Das Ringen um die Lösung der Mieten- und Wohnraumfrage geht auf allen Ebenen weiter.
- In Berlin läuft auf Landesebene im Abgeordnetenhaus das parlamentarische Verfahren zum sog. Mietendeckel (1. Lesung am 16.01.2020, die Beschlussvorlage finden Sie HIER).
- Der Bundestag hat auf Bundesebene das Gesetz zur Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete beschlossen und verhandelt über weitere Anpassungen an der Mietpreisbremse, wie sie die Bundesregierung in ihrem aktuellen Wohn- und Mietenpaket vorgeschlagen hatte (zu viel gezahlte Miete soll auch rückwirkend für einen Zeitraum von 2,5 Jahren nach Vertragsschluss zurückgefordert werden können, sofern ein Verstoß gegen die Mietpreisbremse vorliegt, und Verlängerung um weitere fünf Jahre der erst zum Beginn 2019 reformierten Mietpreisbremse).
- Und auch der Bundesrat bringt sich ein mit dem Entwurf eines Gesetzes zur besseren Bekämpfung von Mietwucher.
Aufhorchen lässt nun die Diskussion um den letztgenannten Entwurf zum sog. Mietwucher. Denn auf den Entwurf des Bundesrates hat zwischenzeitlich die Bundesregierung geantwortet (BT-Drucksache 19/16397).
Um was geht es?
Es geht um § 5 WiStG (Mietpreisüberhöhung):
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig für die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen unangemessen hohe Entgelte fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.
(2) Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte um mehr als 20 vom Hundert übersteigen, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen der Betriebskosten abgesehen, geändert worden sind. Nicht unangemessen hoch sind Entgelte, die zur Deckung der laufenden Aufwendungen des Vermieters erforderlich sind, sofern sie unter Zugrundelegung der nach Satz 1 maßgeblichen Entgelte nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung des Vermieters stehen.
(3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.
Normenverstöße sind ordnungsrechtlich bußgeldbewehrt und können zivilrechtlich zur Unwirksamkeit überhöhter Mieten (§ 134 BGB) und zu einem Rückzahlungsanspruch von Mietern aus Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) führen.
Der Bundesgesetzgeber hatte sich bereits im Rahmen der Einführung der Mietpreisbremse (BT-Drucksache 18/3121 vom 10.11.2014) zur Eignung der Norm für die Wohnraum- und Mietenfrage geäußert:
In der Praxis führen diese komplexen Anforderungen dazu, dass die Vorschrift keinen substantiellen Beitrag zur Dämpfung des Preisanstiegs bei Wiedervermietung zu leisten vermag.
BT-Drucksache 18/3121
Eine Reform erfolgte gleichwohl nicht. Also hatte der Bundesrat bereits Ende 2018 im Rahmen seiner Stellungnahme zur Reform der Mietpreisbremse und zum neuen § 6 WiStG („Herausmodernisierung“) gegenüber der Bundesregierung auch eine Reform des § 5 WiStG eingefordert (BT-Drucksache 19/5415 zu Drucksache 19/4672, 01.11.2018):
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob § 5 Absatz 2 des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 dahingehend modifiziert werden kann, dass eine praxistaugliche Anwendung der Vorschrift erreicht wird. Das WiStG bedarf insbesondere in § 5 WiStG einer weiteren Änderung. § 5 WiStG soll Mieterinnen und Mieter vor überhöhten Mieten schützen. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die praktische Relevanz der Vorschrift deutlich verringert worden. Der BGH hat an die Mieterinnen und Mieter Anforderungen gestellt, die diese im Einzelfall kaum erfüllen können.
BT-Drucksache 19/5415
Die Bundesregierung hatte den Vorschlag des Bundesrates wegen einer angeblichen Dringlichkeit nicht aufgegriffen. Dabei hatte der Bundesrat noch nicht einmal seinen umfassenderen Reformvorschlag eingebracht, der Gegenstand einer Ausschussempfehlung im Bundesrat gewesen war (BR-Drucksache 431/1/18, 09.10.2018):

Was möchte der Bundesrat?
Vor diesem Hintergrund wird der Bundesrat nun erneut tätig, dieses Mal mit einem eigenen Gesetzesentwurf, der aber weit hinter dem zurück bleibt, was die vogenannte Ausschussempfehlung vorsah.
§ 5 WiStrG 1954 soll angepasst und verschärft werden, um einen erweiterten Anwendungsbereich für die Norm zu schaffen. Auf das Erfordernis der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen soll verzichtet und stattdessen bei der Frage der Unangemessenheit auf ein objektives Kriterium, nämlich das Vorliegen eines geringen Angebots, abgestellt werden. Hierdurch werden die bestehen-den Beweisprobleme erheblich entschärft. Darüber hinaus soll der Bußgeldrahmen auf 100 000 Euro erhöht werden.
BT-Drucksache 19/16397
Zur Begründung wird weiter ausgeführt:
Eine „Ausnutzung“ lässt sich in der Praxis deshalb kaum je nachweisen, wodurch § 5 WiStrG 1954 faktisch weitgehend leerläuft. Darüber hinaus ist der Bußgeldrahmen von maximal 50 000 Euro nicht mehr zeitgemäß und vermag heutzutage keine hinreichende generalpräventive Wirkung mehr zu entfalten.
Was sagt die Bundesregierung?
Die Bundesregierung äußert in ihrer Stellungnahme verfassungsrechtliche Bedenken an der Ausgestaltung des Bußgeldtatbestandes:
Nach Auffassung der Bundesregierung bedarf es einer vertieften Prüfung, ob das vom Bundesrat beabsichtigte wissentliche Fordern, Annehmen oder Sich-versprechen-lassen einer Miete, die bei Vorliegen eines geringen Angebots an vergleichbaren Wohnräumen 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt, auch ohne das subjektive Tatbestandsmerkmal der Ausnutzung eines geringen Angebots noch ein in besonderer Weise vorwerfbares Unrecht darstellt, das eine Geldbuße im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit rechtfertigt. Der Gesetzentwurf des Bundesrates wirft insofern Fragen mit Blick auf den aus Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Schuldgrundsatz auf. Im Hinblick auf diese Bedenken wird die Bundesregierung prüfen, wie dem Anliegen des Bundesrates, Mietwucher zu unterbinden, rechtssicher entsprochen werden kann.
BT-Drucksache 19/16397
Und was bedeutet das jetzt für den Berliner Mietendeckel?
Die Bedeutung dieser Bedenken für den Berliner Mietendeckel ist nicht zu unterschätzen. Zwar äußert sich die Bundesregierung nicht direkt zum Mietendeckel.
EXKURS:
Das hat im Sinne einer Verfassungswidrigkeit sehr dezidiert Ende 2019 dagegen das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) gemacht. Auszug:
(I.) Zur Gesetzgebungszuständigkeit zur Einführung eines Mietendeckels:
„Durch den geplanten Berliner „Mietendeckel“ würde jedoch den Vermietern untersagt, von rechtlichenMöglichkeiten Gebrauch zu machen, die ihnen die §§ 556d ff. BGB gewähren. Dies wäre ein Verstoß gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung, die alle rechtsetzenden Organe dazu verpflichtet, ihre Regelungen so aufeinander abzustimmen, dass die Rechtsordnung nicht aufgrund unterschiedlicher Anordnungen widersprüchlich wird.“
(II.) Zur Vereinbarkeit einer gesetzlichen Einführung eines Mietendeckels mit Art. 14 GG:
„Problematisch ist die Zumutbarkeit: Ob die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Eigentümer derart weit in den Hintergrund gestellt werden dürfen, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, erscheint zweifelhaft.„
Die Bedenken der Bundesregierung sind aber geeignet, erst recht für den Mietendeckel zu gelten. Denn in § 11 des MietenWoG Bln soll es nach der aktuellen Beschlussvorlage (s.o.) heißen:

Was fällt dabei auf?
- Die Norm lässt jede Form der Fahrlässigkeit genügen.
- Sanktioniert ist nicht nur das Fordern einer nach dem MietenWoG überhöhten Miete, sondern auch eine (wenn auch nur teilweise) Nichterfüllung von (sehr unklar formulierten) Mitwirkungs-, Mitteilungs- und Auskunftspflichten. Selbst das Unterlassen einer bloßen Anzeige bei der Behörde kann sanktioniert werden.
- Der Bußgeldrahmen erstreckt sich auf bis zu EUR 500.000,00 (in Worten: Euro fünfhunderttausend).
Bereits ein Vergleich der Bußgeldhöhe in § 5 WiStG (Stand heute: EUR 50.000; Reformvorschlag: EUR 100.000) zu § 11 MietenWoG (EUR 500.000) zeigt, wie schwer die Bedenken der Bundesregierung entsprechend auch auf dem Mietendeckel lasten.
Zugleich ist man an das erinnert, was neben weiteren Rechtsgutachten auch das BMI dem Mietendeckel in das Stammbuch geschrieben hat: Die Rechtsordnung darf nicht aufgrund unterschiedlicher Anordnungen auf Bundes- und Landesbene widersprüchlich werden. Evident zeigt sich aber auch zwischen § 11 MietenWoG und § 5 WiStG ein eklatatanter Widerspruch, oder um es mit Art. 31 GG zu sagen: Bundesrecht bricht Landesrecht.
Sieht sich der Marktteilnehmer bei einem Verstoß gegen die bundesgesetzliche „Wuchernorm“ des WiStG einer Sanktion von bis zu EUR 50.000 bzw. selbst nach einer Reform von EUR 100.000 ausgesetzt, weil er eine Miete weit über Marktniveau verlangt, soll ihm nach Landesrecht eine Sanktion in Höhe des 10- bzw. 5-fachen drohen, wenn er gegen ein staatlich abgesenktes Mietpreisniveau weit unter dem Marktniveau und weit unterhalb jeder Wuchergrenze verstößt.
Darüber hinaus soll der Marktteilnehmer unter dem Mietendeckel sogar dann sanktioniert werden, wenn er gegen diverse Verfahrensanforderungen des Gesetzes verstößt, wenn auch nur fahrlässig und ungeachtet der Umstände,
- dass die Formulierung der gesetzlichen Anforderungen keinesfalls als gelungen bezeichnet werden kann und
- dass das Land Berlin, seine Bezirke und Einrichtungen selbst nicht so recht wissen, wie sie hinreichende Kapazitäten vorhalten sollen, um die Verfahren, Prüfungen, Entscheidungen und Durchsetzungen des Gesetzes behördlich und gerichtlich hinreichend zu gewährleisten.
Siehe auch das „Battis-Gutachten“, erstellt im Auftrag der Senatskanzlei des Landes Berlin, das verfassungsrechtliche Bedenken unter anderem aus einem nicht vollzugsfähigen Gesetz in Verbindung mit einer Einschränkung der Rechtsschutzgarantie begründet hatte.
Gelegenheit also, auch im Rahmen des Mietendeckels den von der Bundesregierung angeführten Schuldgrundsatz näher zu beleuchten:
Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen. Das damit verbundene Unwerturteil berührt den Betroffenen in seinem in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch. Eine solche staatliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes. Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt. Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein.
BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14
Dem MietenWoG Bln ist schon ganz allgemein der Vorwurf zu machen, dass es mit seinen Verboten, Verfügungen und Sanktionen sämtliche Vermieter der Stadt pauschal und ohne jede Differenzierung als Störer einer öffentlich-rechtlich abzuwehrenden Gefahr behandelt (Gefahr für den sozialen Frieden, Gefahr von Verwerfungen).
Vor dem Hintergrund des Schuldgrundsatzes erhält dieser Vorwurf im Rahmen des Bußgeldtatbestandes nochmals besondere Relevanz: Das MietenWoG Bln spricht ein Unwerturteil wegen Fehlverhaltens auch und vor allem über solche Vermieter aus, die sich an das halten oder sogar darunter bleiben, was ihnen das bundesgesetzliche BGB im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ordnung gewährt. Das mutet befremdlich an, nicht nur in sozialethischer Hinsicht.
Eine Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit, ein rechtssicheres und materiell gerechtes Vorgehen ist aufgrund des pauschalen Ansatzes des MietenWoG nicht erkennbar. Ob tatsächlich wucherlastige Vermieter oder sogar gemeinwohlorientierte Vermieter, alle trifft das Unwerturteil des Landesgesetzes. Das ist es wohl, was in Vermieterkreisen als unzulässige „Kriminalisierung“ einer ganzen Branche und als wenig zielführendes Schüren von Feindbildern in der Gesellschaft beschrieben wird – dabei sieht sich der Landesgesetzgeber doch dem sozialen Frieden in der Stadt verpflichtet.
© Copyright by Dr. Elmar Bickert
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