In Davos treffen sich mal wieder Spitzen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zum Weltwirtschaftsforum. Bereits in der 15. Ausgabe ist folglich auch der World Economic Forum Global Risk Report 2020 erschienen.
Climate change is striking harder and more rapidly than many expected. The last five years are on track to be the warmest on record, natural disasters are becoming more intense and more frequent, and last year witnessed unprecedented extreme weather throughout the world.
World Economic Forum Global Risk Report 2020, page 6
Gemäß der im Report ausgewiesenen World Economic Forum Global Risks Perception Survey 2019-2020 dominieren Umweltrisiken die Top-Risiken. Nach Maßgabe der Eintrittswahrscheinlichkeit sind die höchsten Risiken allesamt Umweltrisiken:
- Extreme weather
- Climate action failure
- Natural disasters
- Biodiversity loss
- Human-made environmental disasters
Gemessen anhand der Auswirkungen sind die höchsten Risiken:
- Climate action failure
- Weapons of mass destruction
- Biodiversity loss
- Extreme weather
- Water crises
Das kann man getrost als beunruhigend bezeichnen. Noch mehr aber kann es beunruhigen, dass solchen Erkenntnissen weiterhin eine Parallelwelt gegenübersteht, welcher nun die Sprachkritische Aktion UNWORT DES JAHRES mit der Benennung des Unwort des Jahres 2020 den Spiegel vorgehalten hat, und zwar mit der in dieser Parallelwelt gebräuchlichen Verwendung des Begriffs „Klimahysterie“.
Mit dem Wort „Klimahysterie“ werden Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert. Der Ausdruck wurde 2019 von vielen in Politik, Wirtschaft und Medien – von der F.A.Z. über Unternehmer bis hin insbesondere zu AfD-Politikern – verwendet. Er pathologisiert pauschal das zunehmende Engagement für den Klimaschutz als eine Art kollektiver Psychose. Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel ist das Wort zudem irreführend und stützt in unverantwortlicher Weise wissenschaftsfeindliche Tendenzen.
Sprachkritische Aktion UNWORT DES JAHRES
Einen besonders aufschlussreichen Einblick in diese Parallelwelt liefert der Fall Tichy ./. Correctiv, über den das Landgericht Mannheim (Urt. v. 27.11.2019 – Az.: 14 O 181/19) zu entscheiden hatte und über den ausgerechnet die vom Unwort des Jahres kalt erwischte F.A.Z. berichtete. Das klagende „Haudrauf-Magazin“ (so die Bezeichnung durch die FAZ) hat sich dabei in Sachen Fakten und Recht selbst ordentlich „Haue“ abgeholt, sowohl von der Beklagten (Correctiv), einer gemeinnützigen Gesellschaft, die auf Grundlage einer Kooperationsvereinbarung einen sogenannten „Faktencheck“ für Facebook betreibt, als auch von dem Gericht.
Die Klägerin hatte einen Beitrag veröffentlicht, in dem es u.a. hieß: „500 Wissenschaftler erklären: Es gibt keinen Klimanotfall“. Correctiv hatte im Auftrag von Facebook den Artikel geprüft und kam zu dem Schluss, dass dieser fehlerhaft war. Folglich erhielt der Artikel die Bewertung „Behauptung teils falsch“. Vergleichbar einer Pinnwand hatte die Beklagte bzw. Facebook im Umfeld des Angebots der Klägerin ein die klägerische Leistung bewertendes Angebot angepinnt und zur vergleichenden Lektüre beider Artikel aufgefordert, also den Beitrag der Klägerin weder „zensiert“ noch „geblockt“.
Die Klägerin klagte auf Unterlassen – und verlor auf ganzer Linie. Sie klagte auf Grundlage des Wettbewerbsrechts und machte dabei noch nicht einmal eine falsche Tatsachenbehauptung der Beklagten geltend, sondern sah sich vor allem auch in ihren Bemühungen betroffen, durch Spendenaufrufe Geld zu verdienen.
Die Entscheidung des Landgerichts Mannheims liest sich, als halte jemand der Parallelwelt den Spiegel vor, dieses mal nicht den sprachlichen, sondern den rechtlichen Spiegel. Es erwischt das klagende „Haudrauf-Magazin“, das sich in besonderer Weise von der Unwort des Jahres- Entscheidung angesprochen fühlen dürfte und sich aufgrund besonders unwürdiger Diffamierungen gegenüber Klimaaktivisten bereits die Bezeichnung „Paranoiapanoptikum auf Fix-und-Foxi-Niveau“ verdient hat. Das Landgericht Mannheim zieht das klagende Magazin nun aus seiner Echokammer heraus und konfrontiert es mit der Lebens- und Rechtswirklichkeit.
Zum anderen aber begibt sich die Klägerin selbst mit ihrer meinungsbildenden Publikation im Rahmen ihrer aus Art. 5 Abs. 1 folgenden Grundrechtsposition in die öffentliche mediale Auseinandersetzung. Mit dem Klimawandel ist vorliegend ein Thema betroffen, das Gegenstand stetiger gesellschaftlicher und politischer Debatte und Meinungsbildung ist. Dies birgt stets die hinzunehmende Möglichkeit, dass Dritte – auch Mitbewerber – an den veröffentlichten Beiträgen Anstoß nehmen und sie, auch kritisch, zum Gegenstand der Debatte in der öffentlichen Meinungsbildung machen.
Landgericht Mannheim (Urt. v. 27.11.2019 – Az.: 14 O 181/19)
In der Gesamtschau kann man daraus etwas überspitzt schlussfolgern:
- Wer wütend und laut über andere herzieht und auch nicht vor der Diffamierung eines minderjährigen, nichtdeutschen Mädchens mit Asperger-Syndrom und deren Familie zurückschreckt, kann nicht bei Gericht mit Erfolg jammern, man fühle sich durch einen „Faktencheck“ oder durch sachliche Kritik herabgesetzt oder verunglimpft (§ 4 Nr. 1 UWG). Das gilt auch und erst recht dann, wenn Provokation zum Geschäftsmodell gehört.
- Gerade auch jene, die von einer Zensur und (Klima-) Meinungsdiktatur in Deutschland schwadronieren, können kein Erfolg damit haben, abweichende Meinungen, die nicht in ihr Weltbild bzw. Geschäftsmodell passen, gerichtlich durch Unterlassungsklagen verbieten zu lassen.
Die klägerseits angestrebte Verurteilung zur Unterlassung dieser Äußerungen griffe in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG [Meinungs- und Pressefreiheit] ein.
Landgericht Mannheim (Urt. v. 27.11.2019 – Az.: 14 O 181/19)
Das Gericht stärkt zugleich die Aufgabe und Position der Beklagten (Correctiv).
Die Beklagte kommt durch den Faktencheck ihrer Aufgabe als – zumal gemeinnütziges – Medienunternehmen nach, die Öffentlichkeit über Vorgänge von allgemeiner Bedeutung zu unterrichten und zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen.
Landgericht Mannheim (Urt. v. 27.11.2019 – Az.: 14 O 181/19)
Wie wichtig diese Aufgabe gerade auch in der Klimadiskussion sein kann, hatte kürzlich eine Studie von „Nature Communications“ herausgearbeitet, in welcher 386 renommierte Klimaexperten 386 Leugnern des anthropogenen Klimawandels („Prominent Contrarians“) gegenübergestellt wurden und herauskam, dass nur gut die Hälfte der „Prominent Contrarians“ überhaupt Wissenschaftler sind. Das fatale daran: Trotzdem erhielten die Leugner in den Medien eine überproportionale Aufmerksamkeit, auch dank einer Vielzahl an Quellen, die zur Produktion und zum Konsum von Desinformationen im Bereich des Klimawandels beitragen (Petersen/Vincent/Westerling, Discrepancy in scientific authority and media visibility of climate change scientists and contrarians, Nature Communications 10, Article number: 3502, 2019; siehe hierzu schon unseren Fun Fact in: Climate-Related Risks meet Law – Teil 1/3: Adaption des Klimawandels und Klimaresilenz).
Umso begrüßenswerter ist es, dass das Landgericht Mannheim überzeugend ausgeführt hat, wieso es so wichtig ist, solchen Filterblasen und Echokammern entgegenzutreten. Der Beklagten standen dabei nicht nur ihre Meinungs- und Pressefreiheit zur Seite, sondern auch eine europarechtliche Determinierung, welche es im besonderen Maße legitimiert, auch und gerade auf Facebook Einzelpersonen und die Gesellschaft so vollständig wie möglich und mit dem größtmöglichen Grad an Vielfalt zu informieren und Bürgern zu ermöglichen, auf verantwortungsvolle und sichere Weise auf Informationen zugreifen und Medieninhalte zu verwenden, kritisch zu beurteilen, Medienkompetenz zu erwerben und zwischen Meinungen und Tatsachen zu unterscheiden.
Ausgehend von der Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten aus Art. 5 Abs. 1 GG und unter Berücksichtigung der oben dargelegten europarechtlichen Determinierung durch die Ziele der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste sowie der Richtlinie (EU) 2018/1808 vom 14.11.2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU im Hinblick auch auf Medienintermediäre, also auch Facebook (vgl. Erwägungsgründe 4, 16, 25, 54 und 59), darf sich die Beklagte als legitimes Ziel im Rahmen ihrer Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung setzen, „Filterblasen“ durch Information entgegenzutreten, Leser zur kritischen Auseinandersetzung mit Medieninhalten anzuhalten und Meinungspluralismus zu fördern. Medienintermediäre wie u.a. Facebook sind ein wichtiger Faktor für die öffentliche Meinungsbildung, da gerade bei ihnen aufgrund ihrer algorithmisch berücksichtigten Kriterien die besondere Gefahr der Erzeugung sog. „Echokammern“ und „Filterblasen“ besteht. Letztere können, etwa im Vorfeld von Wahlen oder im Zusammenhang mit Themen von gesamtgesellschaftlichem Interesse, auch in tatsächlicher Hinsicht eine Gefahr für das gesellschaftliche Gesamtgefüge darstellen, deren Vermeidung ist daher als legitimes Ziel anzusehen.
Landgericht Mannheim (Urt. v. 27.11.2019 – Az.: 14 O 181/19)
So ist es nun ausgerechnet, wenn auch sicherlich unfreiwillig, einem „Haudrauf-Magazin“ aus einer ziemlich wütenden Echokammer zu verdanken, dass nicht nur die Presse- und Meinigungsfreiheit von Faktencheck-Medieneinrichtungen gerichtlich gestärkt ist, sondern auch die Legitimität der Ziele solcher Medieneinrichtungen gerichtlich bestätigt wurde. Für den politischen Diskurs und die demokratische Meinungsbildung gerade auch im Zusammenhang mit der Klimadiskussion dürften solche Entscheidungen essentiell sein. Und damit blicken wir abschließend wieder nach Davos, wo sich auch das Weltwirtschaftsforum explizit dem Phänomen von Desinformationskampagnen widmet:
Also, a great deal of misleading information casts doubt on established science and the impact of proven low-carbon technologies, overstates the costs of climate action and downplays the grave long-term impact of global warming. Educated voters and consumers are crucial enablers of the low-carbon transition. The quality of information needs to improve across all channels: in public opinion, the education system and also corporations and institutions. Communication should not just focus on the problem and its complexity but also on solutions and the positive outcomes of change.
World Economic Forum/Boston Consulting Group, Insight Report, The Net-Zero Challenge: Fast-Forward to Decisive Climate Action, January 2020, page 28
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