Stay Silent? Speak Up?
Das fragte kürzlich die Boston Consulting Group (BCG, How CEOs Can Navigate a Polarized World, by Pete Engardio, April 22, 2024). Gerade aufgrund der bevorstehenden Wahlen in den USA und Europa stelle sich für CEOs die Frage, ob man sich zu politischen Themen äußern und für die eigenen Werte und Überzeugungen öffentlich einstehen soll.
In Deutschland haben viele namhafte Unternehmen bereits Antwort gegeben, sich gerade auch zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes am 23.05.2024 zu Wort gemeldet und sich zur freiheitlichen demokratischen Ordnung des Grundgesetzes bekannt. Auch deutliche Aufforderungen, bei der Europa-Wahl gegen rechtsextreme Kräfte zu stimmen, sind aus der Wirtschaft zu hören.
Besonders beeindruckend hierbei waren die Chefs von Mercedes und Siemens, Ola Källenius und Roland Busch (FAZ v. 22.05.2024) anlässlich des 75. Geburtstages des Grundgesetzes:
„Wir müssen jetzt aufstehen und einschreiten.“
Eindringlich mit den Worten von Busch (Siemens):
„Wir leben davon, dass wir eine diverse, eine offene, eine tolerante Kultur haben. Es gilt das Grundgesetz, die Würde, die Gleichheit und die Freiheit. Und diese Werte gilt es zu leben, zu verteidigen. Dafür müssen wir aufstehen – als Wirtschaft, aber auch als Politik.“
Wichtige Signale in Zeiten, in denen Diversität, Offenheit und Toleranz Begriffe sind, die sehr wütende Menschen derart triggern, dass sie sich in aller Öffentlich radikalisieren.
In das Visier von Radikalen und Populisten geraten dann auch Unternehmen, die öffentlich Haltung zeigen, auch wenn es so grundsätzliche Dinge sind wie die Grundwerte des GG.

Gezeigt hatte sich das auch in den USA. Man denke an Floridas Governeur Ron DeSantis, der sogar gegen den größten Arbeitgeber und Steuerzahler des eigenen Bundesstaates vorgegangen war, weil ihm Disney wegen der liberalen, weltoffenen und pluralistischen Haltung nicht passte. DeSantis ist im US-Präsidentschafts-Vorwahlkampf der Republikaner und auch gegen Disney vor dem United States District Court for the Northern District of Florida untergegangen. Er hatte Grundlegendes verkannt: „Many voters on the right, in line with the traditional conservative ideology, don’t want government meddling in business,“ so das US-Magazin Politico.
Trotzdem war mit dem Feindbild der politisch extrem Rechten – dem ESG-Ansatz – der Kulturkampf in die Finanzwelt und die Wirtschaft getragen worden. Repubikanische Hardliner störten sich daran, dass in den letzten Jahren ESG-Prinzipien und das Eintreten für die Klimakrise in den amerikanischen Unternehmen zur Selbstverständlichkeit geworden war. Was dann als vereinzelte Kritik an ESG begann, hatte sich zu einer reaktionären Gegenreaktion aufgebaut, in der Kritik an ESG als Mittel zur politischen Mobilisierung und Spaltung benutzt wurde. Republikanische Abgeordnete auf dem Capitol Hill hatten sich schon vor den Midterms vorgenommen, das zu bekämpfen, was sie als „woke capitalism“ bezeichnen, und die Wall-Street-Firmen zu verunglimpfen, die den Klimawandel als wirtschaftliches Risiko betrachten. Aufgrund dieses Backlash kam die Frage auf: ESG at risk?
Eine Bloomberg-Umfrage hatte jedoch schon ergeben, dass die Finanzbranche infolge der politischen Angriffe vom rechten Rand zwar zurückhaltender sein will bei der Verwendung des Begriffs ESG, sich aber nicht davon abhalten lässt, die ESG-Grundsätze weiterhin in ihre Geschäftstätigkeit einzubeziehen. Politische Angriffe mögen zwar die Nomenklatur prägen, wenngleich auch dies zunehmend erfolglos, werden aber laut der Bloomberg-Umfrage den Ansatz der Finanzbranche bei der Bewältigung einiger Schlüsselkomponenten von ESG wie dem Klimawandel kaum ändern. Nur 18 % der Befragten, die sich selbst als ESG-Anwender bezeichnen, gaben an, dass die Gegenreaktion auf die Bezeichnung sie davon abhält, Klimafaktoren in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen. Die überwältigende Mehrheit will, dass die Politik sich nicht mehr einmischt.
Auch der Think Tank The Conference Board hatte in einem Report „How Companies Can Address ESG Backlash“ festgeshalten, dass der Widerstand gegen ESG bisher keine nennenswerte Unterstützung oder Reaktion bei institutionellen oder privaten Investoren erreichen konnte. In einer dortigen Umfrage unter Führungskräften gaben die meisten CEOs an, weltweit und in den USA ihre nachhaltigkeitsbezogenen Investitionen nicht aufgrund von ESG-Kritik einschränken zu wollen. Allerdings möchte eine Minderheit der Führungskräfte (17 Prozent in den USA) proaktiv ihre Prioritäten ändern oder ihren Fokus neu ausrichten, um sicherzustellen, dass ihre Nachhaltigkeitsbemühungen effektiv und wirkungsvoll bleiben.
- Nach dem Report kann der ESG-Backlash auch dazu beitragen, die Art und Weise, wie Unternehmen über ESG sprechen, zu schärfen, indem sie den Business Case für die ESG-Integration klarer formulieren und darlegen, wie sie die Wertschöpfung und die Aktionärsrendite steigern. 63 Prozent der Unternehmen, die von Rückschlägen betroffen waren, haben laut einer Umfrage ihren Fokus auf die Verbindungen zwischen ESG und Shareholder Value verstärkt.
- Die Hälfte der Unternehmen, die einen ESG-Backlash erlitten haben, passen demnach auch proaktiv ihre Terminologie an, wenn sie ESG-bezogene Themen diskutieren – in der Regel, indem sie sich auf „Nachhaltigkeit“ anstelle von ESG beziehen. Während „ESG“ bei Investoren gut ankäme, würde „Nachhaltigkeit“ von Mitarbeitern, Kunden und politischen Entscheidungsträgern tendenziell besser verstanden.
„Despite growing backlash, it is important for companies to not lose sight of the powerful pro-ESG market and regulatory forces shaping the business landscape. These include demand from investors for sustainable investment options, growing consumer preferences for sustainable products and services, the importance of purpose-driven work for attracting and retaining talent, the perceived importance of ESG factors in risk management, and the increasing implementation of ESG-related regulations and reporting requirements by governments and regulatory bodies.„
The Conference Board: How Companies Can Address ESG Backlash, 2023
Auch nach der BCG gibt es bisher kaum Anzeichen dafür, dass Unternehmen auf breiter Front von ihren Grundwerten und Positionen zu ökologischen und sozialen Fragen abrücken. Zwei Drittel von fast 900 Vorstandsmitgliedern in 19 Branchen gaben in einer Studie aus 2023 an, dass sie der Meinung sind, dass Nachhaltigkeit stärker in die Geschäftsstrategien ihrer Unternehmen integriert werden sollte. In einer weiteren Umfrage vom Januar 2024 stimmten 59 % der Führungskräfte zu, dass Unternehmen „die Verantwortung haben, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern und zu handeln, auch wenn diese heikel oder kontrovers sind.
The strong business case for sustainability and diversity programs is one reason C-suites are not reversing course. Research shows companies that invest strategically in sustainability initiatives that are germane to their business can enhance shareholder returns by up to 5%. And key stakeholders still expect businesses to engage on important issues. Some 40% of directors in the BCG, INSEAD, and Heidrick & Struggles survey said ESG demands from customers, capital providers, and talent are growing.
BCG, How CEOs Can Navigate a Polarized World, by Pete Engardio, April 22, 2024
Ein klare Ergebnis des „Anti-Woke-Backlashes“ für die Unternehmen ist auch nach dem BCG-Bericht neben einer begrifflichen Schärfung und strategischen Optimierung eine stärkere Verknüpfung der umweltbezogenen und sozialen Bekenntnise mit ihrem Business Case. Be authentic, make the business case, be consistent, be strategic and tactical & be prepared – das sind die BCG-Empfehlungen.
BCG und The Conference Board stimmen auch in der Einschätzung überein, dass es gerade auch die regulatorischen Entwicklungen sind, welche den Fokus der Corporate-Community auf ESG weiter schärfen werden, in den USA wie in Europa und international. Genannt sind neben den klimabezogenen Offenlegungsregelungen der US Securities and Exchange Commission auch die EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Standards des International Sustainability Standards Board (ISSB).
Das angesprochene ISSB verkündete eben erst, dass Länder, die gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) mehr als die Hälfte der Weltwirtschaft repräsentieren, Schritte angekündigt haben, um die Standards des International Sustainability Standards Board (ISSB) zu verwenden oder ihre Standards für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten vollständig an die des ISSB anzugleichen. Diese Länder stehen zusammen für fast 55% des weltweiten BIP, für mehr als 40 % der weltweiten Marktkapitalisierung; und für mehr als die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Außerdem ist der Klimastandard des ISSB, IFRS S2, nun die Grundlage für die Klimaberichterstattung des CDP.


Auf die mehr als 20 Jurisdiktionen, die Schritte zur Übernahme oder anderweitigen Anwendung der ISSB-Standards unternommen haben, entfallen sogar rund 75 % der weltweiten Marktkapitalisierung, wenn man die USA herausrechnet. In den USA hat die US Securities and Exchange Commission die Regeln zur Verbesserung und Standardisierung der klimabezogenen Offenlegung für Investoren verabschiedet, die wiederum Ähnlichkeiten mit den ISSB-Standards haben, letztere aber noch nicht in den US-Standard integriert (die ISSB-Standards sind v.a. noch keine anerkannte Altertanitive zu den SEC-Standards).
Nach den US-Regeln bestehen Offenlegungspflichten u.a. wie folgt:
- Klimabezogene Risiken, die einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsstrategie, das Geschäftsergebnis oder die Finanzlage des Registranten hatten oder mit hoher Wahrscheinlichkeit haben werden.
- Die tatsächlichen und potenziellen wesentlichen Auswirkungen aller identifizierten klimabezogenen Risiken auf die Strategie, das Geschäftsmodell und die Aussichten des Registranten.
- Spezifizierte Angaben zu etwaigen Aktivitäten eines Registranten zur Abschwächung oder Anpassung an ein wesentliches klimabezogenes Risiko, gegebenenfalls einschließlich der Verwendung von Übergangsplänen, Szenarioanalysen oder internen CO2-Preisen.
- Jegliche Beaufsichtigung klimabezogener Risiken durch den Vorstand und jegliche Rolle der Geschäftsleitung bei der Bewertung und dem Management der wesentlichen klimabezogenen Risiken des Registranten.
- Alle Verfahren, die der Registrant zur Ermittlung, Bewertung und Steuerung wesentlicher klimabezogener Risiken einsetzt, und, falls der Registrant diese Risiken steuert, ob und wie diese Verfahren in das allgemeine Risikomanagementsystem oder die allgemeinen Risikomanagementverfahren des Registranten integriert sind.
- Informationen über die klimabezogenen Ziele eines Registranten, die sich wesentlich auf die Geschäftstätigkeit, das Geschäftsergebnis oder die Finanzlage des Registranten ausgewirkt haben oder wahrscheinlich auswirken werden.
The importance of climate-related disclosures for investors has grown as investors, companies, and the markets have recognized that climate-related risks can affect a company’s business and its current and longer-term financial performance and position.
U.S. SECURITIES AND EXCHANGE COMMISSION: The Enhancement and
Standardization of Climate-Related
Disclosures – March 6, 2024

Siehe auch:
Sustainability & ESG: Neue Guidelines, Standards und Regulations zu Finance, Fonds, Benchmarks, Reporting & Disclosure
ESG, Climate & Sustainability Disclosure zwischen Backlash und Fortschritt: Neue Trends, Regelungen, Standards, Muster, Leitfäden und Reporting- / Vertragsempfehlungen
In der EU gibt es mittlerweile eine weitere begriffliche Schärfung, durchaus im BCG-Sinne von be authentic, make the business case, be consistent, be strategic and tactical and be prepared. Im Mai 2024 hat die ESMA ihren Final Report vorgelegt mit den Leitlinien für Fondsnamen mit ESG- oder nachhaltigkeitsbezogenen Begriffen.
In recent years, investor demand for investment funds that incorporate environmental, social
ESMA, Final Report: Guidelines on funds’ names using ESG or sustainability-related terms, 14 May 2024
and governance (ESG) factors has been growing sharply and it is expected to continue
growing in the future. Competitive market pressures create incentives for asset managers
to include terminology in their funds’ names designed to attract investor assets. This
increasing demand has led to concerns in ESMA. Misleading sustainability disclosures may give rise to risk of “greenwashing”. This is particularly relevant if funds are named as green
or socially sustainable, when sufficient sustainability standards commensurate with that name have not been met.
Außerdem hat die ESMA ihren Final Report on Greenwashing vorgelegt. Auch hierbei geht es um terminologische Klarheit, um begriffliche Belastbarkeit, um Glaubhaftigkeit und um Konsistenz:
Greenwashing risks refer to the risks of misleading sustainability claims occurring and misleading investors in their decisions. Sustainability-related claims refer to statements, declarations or communications provided either to comply with disclosure requirements or as part of voluntarily communications (e.g., advertisements), while the narrower concept of sustainability-related disclosures refers only to statements, declarations or communications provided to comply with disclosure requirements.
ESMA, Final Report on Greenwashing, 4 June 2024, Zitat und Auszüge


Und ebenfalls in der EU hat die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) für ihre European Sustainability Reporting Standards (ESRS) Ende Mai die ersten drei ESRS Implementation Guidance Documents veröffentlicht:
- IG 1: Materiality Assessment Implementation Guidance (MAIG)
- IG 2: Value Chain Implementation Guidance (VCIG)
- IG 3: List of ESRS Datapoints
Auch hier wird letztlich Transparenz und Konsistenz gefördert und gefordert.
These documents provide essential guidance to ensure organisations effectively implement and comply with ESRS standards, promoting transparency and consistency in sustainability reporting.
EFRAG, 31/05/2024 – Finalization of Three EFRAG ESRS IG Documents (EFRAG IG 1 to 3)
Kommen wir abschließend wieder zurück zu den Statements der Chefs von Mercedes und Siemens, Ola Källenius und Roland Busch. Alles richtig gemacht, kann man sagen. Und nun mit der Aufforderung von Ola Köllenius:
„Mehr Can-do-Mentalität. Mehr gestalten statt verwalten. Stolz sein auf das Erreichte, aber hungrig bleiben, sich weiter zu verbessern. Und immer nach vorne schauen, immer auf Sieg spielen.“
Ola Källenius, FAZ v. 22.05.2024
Treffende Worte in Zeiten, in denen hierzulande Gejammer und Schlechtreden zur größten Gefahr für den Wirtschaftsstandort geworden ist, während die USA in Sachen Zukunftstechnologien klar auf Sieg spielen.
Der Clean Infesntment Monitor hatte eben dokumentiert, dass Biden’s Inflation Reduction Act wirkt. Denn entgegen seiner Bezeichnung ist der Inflation Reduction Act (IRA) eigentlich ein Klimaschutzgesetz, das Steueranreize in Höhe von 370 Milliarden Dollar für Wind- und Solarenergie, Elektrofahrzeuge und energieeffiziente Gebäudenovierungen umfasst. Im vergangenen Jahr wurden demnach in den USA neue Investitionen in Höhe von 265 Milliarden Dollar in die Herstellung und den Einsatz von sauberer Energie, sauberen Fahrzeugen, Gebäudeelektrifizierung und Carbonmanagementtechnologien getätigt, ein Anstieg um 39 % gegenüber dem Vorjahr. Ein Rekordwert von 71 Mrd. USD dieser Investitionen wurde im ersten Quartal 2024 getätigt, was einem Anstieg von 40 % gegenüber dem gleichen Zeitraum 2023 entspricht.
Can-do-Mentalität as its best, während hierzulande eine Zukunftstechnologie nach der anderen schlechtgeredet wird. Kulturkrieg von rechtsaußen, der dem Land schadet. Und auch das ist in den USA anders. Wie schrieb BlackRock süffisant in seinem Gegenangriff an GOP Attorneys General of the States? „Republican districts are well ahead of their Democratic counterparts in advancing clean-energy projects and deploying clean-energy technology.“
Und tatsächlich werden gerade im republikanisch geprägten Süden der USA Mittel aus dem IRA abgerufen und investiert. Wer auf politischer Bühne gegen „Green“ oder ESG in den Kulturkampf zieht, investiert zuhause tatsächlich durchaus in grüne Zukunftstechnologien und wappnet sich gegen die Folgen des Klimawandels. Ein DeSantis negiert öffentlich den menschengemachten Klimawandel, investiert aber natürlich trotzdem in den Schutz der Küste von Florida. Seine Freunde hierzulande bekommen diese Trennung nicht immer hin und laufen Gefahr, ihrem eigenen Kulturkampf zu glauben. Die Folge sehen wir: Sie versinken im wahrsten Sinne in den Folgen des Klimawandels.
Was aber hilft, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht? Aufstehen. In diesem Sinne:

Siehe auch:
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Titelbild: Danke LEGO für das wunderbare duplo-Set






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