Die „Angst“ vor dem mietrechtlichen Schriftformgebot hat bereits diverse Reformvorschläge hervorgebracht, die aber ihrerseits in Teilen „angsteinflößend“ – weil offenkundig nicht ausgereift – waren und folglich zumindest bislang nicht umgesetzt wurden.
Gesetzliche Schriftform im Mietvertrag: Neues Urteil – und neues Recht? Zum Reformentwurf des Bundesrates
Zur Reform der Schriftform im Gewerbemietrecht: Neuregelung mit Textform und Teilnichtigkeit entworfen
Das OLG Frankfurt hat in einem aktuellen Fall aufgezeigt, dass die Antwort auf das Schriftformthema nicht in übereilten Gesetzgebungsinitiativen, sondern in einer besonnenen Rechtsanwendung bestehen kann.
Das OLG Frankfurt stellt fest, dass es zahlreiche Fallgestaltungen gibt, in denen § 550 BGB den Zweck, einem späteren Grundstückserwerber Klarheit über die Bedingungen eines langfristigen Mietvertrages zu verschaffen, in denen er kraft Gesetzes eintritt, nicht umfassend gewährleisten kann. Es gibt Fallgestaltungen, in denen es an dem potentiellen Erwerber ist, sich bei dem Verkäufer oder bei dem Mieter zu erkundigen und Nachforschungen anzustellen. Das OLG kann sich hier auf den BGH berufen.
Das OLG Frankfurt zeigt eine ganze Reihe an Prüfungs- und Anwendungskriterien für das mietrechtliche Schriftformgebot auf. Dabei befasst sich das Gericht im Besonderen mit den Besonderheiten einer „Vermietung vom Reißbrett“.
IN DEPTH:
Nach § 550 i.V.m. § 578 Abs. 1 BGB müssen Mietverträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr bekanntlich die gesetzliche Schriftform wahren. Das ist dann der Fall, wenn sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen (insbesondere: Mietgegenstand, Miete, Dauer und Parteien) aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergibt.
Ausgenommen vom Schriftformgebot sind nur solche Abreden, die für den Inhalt des Vertrages von nur nebensächlicher Bedeutung sind.
Das mietrechtliche Schriftformgebot dient v.a. dem Schutz eines späteren Grundstückserwerbers, der kraft Gesetzes auf Seiten des Vermieters in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Mietverhältnis eintritt:
Er soll die Mietvertragsbedingungen aus dem schriftlichen Mietvertrag ersehen können.
Er soll davor geschützt werden, sich auf einen Mietvertrag einzulassen, dessen wirtschaftliche Bedingungen sich anders als erwartet darstellen, etwa wegen einer vom bisherigen Vermieter nur mündlich vereinbarten Mietreduzierung.
Sein Schutzinstrument besteht darin, dass er nach der gesetzlichen Konzeption im Fall eines Schriftformmangels berechtigt ist, sich vom Mietvertrag vorzeitig durch ordentliche Kündigung zu lösen.
§ 550 BGB will aber nicht nur sicherstellen, dass ein späterer Grundstückserwerber, der kraft Gesetzes auf Seiten des Vermieters in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Mietverhältnis eintritt, dessen Bedingungen aus dem schriftlichen Mietvertrag ersehen kann. Vielmehr dient sie ebenfalls dazu, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden auch zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien zu gewährleisten und diese vor der unbedachten Eingehung langfristiger Bindungen zu schützen (siehe HIER).
Bei der Vermietung von Räumen in einem noch zu errichtenden Gebäude (Vermietung vom Reißbrett) kann sich die erforderliche Bestimmbarkeit des Mietobjekts zum einen aus Plänen ergeben, in denen die vermieteten Räume gekennzeichnet sind, zum anderen aber auch aus einer in der Vertragsurkunde selbst enthaltenen, hinreichend genauen Beschreibung der Größe und Lage der Mieträume im Gebäude. Es genügt daher, wenn das Mietobjekt auf die eine oder andere Weise formrichtig und hinreichend bestimmbar bezeichnet ist.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
Treuwidrigkeitseinwand
Das OLG betont die erste Abwehrebene gegen eine schriftformbedingte Kündigung: Es verstößt gegen Treu und Glauben, wenn eine Mietvertragspartei eine nachträglich getroffene Abrede, die lediglich ihr vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem langfristigen Mietvertrag zu lösen.
So konnte die Vermieterin sich schon nicht auf einen Schriftformverstoß aufgrund einer von der tatsächlichen Mietfläche abweichenden Vereinbarung zur Quadratmeterzahl für die Mietberechnung berufen, da diese Vereinbarung für sie günstig war – die Mieterin zahlte die entsprechende Miete seit Jahren, obwohl nach der tatsächlichen MIetfläche eine geringere Miete gelten würde.
Siehe auch: Zur Bedeutung konsistenter Vertragsgestaltung im Immobilienrecht und Baurecht
Nebensächliche Abreden
Das OLG betont eine weitere wichtige Abwehrebene gegen eine Kündigung infolge Schriftformverstoßes: Von der Schriftform ausgenommen sind solche Abreden, die für den Inhalt des Vertrags, auf den die Parteien sich geeinigt haben, von nur nebensächlicher Bedeutung sind.
Eine solche Nebensächlichkeit nimmt das Gericht bei der Vereinbarung zu Außenanlagen/Beleuchtung Parkplatz und Werbeanlagen mit Regelungen über Beleuchtungsverteilung und Aufteilung der Stromkosten an.
Heilung von Schriftformmängeln
Schriftformheilungsklauseln sind bekanntlich unwirksam. Jedoch weist das OLG Frankfurt auf eine fortgeltende Heilungswirkung hin: Die nachträgliche Heilung von formunwirksam abgeschlossenen Mietverträgen durch formwirksam abgeschlossene Nachträge.
Zu Recht verweist das Landgericht zudem darauf, dass die sich auf Ziffer 2 und Ziffer 18 des Mietvertrages beziehenden Bauleistungen schon vollzogen worden sind und in der Zwischenzeit formwirksame Nachträge zum Mietvertag unterschrieben wurden. Ein etwaiger Formmangel wäre daher geheilt. Denn durch die körperlich vorhandene, den Vertragsparteien bekannte und von ihnen akzeptierte Bauleistung hätten die Baupläne ihre frühere Funktion, einen wesentlichen Teil des Vertragsinhaltes zu beschreiben, verloren. Eine ggf. fehlende Beschreibung der Mietsache wird durch die körperlich vorhandene, den Vertragsparteien bekannte und von ihnen akzeptierte Ausgestaltung der Mietsache ersetzt.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
Single Tenant
Besondere Erleichterungen gelten, wenn ein einziger Mieter das gesamte Objekt anmietet. So hielt es das OLG für unschädlich, dass sich die konkrete Quadratmeterzahl der Nutzfläche und dadurch die konkrete Miete nicht direkt aus dem Mietvertrag ergab.
Bei einer Vermietung „vom Reißbrett“ ist der Mietgegenstand zwar besonders genau zu beschreiben, weil die tatsächliche Ausgestaltung der Räume in diesem Fall bei der Auslegung des Mietgegenstands nicht herangezogen werden kann. Hat ein Mieter aber, wie hier, das gesamte Gebäude/Grundstück angemietet, ist sogar das Fehlen eines Lageplans sowie der Baubeschreibung, in denen der Mietgegenstand beschrieben wird, für die Wahrung der Schriftform regelmäßig unerheblich, sodass es auf das Fehlen der exakten vermieteten Quadratmeterzahl nicht ankommen kann.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
Berechnungsparameter entscheidend
Ausreichend ist es nach dem OLG, wenn die Parteien sich im Vertrag auf eine fest bestimmte „vorläufige“ Miete anhand einer vorläufigen Quadratmeterzahl bis zur Erstellung des Aufmaßes und darüber einigen, dass die genaue Größe der vermieteten Nettoflächen von den Parteien nach DIN 277 gemeinsam ermittelt wird.
- Ausreichend und entscheidend ist demnach zunächst, dass die konkrete Berechnungsgrundlage sowie eine konkrete vorläufige Miethöhe sich aus dem Vertrag ergeben. Maßgeblich für die Beurteilung der Formwirksamkeit ist dabei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
- Entscheidend ist sodann, dass der Vertrag zum einen einen Hinweis auf die zukünftige Ermittlung der vermieteten Nettofläche und zum anderen die konkrete Berechnungsgrundlage mit den zugrundeliegenden Quadratmetermietpreisen enthält. Der Erwerber kann damit nach dem OLG aus den Mietvertragsunterlagen ersehen, in welche konkreten Vereinbarungen er auch in Bezug auf die Miethöhe eintritt.
- Die von den Parteien vertragsgemäß ermittelte konkrete Fläche kann ein Erwerber nach dem OLG durch den vertraglichen Verweis auf die zukünftige Ermittlung und die vertragliche Berechnungsgrundlage sodann „unproblematisch“ aus den Mietüberweisungen ersehen.
- Ein schriftliches Aufmaß als Nachtrag zum Mietvertrag soll somit nicht notwendig sein (es sei denn, die nachträgliche Einigung der Parteien weicht von den Berechnungsparametern des Mietvertrages ab oder es ergibt sich aus dem Vertrag, dass das Aufmaß schriftlich erfolgen und dem Mietvertrag beigefügt werden soll).
Ob diese nun nach DIN 277 erfolgte oder nicht, ist für die Bestimmbarkeit der Miethöhe irrelevant. … Dass sich die Parteien erfolgreich über die Höhe der Nutzungsfläche geeinigt haben beziehungsweise diese gemeinsam ermittelten, ist an den unbeanstandeten jahrelangen Mietzahlungen unter Zugrundelegung der von der Klägerin vorgetragenen Flächengröße ersichtlich und auch nicht streitig. … Selbst bei Verrechnung der Parteien über die genaue Größe kann sich hieraus keine Schriftformunwirksamkeit ergeben, denn die Parameter der Berechnung sind im Vertrag niedergelegt.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
Kein überzogener Formalismus
Eine Nachtragsvereinbarung genügt auch ohne körperliche Verbindung mit dem Ausgangsmietvertrag der Schriftform, wenn sie die Parteien bezeichnet, hinreichend deutlich auf den ursprünglichen Vertrag Bezug nimmt, die geänderten Regelungen aufführt und erkennen lässt, dass es im Übrigen bei den Bestimmungen des ursprünglichen Vertrages verbleiben soll. Auch insoweit kann es einem Erwerber zuzumuten sein, sich gegebenenfalls bei dem Verkäufer oder bei dem Mieter weiter zu erkundigen.
Der Einhaltung der Schriftform des Mietvertrags soll es demnach nicht entgegen,stehen, wenn z.B. in einer 3. Nachtragsvereinbarung nur der Mietvertrag, nicht aber die anderen Nachträge im Einzelnen benannt sind. Die erforderliche Einheit der Urkunde sei gleichwohl gewahrt.
- Die gedankliche Verbindung, die anstelle der körperlichen Verbindung die Einheit der Urkunde wahrt, kann sich schon aus dem Bezug aufeinander ergeben. Gefordert ist lediglich eine rein formelle Bezugnahme aufeinander.
- Eine inhaltliche Verbindung darüber, dass alle Nachträge sich auf die gleichen Inhalte und Regelungen beziehen, muss nicht gegeben sein.
- Aus der Bezeichnung „3. Nachtragsvereinbarung“ etwa ergäbe sich eindeutig, dass es einen ersten und zweiten Nachtrag geben muss. Selbst wenn es eine weitere Vereinbarung gab, kann das nach dem OLG ausreichend sein:
Unter § 4 der 3. Nachtragsvereinbarung wird auch auf die bereits bestehenden Nachträge und auf die Vereinbarungen des Mietvertrages Bezug genommen. Dies schließt auch die Vereinbarung zu den Außenanlagen ein, die auch in den Nachträgen Nr. 1 und Nr. 2 explizit benannt wird. Es ist also aus der Einheit der Urkunde leicht zu erkennen, dass es den ursprünglichen Mietvertrag und insgesamt vier nachträgliche Vereinbarungen gibt.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
Baubeschreibung und Mieterausbau: Zur Relevanz von Soll- und Ist-Zustand
Nach dem OLG Frankfurt ist ein Schriftformverstoß auch nicht darin begründet, dass der als Projektmietvertrag abgeschlossene Mietvertrag zwar bei Abschluss eine Baubeschreibung enthalten hat, diese allerdings nicht dem tatsächlichen Ist- Zustand des Mietgegenstandes entspricht und auch der aktuellen Nachtragsvereinbarung kein Bauplan beiliegt. Im entschiedenen Single Tenant Fall war das Grundstück schon durch die Angaben im Mietvertrag ohne Bauplan hinreichend bestimmt und war der trotzdem beiliegende Bauplan für die Wahrung der Schriftform nicht notwendig.
Da hier das ganze Grundstück/Gebäude vermietet ist, sind zur Konkretisierung des Mietobjekts keine Baupläne notwendig gewesen, um eine Abgrenzung der einzelnen Mietflächen zu kennzeichnen. (…) Wie bereits ausgeführt ist auch bei einer Vermietung vom Reißbrett keine Baubeschreibung notwendig, wenn der Mieter, wie hier, das gesamte Gebäude/Grundstück mietet. Das Mietobjekt ist nämlich immer noch bestimmbar. Wenn daher schon bei Abschluss des Mietvertrages das Fehlen der Baubeschreibung und des Bauplans unerheblich ist, muss dies auch für während der Vertragslaufzeit vereinbarte Baumaßnahmen gelten.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
HINWEIS:
Besondere Sorgfalt ist dagegen auch nach dem OLG Frankfurt erforderlich, wenn nur Teilflächen eines Gebäudes bzw. Grundstücks gemietet werden.
Auch wenn dem Mieter vertraglich das Recht eingeräumt wird, Gegenstände in die Mietsache einzubauen und den Mietgegenstand nach seinen Bedürfnissen umzubauen, gilt nichts anders. Ein Schriftformverstoß infolge von Umbauten während der Errichtungszeit nach den Bedürfnissen des Mieters, die zu einer Abweichung des Ist-Zustandes von den ursprünglichen Bauplänen führen, ist damit nach dem OLG nicht begründet. Entscheidend ist, dass das Umbaurecht des Mietes schriftformkonform vereinbart ist. Die Ausübung dieses Rechts muss dann nicht nochmals formal vereinbart werden, die gemäß diesem Umbaurecht ausgeführten Baumaßnahmen bedürfen nicht der Schriftform.
Zum anderen ist durch die aus der Urkunde ersichtliche Einräumung eines Umbaurechts in Ziffer 18 des Mietvertrags ein potentieller Erwerber auch hinreichend vor erfolgten Umbaumaßnahmen gewarnt, so dass es ihm, genauso wie bei einer aus dem Mietvertrag ersichtlichen Verlängerungsoption, einer Vereinbarung des Mietbeginns mit Übergabe oder bei einer Vereinbarung zum Mieterwechsel, zuzumuten ist, sich gegebenenfalls bei dem Verkäufer oder bei dem Mieter zu erkundigen. … Anhand der ursprünglichen Baupläne war somit für einen Erwerber durch Vergleich des Objekts mit dem Ist-Zustand leicht zu eruieren, welche Veränderungen die Klägerin vorgenommen hat.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
Übergabe
Das OLG Frankfurt lässt es für die hinreichend bestimmte Vereinbarung der Mietzeit genügen, wenn sich aus dem Mietvertrag ergibt, dass die Parteien sich auf das Übergabedatum als die Vertragsfrist auslösendes Ereignis geeinigt haben und ausschlaggebend daher der leicht aus den außerhalb der Urkunde liegenden Umständen bestimmbare faktische Übergabetag ist.
Ein schriftliches Übergabeprotokoll war für die Auslösung der Vertragsfrist somit nicht erforderlich. Die nötige Bestimmbarkeit des Mietbeginns war bereits im Mietvertrag vorhanden. Fehlt ein Übergabeprotokoll, ist aber der Beginn des etwa langjährigen Mietverhältnisses und damit auch die Mietzahlungsverpflichtung hieran geknüpft, kann sich die genaue Dauer des Vertrages auch aus anderen Unterlagen, z.B. aus Überweisungsbelegen ergeben.
OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2022 – 12 U 86/21
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