulässigen Miethöhe beschäftigt, mit der sog. Stichtagsmiete. Für die Miethöhe, und nur für diese, wird zeitlich auf den 18.06.2019 abgestellt. Das ist aber lediglich eine „wirtschaftliche Rückanknüpfung„, keine Rückbewirkung einer Gesetzesgeltung oder gar eines gesetzlichen Verbots.
Es ist also nicht rückwirkend zum 18.06.2019 verboten, eine über den Mietenstopp hinausgehende Miete zu fordern. Verboten ist, ab dem Inkrafttreten des Gesetzes (voraussichtlich Jan./Febr. 2020) eine Miete zu fordern (bzw. zu vereinbaren oder entgegenzunehmen), die höhenmäßig über der am 18.06.2019 wirksam vereinbarten Miete liegt.
Hat der Vermieter zwischen dem 18.06.2019 und dem Inkraftreten des Berliner MietenWoG im Rahmen des BGB eine Miete vereinbart, die höher ist als die Stichtagsmiete im Sinne des § 3 Berliner MietenWoG, dann ist das auch nach dem Berliner MietenWoG bis zu dessen Inkrafttreten wirksam, erst ab Inkrafttreten des Berliner MietenWoG ist die Miete durch den Mietenstopp auf die Stichtagsmiete gekappt, aber eben erst mit Wirkung ab dem Inkrafttreten, nicht mit Wirkung zum 18.06.2019. Bis zum Inkrafttreten des Berliner MietenWoG zahlt der Miete die wirksam vereinbarte Miete, auch wenn sie über der Stichtagsmiete liegt. Erst ab Inkrafttrteten zahlt er nur noch die Stichtagsmiete bzw. Vormiete. Rückzahlungen von Mieten rückwirkend zum 18.06.2019 stehen nicht an.
Dies ist auch das Verständnis des Gesetzesverfassers. Er selbst spricht in der Gesetzesbegründung nur von einer „tatbestandlichen Rückanknüpfung“ (nicht von einer Rückwirkung von Verboten oder Rechtsfolgen). Und er geht von einem Verbot von fünf Jahren aus (nicht fünf Jahre plus Rückwirkungszeit).
UPDATE: Der Gesetzgeber hat das hier vertretene Verständnis nochmals ausdrücklich in der finalen Gesetzesbegründung bestätigt:

Siehe in diesem Sinne etwa auch schon: Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 30.07.2019 (Mietobergrenze und Vertrauensschutz, WD 3 – 3000 – 186/19) und gif-Policy Paper 3/2019.
Auch die Gutachten von Prof. Dr. Battis und Prof. Dr. Papier hätten von Verfassung wegen noch einiges mehr zu kritisieren gehabt, wollte man dem Gesetzesverfasser eine rückwirkende Geltung unterstellen wollen.
Wieso das ganze Thema auf manche Marktteilnehmer so verwirrend wirkt, mag sich anhand eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 28.10.2019 zum Mietendeckel erschließen: Rückwirkung ist nicht gleich Rückwirkung, jedenfalls unter Juristen. So spricht das Gutachten von einer Rückwirkung, gar von einem „rückwirkenden Einfrieren“ von Mieten und einer „echten Rückwirkung“. Auch dieses Gutachten enthält aber nicht die Aussage, dass das Verbot des Mietenmoratoriums auf den 18.06.2019 zurückwirkt. Auch dieses Gutachten stellt unstreitig, dass das Verbot erst ab Inkrafttreten gilt. Den Begriff der Rückwirkung rechtfertigt das Gutachten einzig damit, dass Mieterhöhungen über die Stichtagsmiete hinaus zwischen dem 18.06.2019 und dem Inkrafttreten unwirksam sind – obwohl die Unwirksamkeit unstreitig erst ab Inkrafttreten gilt. Begrifflich ist das verwirrend, aber inhaltlich ist auch nach diesem Gutachten unstreitig, dass die Verbotswirkung erst ab Inkrafttreten gilt.
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