Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch einer E-Ladesäule typischerweise entstehenden Beeinträchtigungen durch An- und Abfahrten, Türen- und Kofferraumschlagen bzw. Ein- und Aussteigen sowie Stimmen von Fahrgästen u.ä. von Anwohnern (auch in einem reinen Wohngebiet) als zumutbare sozialadäquate, aus dem Gemeingebrauch fließende Belastungen, ggf. auch in der Nachtzeit, hinzunehmen sind.
Ein Anwohner hatte sich im einstweiligen Rechtschutzverfahren gegen die Einrichtung und den Betrieb einer E-Ladesäule mit tageszeitlicher Parkbevorrechtigung von 8- 18 Uhr vor seinem Wohnhaus gewendet – ohne Erfolg.
Hierbei ging es um die Überprüfung einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung für eine öffentliche Straße. Sämtliche Verkehrsteilnehmer können dabei die Ladesäule gleichermaßen nutzen:
- Ladesäulen in der Größenordnung herkömmlicher Parkscheinautomaten sind nach dem OVG Straßenzubehör; sie sind Verkehrseinrichtungen, die der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienen und damit Zubehör zur Straße im straßenrechtlichen Sinne.
- Der Gebrauch öffentlicher Straßen, zu denen nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Nr. 3 BerlStrG auch das Zubehör zur Straße gehört, ist gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG jedem im Rahmen der Widmung gestattet (Gemeingebrauch).
Es kommt nicht darauf an, ob die Ladesäule zur Aufladung von Fahrzeugen der Anwohner des Wohngebietes oder zur Aufladung von Elektrofahrzeugen einer Autovermietung genutzt wird.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2022 – 1 S 28/22
Dass die Rechtsordnung diese Belastungen als grundsätzlich zumutbar wertet, ergibt sich nach dem OVG auch aus der Straßenverkehrsordnung, die das Parken an öffentlichen Straßen überall, d.h. auch in reinen Wohngebieten, als Gemeingebrauch erlaubt und lediglich bestimmte Einschränkungen vorsieht, die aber nicht gegeben waren. Dies gilt explizit auch für elektrisch betriebene Fahrzeuge, wie das OVG aus einem Umkehrschluss aus § 13 Abs. 5 Satz 3 StVO i.V.m. § 12 Abs. 3a StVO schlussfolgert: Auch im reinen Wohngebiet sind nur bestimmte Kraftfahrzeuge vom Parken ausgeschlossen, wozu E-Autos gerade nicht gehören.
„Der Ladevorgang eines Mietautos stellt – anders als die Beschwerde offenbar meint – auch keine gewerbliche Tätigkeit dar. Diese liegt allein in der Vermietung des Fahrzeugs. Von einer unzulässigen gewerblichen Tätigkeit in einem reinen Wohngebiet kann daher keine Rede sein.“
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2022 – 1 S 28/22

Das OVG grenzt seine Entscheidung ab zu einem Fall, der kürzlich vom Verwaltungsgericht Berlin entschieden wurde (Urteil vom 31. März 2022, 13 K 184/19). Dort ging es nicht um eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung, sondern darum, dass eine Immobilieneigentümerin im zweiten Hinterhof eines Wohnkomplexes fünf Parkplätze mit zwei Elektroanschlüssen errichten wollte und dafür eine Baugenehmigung beantragte. Das Bezirksamt lehnte das ab wegen der Schallimmissionen und das Verwaltungsgericht Berlin folgte dem: Zwar gingen von den Elektroautos keine störenden Fahrgeräusche oder akustische Warnsignale aus, aller Voraussicht nach würden aber die Geräusche des Türen- und Kofferraumschlagens die zulässigen nächtlichen Werte überschreiten. Geräusche, die durch das nächtliche Türen – und Kofferraumschlagen von Elektroautos ausgehen, können nach dem VG in einem Hinterhof untypisch und unzumutbar sein und deshalb gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot verstoßen.
Das OVG hält die beiden Fälle nicht für vergleichbar:
- Im Fall des VG ging es um die Frage der „Rücksichtslosigkeit einer Baugenehmigung“ zur Errichtung von Stellplätzen für E- Fahrzeuge im Hinterhof von überwiegend zur Wohnung genutzten Gebäuden.
- Im Fall des OVG ging es um eine Ladesäule als Straßenzubehör, welches als öffentliche Verkehrsanlage keiner Baugenehmigungspflicht unterliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 BauO Bln).
Mit dem OVG gehören das gewöhnliche Öffnen und Schließen von Türen und Kofferraum, das Ein- und Aussteigen sowie Stimmgeräusche und An- und Abfahrverkehr zu den notwendigen, typischerweise mit dem Parkvorgang verbundenen und daher hinzunehmenden Emissionen.
Einen Anspruch auf absolute Stille in der Nachtzeit gibt es hingegen auch im reinen Wohngebiet nicht.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2022 – 1 S 28/22
Die Entscheidung des VG steht spätestens seit der OVG-Entscheidung auf wackeligen Füßen. Sie war aber auch aus dem Grund nicht recht überzeugend, da sich in dem besagten Hinterhof zuvor sogar eine Autowerkstatt befand und die weitere Annahme des VG, eine Auflage des Inhalts, lautes Türenschlagen des nachts zu vermeiden, sei bei lebensnaher Betrachtung nicht umzusetzen, unabhängig von den zunehmend verbreiteten automatischen Schließ- und Öffnungsmechanismen doch arg „bequem“ wirkt.
IN DEPTH:
Das OVG Rheinland-Pfalz hat eben mit Urteil vom 17.08.2022 (8 C 11319/21) entschieden, dass es erhaltungsrechtlich kein legitimer Zweck ist, vorhandene Vorgartenbereiche als begrünte Flächen zu erhalten und dort die Errichtung insbesondere von Stellplätzen zu verhindern.
Mit dem städtebaurechtlichen Instrument der Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB kann keine reine „Freihalteplanung“ dergestalt verfolgt werden, dass Ziel der Satzung ausschließlich die Freihaltung von begrünten Vorgärten von jeglicher Bebauung (außer vorhandenen Einfriedungen) sein soll. Und das Ziel der Erhaltung der umweltschutzrelevanten Funktion von Vorgärten kann demnach nicht Regelungsziel einer auf der Grundlage des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB erlassenen Erhaltungssatzung sein.
Hauptziel einer Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB muss die Erhaltung einer vorhandenen, optisch wahrnehmbare Besonderheiten aufweisenden und deshalb das Ortsbild oder die Stadtgestalt prägenden Bebauung sein. Das Erhaltungsziel kann sich dabei auch auf die vorhandene prägende Bebauung umgebende Freiflächen erstrecken.
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