Was bringen die ambitioniertesten Wohnungsbauoffensiven und (energetischen) Sanierungswellen, wenn sie von begrenzter Baumaterialverfügbarkeit und von explodierenden Baustoffpreisen ausgebremst werden? Wie weit kommt nachhaltiges Bauen z.B. unter Einsatz des Baustoffes Holz, wenn es gerade die Holzpreise sind, die durch die Decke gehen? Zumindest vorübergehend nicht so viel/weit wie erwartet. Dieses Szenario stellt sich aktuell. Nach der Feststellung der Bauindustrie (BAUMATERIAL 2021: KNAPP UND DEUTLICH TEURER) wurden im Zusammenhang mit der weltweiten Ausbreitung der Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 infolge des Nachfrageeinbruchs weltweit Produktionskapazitäten heruntergefahren, die nun nicht schnell genug wieder hochgefahren werden können, um den enormen Nachfrageschub zu bedienen, der sich u.a. aus der Vielzahl weltweiter Konjunktur-, Krisenbewältigungs- und Zukunftsprogrammen ergibt.

In dem Erlass des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 23.03.2020 hieß es zum Bauvertrag (Bundesbau, von den Ländern überwiegend übernommen):

Die Corona-Pandemie ist grundsätzlich geeignet, den Tatbestand der höheren Gewalt […] auszulösen. Höhere Gewalt ist ein unvorhersehbares, von außen einwirkendes Ereignis, das auch durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit hinzunehmen ist.

BMI-Erlass v. 20.03.2020

Das aktuelle Szenario ist von diesem Erlass nicht erfasst. Das stellt auch die Bauindustrie fest: „Steht Bauunternehmen unerwartet kein Baumaterial zur Verfügung oder erhöhen sich die Preise, gelten daher die allgemeinen Rechtsvorschriften.“ Eine mögliche Lösung ist aber auch eine vertragliche Regelung, insbesondere Preisgleitklauseln für das Baumaterial.

„Preisanpassungsklauseln sind (…) ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht.“ BGH, Urteil vom 11.10.2007 – III ZR 63/07, Rn. 19

Das Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat hat nun mit Erlass vom 21.05.2021 (Lieferengpässe und Stoffpreisänderungen diverser Baustoffe, Vergabe- und Vertragshandbuch des Bundes, Richtlinie zum Formblatt 225, BW I 7 – 70437/9#3) dies aufgegriffen.

Seit einiger Zeit häufen sich Berichte über drastisch steigende Preise und Lieferengpässe für verschiedene Baustoffe. Dazu gehören z.B. Holz, Kunststoffe und Stahl. Auch das aktuell abgefragte Lagebild im Bundesbau bestätigt diese Situation in einer Vielzahl von Fällen.

BMI Erlass Lieferengpässe und Stoffpreisänderungen diverser Baustoffe

Für neue Vergabeverfahren verweist der Erlass auf Stoffpreisgleitklauseln als ein zur Verfügung stehendes Instrument, mit dem auf volatile Preissteigerungen reagiert werden kann. Das Formblatt kam bisher in Verbindung mit schwankenden Stahlpreisen zum Einsatz, soll aber ebenso auch für andere Stoffe verwendet werden können, soweit im Güterverzeichnis des Statistischen Bundesamtes Indizes dafür veröffentlicht werden. Entsprechend der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB soll vor Einleitung der Vergabeverfahren geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln vorliegen. Soweit die Terminsituation der Baumaßnahme es zulässt, sollen zur Sicherstellung des Wettbewerbs Vertragsfristen der aktuellen Situation angepasst zu vereinbaren sein.

„Durch Preisgleitklauseln sollen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht überschaubare Marktrisiken auf beide Vertragspartner in objektiv angemessener Weise verteilt und das unternehmerische Risiko reduziert werden. Dies führt unmittelbar auch zu Einspareffekten auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers, da der Bieter keine – oder jedenfalls geringere – Risikozuschläge für ungewisse Kostensteigerungen in die Angebotspreise einkalkuliert. Schließt der Auftragnehmer einen Bauvertrag, der eine Stoffpreisgleitklausel beinhaltet, darf er deshalb davon ausgehen, dass er einerseits von Marktrisiken, die darin bestehen, dass Baustoffpreise steigen, entlastet wird. Andererseits muss er damit rechnen, dass Vorteile, die aus Preissenkungen resultieren, an den Auftraggeber weitergegeben werden.“ BGH, Urteil vom 01.10.2014 – VII ZR 344/13, Rn. 16

Bei laufenden Vergabeverfahren sollen Stoffpreisgleitklausel nachträglich einbezogen und/oder die Ausführungsfristen an die aktuelle Situation angepasst werden können, wenn die (Er)Öffnung der Angebote noch nicht erfolgt ist. Bieteranfragen zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel sollen zu prüfen und soweit mit den Vorgaben des VHB vereinbar, zu genehmigen sein. Ist die Angebots(er)öffnung bereits erfolgt, soll geprüft werden, ob zur Sicherstellung des Wettbewerbs und zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung die Rückversetzung in den Stand vor Angebotsabgabe in Frage kommt, um Stoffpreisgleitklauseln einbeziehen und/oder Ausführungsfristen verlängern zu können.

„Mögen Stoffpreisgleitklauseln bzw. Materialpreisgleitklauseln branchenüblich verwandt werden, bedeutet dies nicht, dass dem Vertragspartner die Voraussetzungen und Auswirkungen der von der Bekl. vorgegebenen Stoffpreisgleitklausel so vertraut sind, dass er ohne besonderen Hinweis des Verwenders die sich für ihn hieraus ergebenden Risiken erkennen und bei seiner Kalkulation berücksichtigen kann.“ BGH, Urteil vom 25.1.2018 – VII ZR 219/14, Rn. 11

HINWEIS:
Stoffpreisgleitklauseln müssen als AGB insbesondere bestimmt genug sein und dürfen nicht überraschend sein.
Das Bestimmtheitsgebot verlangt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Anpassungsklauseln dürfen insbesondere nicht dergestalt unbegrenzt sein, dass sie dem Verwender die Erzielung zusätzlichen Gewinns ermöglichen.
Eine Stoffpreisgleitklausel des öffentlichen Auftraggebers von Bauleistungen ist überraschend und wird nicht Vertragsbestandteil, wenn sie ohne ausreichenden Hinweis den Auftragnehmer zur Vermeidung erheblicher Nachteile bei Stoffpreissenkungen dazu anhält, bereits bei seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abzuweichen. Ausführlich: Material- und Stoffpreisgleitklausel für Stahl: BGH bestätigt Verbot überraschender Klauseln im Baugewerbe

Bei bestehenden Verträgen soll eine Anpassung nur in besonders begründeten Ausnahmefällen im Rahmen von § 58 BHO und der dazu ergangenen VV–BHO in Betracht kommen. Ein Rechtsanspruch des Auftragnehmers wegen „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 Abs. 1 BGB) bestehe nur in seltenen Einzelfällen.

Der neue Erlass kommt sodann aber auch noch auf das Thema höhere Gewalt aus dem älteren Erlass zu sprechen:

„Wenn es dem Bauunternehmer selbst bei Zahlung höherer Einkaufspreise nicht möglich ist, die Baustoffe zu beschaffen (tatsächliche Unmöglichkeit), kann der Fall der höheren Gewalt (insbesondere infolge der COVID-19-Pandemie) oder eines anderen, vom Auftragnehmer nicht abwendbaren Ereignisses im Sinne des § 6 Absatz 2 Nummer 1c VOB/B vorliegen. Dadurch verlängern sich die Vertragsfristen. Beweispflichtig ist derjenige, der sich auf höhere Gewalt/das nicht abwendbare Ereignis beruft.“

HINWEIS:
Ein Wegfall bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage kann grundsätzlich eine Anpassung des Vertrages, aber auch ein Kündigungsrecht rechtfertigen. Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. Bei extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt, kann aber gleichwohl das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eingreifen. 

Siehe auch:
BGH zur Preiserhöhung wegen gestiegener Lohn- und Materialkosten infolge Bauzeitverzögerung

Auch bei der Vereinbarung von Preisgleitklauseln und anderen Anpassungsklauseln bleibt es wegen des Grundsatzes der Vertragstreue bei dem Prinzip, dass jede Seite die ihr zugeordneten Risiken zu tragen hat, wenn sie sich nicht zumutbar darum bemüht hat, sie zu vermeiden. Die Treue- und Kooperationspflicht der Vertragsparteien bleibt in der Form bestehen, bei Vertragsschluss konkret vorhergesehene Ereignisse und Umstände bzw. deren behindernden und störenden Auswirkungen auf die Vertragsdurchführung bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen im Sinne der erfolgreichen Realisierung des Vertragszwecks zu benennen und zu regeln, um nicht deren negativen Folgen tragen zu müssen. Gleiches gilt während der Vertragsdurchführung, pflichtwidrig verursachte Kostensteigerungen werden nicht angesetzt. Preisgleitklauseln sollen (nur) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht überschaubare Marktrisiken auf beide Vertragspartner in objektiv angemessener Weise verteilen und das unternehmerische Risiko reduzieren, nicht aber treu-, kooperations- oder sonst pflichtwidriges Verhalten „belohnen“.

Scheitert eine einvernehmliche Anpassung der Vergütung, so sind Preisanpassungsklauseln vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die Vertragsparteien es jener Partei, die glaubt, eine Erhöhung oder Ermäßigung der Vergütung beanspruchen zu können, die die andere Partei nicht zugesteht, anheimstellen, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen und die Leistung unter Ausgleich der gegenläufigen Interessen durch Urteil festsetzen zu lassen. Die Wahrung der ursprünglich dem Vertrag von den Parteien zugrunde gelegten Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung erfolgt im Streitfall also letztlich durch das Gericht.


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