Am 12. Mai 2021 hat die Bundesregierung neben Ihrer Erklärung zum „Klimapakt Deutschland“ (ausführlich: Klimapakt Deutschland: Sofortprogramm für den Gebäudesektor mit Sanierungsoffensive, neuem Neubaustandard und Teilung der CO2-Bepreisung?) auch eine Novelle des Klimaschutzgesetzes vorgelegt. Sie reagiert damit auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur teilweisen Verfassungswidrigkeit des KSG von 2019 (ausführlich: Was ist Klimaschutz? Nachhaltigkeit & Recht nach der KSG-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts).
KSG 2021 – Zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
Der Entwurf sieht im Wesentlichen neue nationale Klimaschutzziele vor.
- Das bestehende nationale Klimaschutzziel für das Jahr 2030 wird auf mindestens 65 Prozent erhöht.
- Die Erhöhung des nationalen Klimaschutzziels für das Jahr 2030 von bisher mindestens 55 Prozent auf mindestens 65 Prozent Minderung gegenüber dem Basisjahr 1990 soll auch der Erwägung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen, dass die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Artikel 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft schützen.
- Die Erhöhung antizipiert zugleich, dass sich aus der von Rat und Parlament der Europäischen Union beschlossenen Erhöhung des Klimaschutzziels für das Jahr 2030 von mindestens 40 Prozent auf mindestens 55 Prozent im Rahmen des Europäischen Klimaschutzgesetzes eine Erhöhung auch des deutschen Beitrags zur Erreichung dieses Ziels ergeben wird.
- Für das Jahr 2040 gilt ein neues nationales Klimaschutzziel von mindestens 88 Prozent Minderung gegenüber dem Jahr 1990. Bisher gab es für das Jahr 2040 noch kein nationales Klimaschutzziel.
- Bis zum Jahr 2045 sind die Treibhausgasemissionen so weit zu mindern, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. Netto-Treibhausgasneutralität wird definiert als das Gleichgewicht zwischen anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken. Mit der Bezeichnung „Netto-Treibhausgasneutralität“ im Bundes-Klimaschutzgesetz soll keine Abgrenzung zu dem ebenfalls geläufigen Begriff „Treibhausgasneutralität“ intendiert sein.
- Für die Jahre 2030, 2040 und 2045 wird zudem festgelegt, welche Beiträge im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft erreicht werden sollen.
- Die im Bundes-Klimaschutzgesetz bereits festgelegten Jahresemissionsmengen der Sektoren werden für die Jahre 2023 bis 2030 neu festgelegt, um die Erreichung des nationalen Klimaschutzziels von mindestens 65 Prozent im Jahr 2030 sicherzustellen.
- Für die Jahre von 2031 bis 2040 werden sektorübergreifende jährliche Minderungsziele festgelegt.
- Die Minderungsziele gelten im Unterschied zu den zulässigen Jahresemissionsmengen sektorübergreifend.
- Aus diesen soll sich ein konkreter Minderungspfad bis zum Jahr 2040 ergeben.
- Spätestens im Jahr 2032 wird die Bundesregierung einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, um auch die weiteren jährlichen Minderungsziele bis zur Netto-Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 gesetzlich festzulegen. Damit soll sichergestellt werden, dass auch der weitere Reduktionspfad bis zur Netto-Treibhausgasneutralität durch den Gesetzgeber bestimmt wird.
- Die sektorübergreifenden jährlichen Minderungsziele bilden den Rahmen für die nachfolgende Festlegung der sektorscharfen Jahresemissionsmengen durch Rechtsverordnung im Jahr 2024 (für die Jahresemissionsmengen von 2031 bis 2040) und im Jahr 2034 (für die Jahresemissionsmengen von 2041 bis 2045). Die genaue Aufteilung der Minderungsziele auf die einzelnen Sektoren im Wege der Vorgabe von zulässigen Jahresemissionsmengen bleibt also weiterhin dem Verordnungsgeber überlassen. Wesentliche Kriterien für die Festlegung der zulässigen Jahresemissionsmengen stehen aber bereits fest, da der durch die jährlichen Minderungsziele beschriebene sektorübergreifende Reduktionspfad gesetzlich vorgegeben ist und die Summe der zulässigen Jahresemissionsmengen sich in dem so vorgegebenen Rahmen bewegen muss. Damit soll die Einführung von jährlichen Minderungszielen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen.
- Nach dem Jahr 2050 sollen negative Treibhausgasemissionen erreicht werden. Negative Treibhausgasemissionen führen zu einem Abbau von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Etwaige Restemissionen sollen somit nicht nur kompensiert, sondern sogar überkompensiert werden. Dies stehe im Einklang mit der Einigung zum sogenannten „Europäischen Klimagesetz“ vom 21. April 2021 zwischen dem Europäischen Parlament, Rat und Europäischer Kommission. Dort wurde neben dem Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 festgehalten, nach 2050 negative Treibhausgasemissionen auf Ebene der Europäischen Union anzustreben.
- Darüber hinaus wird die Rolle des Expertenrats für Klimafragen gestärkt.

Der über das KSG 2019 hinausgehende Treibhausgasreduktionsbedarf exemplarisch für die Jahre 2023, 2025 und 2030. Für den Zeitraum 2023 bis 2030 sind bereits auf die Sektoren heruntergebrochene Emissionsmengen bestimmt, wohingegen für den Zeitraum nach 2030 noch keine Emissionsmengen durch das KSG bestimmt werden. Die gegenüber 2035 noch zu reduzierende Emissionsmenge bis zum Jahr 2040 beläuft sich ebenfalls auf rund 150 Mio. t CO2. Eine Aktualisierung der Kosten bis 2035 und eine Quantifizierung für 2040 werden im Rahmen einer Rechtsverordnung vorgenommen.
Besonders betroffen sind die Sektoren Energie und Industrie, in denen viele Anlagen dem Europäischen Emissionshandel unterliegen. Die Bundesregierung begründet das wie folgt:
- Dies rechtfertige sich einerseits aus dem ökonomischen Gedanken, dort zu mindern, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind.
- Andererseits seien der Industrie- und Energiesektor weiterhin die Sektoren mit den höchsten Emissionen.
- Hinzu komme, dass der Energiesektor ein Schlüsselsektor für Emissionsminderungen in allen Sektoren ist wegen der Bedeutung der Elektrifizierung von Endverbrauchssektoren (Sektorkopplung).
Angesichts langfristiger Investitionszyklen insbesondere im Verkehrs- und im Gebäudesektor sowie erforderlichen Veränderungen in der Landwirtschaft und bei den Ernährungsgewohnheiten sollten die kommenden Jahre genutzt werden, rechtzeitig ausreichend minderungswirksame Maßnahmen zu beschließen und konsequent umzusetzen. Im Gebäudesektor ist zudem das bezahlbare Bauen und Wohnen einzubeziehen.
BReg-Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
Wie positioniert sich der Bundesrat?
Am 28.05.2021 wird sich der Bundesrat mit dem Entwurf befassen, noch vor der Beratung im Bundestag. Mit Datum vom 18.05.2021 liegen nun auch schon die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates für eine Stellungnahme des Bundesrates vor (BR-Drucks. 411/1/21). Aus diesen ergeben sich verlässlich wichtige Themen, welche die weiteren Diskussionen in Berlin prägen werden, selbst wenn sie nicht Eingang finden sollten in den Beschluss des Bundesrates Ende Mai. Hier einige zentrale Punkte v.a. bezogen auf den Gebäudesektor:
Demnach weist der Bundesrat insbesondere darauf hin, dass die Bundesregierung nun in der Pflicht steht, die richtigen Weichen für die Zielerreichung zu stellen:
- Bestehende Maßnahmen müssten nachjustiert werden, neue Maßnahmen entwickelt und mit entsprechender Finanzierung hinterlegt werden.
- Notwendige Innovationen und Technologiefortschritte müssten verstärkt gefördert werden.
- Gesetze und Regelungen, die derzeit den Ausbau von notwendiger Infrastruktur verhindern, müssten auf den Prüfstand.
- Für die erfolgreiche Transformation sei es unbedingt erforderlich, den zeitnahen Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur zu ermöglichen, den Netzausbau voranzutreiben, Grundlagen für emissionsarme Mobilität sowie einen klimaneutralen Gebäudesektor zu schaffen.
- Notwendig seien ebenso beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Infrastrukturausbau bei den Erneuerbaren Energien, den Netzen und Speichern sowie gezielte Investitionsanreize für Industrie und Mittelstand.
Für den Gebäudesektor wird hervorgehoben:
- Durch die Verschärfung der Klimaschutzziele werden erhebliche zusätzliche Investitionen in den Gebäudebestand notwendig.
- Der Bundesrat erwartet, dass der Bund hierfür langfristig angelegte und auskömmlich finanzierte attraktive Förderprogramme zur Verfügung stellt.
- Hinsichtlich der im Klimapakt vorgesehenen hälftigen Aufteilung der Kosten des nationalen CO2-Preises zwischen Vermietern und Mietern wird die Erwartung formuliert, dass die Auswirkungen auf die Anreizwirkung für Investitionen kritisch geprüft werden. Besonders zu berücksichtigen seien dabei die regionalen Unterschiede auf den Wohnungsmärkten und die bereits erfolgten Energiesparmaßnahmen im Gebäudebestand. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren soll zudem geprüft werden, ob alternativ die soziale Abfederung steigender Wohnkosten mit Hilfe des Wohngeldes und der sozialen Wohnraumförderung weiter gestärkt werden kann. Siehe hierzu schon: Klimapakt Deutschland: Sofortprogramm für den Gebäudesektor mit Sanierungsoffensive, neuem Neubaustandard und Teilung der CO2-Bepreisung?
HINWEIS:
Eine Förderung für den Um- und Neubaus privater und öffentlicher Bauten auf einem Energieeffizienz-Niveau, das deutlich über den gesetzlichen Mindeststandards liegt, kommt u.a. vom Deutschen Aufbau- und Resilienzplan als Teil des Aufbauinstruments „Next Generation EU“: Global race to the top is on: USA in Climate Actions „great again“ und BVerfG schützt Next Generation EU inkl. Aufbau- und Resilienzplan
Die Bundesregierung möchte zudem ein Sofortprogramm vorlegen (Klimapakt Deutschland: Sofortprogramm für den Gebäudesektor mit Sanierungsoffensive, neuem Neubaustandard und Teilung der CO2-Bepreisung?). Ein zusätzliches Fördervolumen im Umfang von bis zu 8 Milliarden Euro soll dafür bereitgestellt werden.
Es wird anerkannt, dass es neben den skizzierten Sofortmaßnahmen einer Reihe von weiteren Rechtsänderungen bedarf, die aufgrund ihrer Eingriffstiefe und rechtssystematischen Komplexität erst in der 20. Legislaturperiode sinnvoll ergriffen werden können, etwa
- Eine umfassende Reform des Gebäudeenergiegesetzes.
- Ein Maßnahmenpaket im Verkehrssektor.
- Eine Stärkung der Klimaschutzanstrengungen auf kommunaler Ebene.
- Eine grundlegende Reform der Abgaben und Umlagen gemäß Beschluss zur Bundesrats-Drucksache 93/21.
- Ein Klimacheck der vereinbarten GAP-Umsetzung im Rahmen der Evaluation 2024 mit Anpassungen soweit sich diese als notwendig zur vereinbarten Emissionsminderung erweisen.
Weitere zentrale Anliegen aus dem Bundesrat:
- Im Zuge der Novellierung des Bundesklimaschutzgesetzes sollen auch Klimaschutz-Sperren im Bundesrecht (z. B. im Gebäudeenergie- und im Straßenverkehrsrecht) abgebaut werden, die einer zielgerichteten Klimaschutzpolitik in den Ländern entgegenstehen. Grundsätzlich soll den Ländern in allen klimarelevanten Sektoren die Möglichkeit eingeräumt werden, weitergehende Regelungen zugunsten des Klimaschutzes zu treffen.
- Es wird ein Vorschlag für branchenübergreifende Carbon Contracts for Difference erwartet.
- Es wird darauf hingewiesen, dass das vom BVerfG genannte ergänzende klimapolitische Handlungsfeld der Klimaanpassung sich innerhalb der gesetzlichen Regelungen bisher nicht entsprechend wider findet, obwohl dieses für die Gefahrenvorsorge und der Abwendung drohender zukünftiger Schäden, auch für kommende Generationen, von elementarer Bedeutung ist (ausführlich: Was ist Klimaschutz? Nachhaltigkeit & Recht nach der KSG-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts). Der Entwurf soll vor das Themenfeld Klimaanpassung integrieren und angemessen berücksichtigen: Die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel ist zu verbessern, die Widerstandsfähigkeit zu stärken und die Anfälligkeit gegenüber Klimaänderungen zu verringern.
Eine Menge Fragen bleiben offen und werden wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr beantwortet, wie ein prägnantes Zitat aus dem Bundesrat zeigt:
Der Bundesrat betont, dass der vorliegende Gesetzentwurf zwar den Willen zu einer verstärkten Treibhausgas-Reduktion erkennen lässt, jedoch gänzlich offen lässt, wie diese erreicht werden kann.
BR-Drucks. 411/1/21(Umweltausschuss)
Update 28.05.2021:
Der Bundesrat hat seine Stellungnahme beschlossen (BR-Drucksache 411/21). Die Stellungnahme des Bundesrates wurde der Bundesregierung zugeleitet, die dazu eine Gegenäußerung verfasst und dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen wird. Im Bundestag steht das Gesetz voraussichtlich am 10. Juni 2021 in erster Lesung auf der Tagesordnung. Spätestens drei Wochen nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag befasst sich der Bundesrat final mit dem neuen KSG.
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