COVID-19 im Immobiliensektor
Ist der Mieter aufgrund von COVID-19 faktisch und/oder rechtlich nicht in der Lage, das Mietobjekt zu nutzen, im Gewerbemietrecht typischerweise zum Zweck der Umsatzerwirtschaftung, und/oder ist er aufgrund der Pandemie sonst nicht in der Lage, die Miete zu zahlen, was etwa auch im Wohnraummietrecht relevant sein kann, stellt sich die Frage, wer dieses Risiko trägt: Der Vermieter oder der Mieter?
Eindeutig ist, dass Zahlungsschwierigkeiten des Mieters aufgrund des im Grundsatz geltenden Prinzips der unbeschränkten Vermögenshaftung („Geld hat man zu haben“) diesen nicht entlasten können, auch nicht im Fall einer Pandemie. Exakt aus diesem Grund setzen hier die staatlichen Hilfen und Eingriffe an (siehe hierzu noch nachstehend).
Damit beiden Seiten schnell geholfen werden kann, schlagen der Deutsche Mieterbund (DMB) und der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) die umgehende Einrichtung eines „Sicher-Wohnen-Fonds“ vor, um den Fortbestand der Mietverhältnisse zu sichern.
Gemeinsame Presseerklärung von DMB und GdW, März 2020
Siehe auch: BGH zur Vermieterkündigung bei Zahlungsverzug des Mieters
Nun aber erfahren viele dieser eigentlich sehr gesunden Betriebe wegen angeordneter Schließungen und den Stornierungen verunsicherter Kunden einen historisch einmaligen Einbruch: Über Nacht sinken Umsätze auf Null, monatliche Ausgaben für Personal, Mieten und Unterhaltung in vier, fünf oder sogar sechsstelliger Höhe laufen aber kaum gebremst weiter. Im Handel bindet die für das Frühjahr georderte Ware fünfstellige Anschaffungs und Lagerkosten, kann aber jetzt nicht mehr zu den ursprünglich geplanten Preisen verkauft werden. In der Gastronomie sind Planungen unmöglich geworden. Das Handwerk kann seine Dienstleistungen nicht erbringen. Das alles löst sehr schnell große Liquiditätsprobleme aus. Diese für kleine und mittelständische Betriebe oft existenz bedrohende Krise schlägt unmittelbar auch auf die Immobilienwirtschaft durch. Denn insolvente Unternehmen fallen schlagartig als Gewerbemieter aus. Da die Zahl der Betriebe insgesamt in der Krise sehr stark sinken kann, dürfte es auch weniger Nachrücker geben als bisher möglich.
ZIA u.a., Atempause für Gewerbemieten in der Corona Krise, Gemeinsamer Appell der beteiligten Dachorganisationen und Verbände, 21. März 2020
Das im Gewerbemietrecht relevante Verwendungs- und Umsatzrisiko wiederum verlangt nach einer differenzierten Betrachtung im Einzelfall nach der Maßgabe eines Regel-Ausnahme-Schemas (siehe hierzu im Folgenden).
Rechtliche Ausgangslage zum Verwendungsrisiko im Mietvertrag
Der Bundesgerichtshof hat sich erst am 23. Oktober 2019 (XII ZR 125/18) anhand der Anmietung durch eine Gemeinde, die wegen des Rückgangs der Flüchtlingszahlen das Mietobjekt nicht oder nur eingeschränkt zur Unterbringung von Flüchtlingen nutzen konnte, zur grundsätzlichen Risikoverteilung im Mietvertrag geäußert. Die Leitlinien:
DER REGELFALL:
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats trägt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Hat sich nur das Verwendungsrisiko des Mieters verwirklicht, muss er zahlen und es steht ihm auch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags zu.
DER AUSNAHMEFALL:
Allerdings können die Parteien die Risikoverteilung vertraglich ändern und vereinbaren, dass der Vermieter das Verwendungsrisiko des Mieters – ganz oder zum Teil – übernimmt. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen im Einzelfall zu ermitteln. Aufgrund der vielfältigen Gestaltungsformen im Gewerbemietrecht wird es im Einzelfall durchaus Mieter geben, die sich auf eine zumindest teilweise Risikoübernahme durch den Vermieter berufen können.
ACHTUNG:
Etwaige gemeinsame Vorstellungen der Parteien über die zukünftige Nutzung des Mietobjekts reichen ebenso wenig wie einseitige Erwartungen des Mieters aus, um abweichend vom gesetzlichen Leitbild des Mietvertrags, eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf den Vermieter zu rechtfertigen.
AUSWEG GESCHÄFTSGRUNDLAGE?
Ein Wegfall bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage kann grundsätzlich eine Anpassung des Vertrages, aber auch ein Kündigungsrecht rechtfertigen, soweit hierfür neben den mietrechtlichen Spezialregelungen überhaupt ein Anwendungsbereich bleibt, was der BGH kürzlich ausdrücklich offengelassen hat. Auch hier gilt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis (BGH a.a.O.):
Regel:
Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Liegt das Verwendungsrisiko also nach dem Vorstehenden beim Mieter, kann § 313 BGB hieran grundsätzlich nichts ändern. Eine vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen.
Ausnahme:
Bei extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt, kann aber gleichwohl das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eingreifen. Nun kann man dem COVID-19 und seinen Folgen im Abhängigkeit vom Einzelfall durchaus eine solche Bedeutung zumessen.
UPDATE:
Das Landgericht Heidelberg etwa hat die grundsätzliche Risikotragung des Mieters bestätigt und den Ausweg über die Geschäftsgrundlagenkonstruktion verneint: Geschäftsraummieter, insbesondere die großen Handelsketten sind auch während der wegen der Coronaverordnung erfolgten Anordnung der Schließung von Filialen in aller Regel verpflichtet, die vereinbarte Miete auch für die Zeit der Schließung zu zahlen (LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/20).
HINWEISE:
Unabhängig von dem Vorstehenden muss natürlich auch der Vermieter prüfen, ob er aufgrund von COVID-19 noch alles erbringen kann, was er seinem Mieter schuldet. Auch das hängt vom jeweiligen Vertrag im Einzelfall ab.
Kritisch zu sehen sind auch Betriebspflichten des Mieters, die infolge des COVID-19 schnell an die Grenzen faktischer wie rechtlicher Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit stoßen.
Daher setzen sich die beteiligten Dachorganisationen und Verbände dafür ein, alle Akteure – Vermieter ebenso wie Mieter von Gewerbeimmobilien – an einen Tisch zu bringen und über eine befristete Anpassung der Mietverträge zu sprechen. Das Ziel des Dialogs ist es, trotz unterschiedlicher Interessen, wichtige Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und bei krisenbedingten Problemen einen fairen Ausgleich und individuelle Lösungen zum dauerhaften Erhalt der Mietverhält nisse zu ermöglichen. Die Krise lässt sich nach der gemeinsamen Überzeugung aller Beteiligten nur mit Solidarität und gegenseitigem Verständnis füreinander bewältigen.
ZIA u.a., Atempause für Gewerbemieten in der Corona Krise, Gemeinsamer Appell der beteiligten Dachorganisationen und Verbände, 21. März 2020
Zur staatlichen Hilfe und zu gesetzlichen Neuregelungen
Die Bundesregierung plant unter Zusammenarbeit mehrerer Bundesministerien eine COVID-19 bedingte Änderung des BGB-Mietrechts und weiteren Rechts:
SIEHE UNSER UPDATE VOM 23. März 2020:
Neues COVID-19-Pandemie-Gesetz: Kündigungs-Ausschluss, Stundung und Leistungsverweigerung bei Miete, Darlehen und weiteren Verträgen
- Sie soll gelten für Wohnraum- und Gewerberaummietverträge.
- Wegen Mietschulden aus dem Zeitraum 01.04. bis 30.09.2020 soll eine Kündigung des Vermieters unzulässig sein.
- Es besteht die Möglichkeit einer Verlängerung der Fristen um ein Jahr bis höchstens zum 31.07.2021.
- Die Mietzahlungspflicht des Mieters soll aber dem Grunde nach nicht beseitigt werden, es soll eine Nachzahlung erfolgen (wohl innerhalb von zwei Jahren).
- In Zweifelsfällen wird demnach angenommen, dass die Mietzahlung aufgrund von COVID-19 bedingten Einnahmeverlusten nicht erfolgt. Gegenteiliges muss demnach der Vermieter nachweisen.
In diesem Zusammenhang wird eine differenziertere Regelung nach „Bedürftigkeit“ und fairer Lastenverteilung im Vertragsverhältnis zu diskutieren sein. - Auch weiteren Schuldnern, die wegen der Corona-Pandemie ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllen können, sollen keine rechtliche Folgen drohen. Bei Darlehen soll es eine gesetzliche Stundungsregelung geben, was insbesondere auch auf den Schutz finanzierender Vermieter zielt. Das Gleiche soll gelten für die Versorgung mit Strom und Wasser.
Im Bau- und Immobilienbereich ist dabei eine möglichst lückenlose Berücksichtigung der einschlägigen Vertragsketten zu diskutieren. - Um zu vermeiden, dass betroffene Unternehmen allein deshalb einen Insolvenzantrag stellen müssen, weil die Bearbeitung von Anträgen auf öffentliche Hilfen bzw. Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen in der außergewöhnlichen aktuellen Lage nicht innerhalb der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht abgeschlossen werden können, soll durch eine gesetzliche Regelung für einen Zeitraum bis zum 30.09.2020 die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt werden. Voraussetzung für die Aussetzung soll sein, dass der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Darüber hinaus soll eine Verordnungsermächtigung für das BMJV für eine Verlängerung der Maßnahme höchstens bis zum 31.03.2021 vorgeschlagen werden.
Im Immobilienbereich ist dabei auch die „Long Stop Problematik“ relevant, etwa im Zusammenhang mit Transaktionen, Bauprojekten und Mietverträgen, die dazu führen kann, dass Investoren schon aus Gründen des Finanzaufsichtrechts sich aus Projekten bzw. Finanzierungen zurückziehen müssen, wenn Long Stop Dates nicht eingehalten werden. - Hauptversammlungen von Unternehmen sollen online ohne Präsenzpflicht durchgeführt werden können. Für Genossenschaften und Vereine sollen ebenfalls vorübergehend Erleichterungen für die Durchführung von Versammlungen ohne physische Präsenz geschaffen werden.
- Am 23.03.2020 soll die Bundesregierung über das Gesetzgebungsvorhaben beschließen, am 25.03.2020 soll der Gesetzesvorschlag im Bundestag beschlossen werden. Am 27.03.2020 wird der Bundesrat zu einer Sondersitzung zusammenkommen.
Nicht zuletzt die Immobilienverbände drängen jetzt darauf, die durchaus schwerwiegenden zivilrechtlichen Eingriffe in das Mietvertragsrecht, in das ausdifferenzierte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, rechtzeitig und konsistent abzustimmen und zu verknüpfen mit den weiteren Maßnahmen und Förderungen der Bundesregierung bzw. der Länder, um ein funktionierendes Gesamtsystem aufzustellen, das für Vermieter und Mieter tragbar ist, ggf. ergänzt um einen „Sicher-Wohnen-Fonds“, um eine Ausweitung des Wohngeldes und um weitere Förderungen und Zuschüsse. Bislang sieht das Maßnahmenpaket zur Abfederung der Auswirkungen des Corona-Virus (Ein Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen) des BMF und des BMWi das Folgende vor:
- Kurzarbeitergeld flexibilisieren
- Steuerliche Liquiditätshilfe für Unternehmen
- Milliarden-Schutzschild für Betriebe und Unternehmen
- Europäische Zusammenarbeit
Nach einer weiteren Kabinettssitzung am 21.03.2020 sollen kleine Unternehmen und Selbstständige etwa Soforthilfen in Höhe von bis zu 15.000 Euro erhalten. Für Kleinunternehmen, Soloselbstständige und Angehörige der Freien Berufe soll es eine Einmalzahlung von 9000 Euro für drei Monate bei bis zu fünf Beschäftigten geben – bis zu 15.000 Euro bei bis zu zehn Beschäftigten. Das Geld soll vor allem für laufende Miet- und Pachtkosten genutzt werden können.
Staatliche Hilfen, Zuschüsse und Förderungen können nach dem BGH (a.a.O.) wiederum Bedeutung für die eingangs diskutierte Rechtsfrage haben, für welche Partei welche Risikotragung zumutbar und tragbar ist.
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Bleiben Sie gesund!
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