Wenn die Natur zurückschlägt. Unbestätigten Angaben zufolge war ein Baum derart von dem Dieselqualm eines Schummel-VWs genervt, dass er einen Windstoß zum Anlass nahm, um frische Luft zu holen – und einen Ast auf den VW fallen zu lassen. Naja, so oder so ähnlich…

Jedenfalls geht es in einem aktuellen BGH-Urteil um einen VW Golf, beschädigt von dem herabfallenden Ast eines Baumes der beklagten Grundstückseigentümerin. Haftete die Grundstücks- und Baumeigentümerin nun dem VW-Fahrer für den eingetretenen Schaden? Europäische VW-Fahrer kennen die Antwort aus der Diskussion um die Frage der Entschädigung von Diesel-Betrugsopfern: Nein.

Anschaulich zeigt der BGH in seiner Entscheidung auf, ob und inwieweit der Grundstückseigentümer zu Sicherung seines Grundstückes und insbesondere des darauf befindlichen Baumbestandes verpflichtet ist – und geht noch auf eine im vorliegenden Fall entscheidende Besonderheit ein.


Die Verkehrssicherungspflicht

Nach geltendem Recht besteht für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um andere vor Schäden zu bewahren.

Für den Baumbestand auf Grundstücken bedeutet das:

  • Im Rahmen dieser Verkehrssicherungspflicht hat derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück ausübt, soweit möglich und zumutbar grundsätzlich dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für die Rechtsgüter anderer – etwa auf öffentlichen Verkehrsflächen oder benachbarten Privatgrundstücken – ausgeht.
  • Dazu gehört es, den Baumbestand in angemessenen Zeitabständen zum Beispiel auf Krankheitsbefall oder Äste, die herunterfallen könnten, zu überwachen.

Die Delegation der Verkehrssicherungspflicht

Wird die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten delegiert, so wird der Dritte für den Gefahrenbereich nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen verantwortlich.

Der ursprüngliche Verkehrssicherungspflichtige ist dadurch aber nicht völlig entlastet. Er bleibt – in Grenzen – zur Überwachung des Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich.

Das gilt in folgenden Fällen:

  1. Wenn die Verkehrssicherungspflicht vertraglich auf einen Dritten übertragen worden ist.
  2. Wenn ein Dritter faktisch die Aufgabe der Verkehrssicherung in dem Gefahrenbereich übernommen hat und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf ein Tätigwerden des Dritten verlässt.
  3. Wenn sich aufgrund der faktischen Gegebenheiten einer Geschäftssparte, etwa bei internationalen Warenlieferungs- und Transportketten, die Verlagerung der Möglichkeiten zur primären Gefahrenbeherrschung auf weitere Beteiligte nicht vermeiden lässt.

Im Hinblick auf den Umfang der Überwachungspflichten kann es darauf ankommen, ob der Deliegerende darauf vertrauen kann, dass der Dritte seinen Verpflichtungen auch nachkommt oder ob konkrete Anhaltspunkte bestehen, die dieses Vertrauen erschüttern.


Was gilt bei unfreilligem Entzug der tatsächlichen Verfügungsgewalt?

Von den vorstehend genannten Fällen sind solche zu unterscheiden, in denen dem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Gefahrenquelle gegen oder ohne seinen Willen entzogen wird, er sich seiner Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gefahrenquelle also nicht freiwillig begibt.

In diesen Fällen entfällt die Verkehrssicherungspflicht desjenigen, dem die tatsächliche Verfügungsgewalt entzogen wurde. Es verbleibt in solchen Fällen auch kein Raum für eine reduzierte Verkehrssicherungspflicht in Form von Überwachungspflichten.

Wer mit der zwangsweisen Verlagerung seiner tatsächlichen Verfügungsgewalt auf einen Dritten konfrontiert wird, den er nicht auswählt und auf den er rechtlich nicht einwirken kann, hat diesen nicht zu überwachen.

Die Überwachungspflicht entfällt unabhängig davon, ob der Eigentümer darauf vertrauen konnte, dass nunmehr eine sachkundige und kompetente Stelle für die Verkehrssicherung des Grundstücks zuständig ist.

Dies gilt etwa in den folgenden Fällen:

  • Für die Dauer der Zwangsverwaltung obliegt die Pflicht, für die Beseitigung der den Verkehr gefährdenden Mängel eines Grundstücks zu sorgen, ausschließlich dem Zwangsverwalter, weil dem Eigentümer infolge der Zwangsverwaltung jede Einwirkung auf das Grundstück verwehrt ist.
  • Auch wenn und soweit eine öffentlich-rechtliche Herrschaft über eine Sache besteht, wie beispielsweise bei Widmung derselben zum Gemeingebrauch, kann der privatrechtliche Eigentümer dieser Sache sein privates Recht insoweit nicht mehr ausüben und in seiner Rolle als Privateigentümer nichts mehr zur Verkehrssicherung unternehmen.

Im konkreten Fall ging es um eine vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG. Eine solche findet statt, wenn sich der Eigentümer oder Besitzer eines für eine Fernstraßenbaumaßnahme benötigten Grundstücks weigert, den Besitz an dem Grundstück dem Baulastträger freiwillig durch Vereinbarung zu überlassen. Die Enteignungsbehörde hat dann den Träger der Straßenbaulast auf Antrag nach Feststellung des Plans oder Erteilung der Plangenehmigung in den Besitz des benötigten Grundstücks einzuweisen. Durch die Besitzeinweisung wird Besitzer der Besitz entzogen und der Träger der Straßenbaulast wird Besitzer, damit er auf dem Grundstück das Bauvorhaben ausführen und die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen kann.

Die beklagte Eigentümerin hatte damit trotz der ihr verbliebenen – formalen – Eigentümerstellung die deliktische Verantwortung für die Kontrolle der Bäume auf dem ihrem Besitz und ihrer Bestimmungsmacht entzogenen Grundstück für die Dauer der Besitzeinweisung gänzlich verloren. Auch ein Pflicht zur Überwachung des neuen Besitzers bestand demnach nicht.

Auch der Umstand, dass die Grundstückseigentümerin den Baulastträger rein tatsächlich zur Baumkontrolle hätte anhalten können, konnte eine diesbezügliche deliktsrechtliche Verpflichtung nicht begründen.


Zum Urteil: VI ZR 395/16


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