BGH

Inkassodienstleister, die Mieter mit dem Versprechen locken, ein Angriff auf ihren Vermieter sei so bequem, risikofrei und erschwinglich wie eine „Pizzabestellung“, kann das gut gehen?

Nach der Rechtsprechung des BGH eigentlich nicht. Denn nach dieser

  • zeichnet sich das Rechtsgebiet des Wohnraummietrechts durch eine erhebliche Komplexität in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht aus und
  • stellt das Mietverhältnis ein sensibles Ausgleichssystem wechselseitiger Interessen dar,
  • dessen (Fort-) Bestand insbesondere auch durch eine unterkomplexe Inkassotätigkeit gefährdet werden kann.

Es trifft zwar zu, dass das Rechtsgebiet des Wohnraummietrechts, indem die Klägerin ihre hier zu beurteilende Tätigkeit für den Mieter erbracht hat, sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ein erhebliches Maß an Komplexität aufweist und von dem Bestreben des Gesetzgebers geprägt ist, die auch grundrechtlich geschützten (Art. 14 Abs. 1 GG) – Interessen von Mietern und Vermietern – auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Mietverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis handelt und die Wohnung regelmäßig den Lebensmittelpunkt des Mieters darstellt – in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Auch kann die hier in Rede stehende Inkassotätigkeit der Klägerin – jedenfalls mittelbar – durchaus Einfluss auf das Verhältnis der Mietvertragsparteien und damit letztlich gegebenenfalls auch auf den weiteren Verlauf und den Fortbestand des Mietverhältnisses haben.“
BGH – 08.04.2020

Inkassodienstleister, welche ihre Standarschreiben zur Mietpreisbremse ganz pauschal mit einen Straf- und Schuldvorwurf gegenüber dem Vermieter nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz aufladen, ihm also ohne jede Begründung eine schuldhafte und strafwürdige Ausnutzung einer Zwangslage des Mieters vorwerfen, ist das mit den Besonderheiten des Wohnraummietrechts vereinbar?

Nach der Rechtsprechung des BGH eigentlich nicht. Denn nach dieser muss der Inkassodienstleister den Besonderheiten des Wohnraummietrechts in verantwortungsvoller Weise Rechnung tragen. Unbegründete Schuld- und Strafvorwürfe wirken eher in vertrauens- und vertragszerstörender Weise auf das Mietvertragsverhältnis ein als dass sie einen verantwortungsvollen Umgang mit dem mietvertraglichen Interessenausgleich darstellen.

Die Verpflichtung auf einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Mietvertrag, dessen Parteien und deren Interessen ist bei Inkassodienstleistern besonders kritisch, da sie nach dem BGH unterhalb der Rechtsanwaltschaft weniger strengen berufsrechtlichen Pflichten und Aufsichtsmaßnahmen unterliegen, was den BGH wiederum dazu veranlasst hatte, an den Gesetzgeber mögliche gesetzliche Änderungen zu adressieren, der diese tatsächlich erst kürzlich aufgriff.

Eine solche Inkassodienstleistung
und insbesondere die damit verbundene rechtliche Beratung haben daher den
vorstehend genannten Besonderheiten des Wohnraummietrechts in verantwortungsvoller Weise Rechnung zu tragen.

BGH – 08.04.2020

„Ob die neueren Entwicklungen im Rechtsdienstleistungsbereich, insbe-
sondere im hier betroffenen Bereich der Inkassodienstleistungen, Anlass für
eine mögliche Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelungen geben
können, ist der Beurteilung des Gesetzgebers vorbehalte
n.“
BGH – 08.04.2020

Weiter besteht bei den Vorgaben für die Prüfung der Eignung und Zuverlässigkeit der nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) zu registrierenden Personen sowie im Rahmen der Aufsicht über diese noch Verbesserungspotential.“
BT-Drucksache 19/20348, S. 1 (Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften)

In einer ganzen Reihe von Entscheidungen hat der BGH seit 2019 dennoch die Inkassotätigkeit von registrierten Inkassodienstleistern gebilligt, welche Ansprüche von Mietern aus der Mietpreisbremse (§§ 556d, 556g BGB) im Wege der Abtretung verfolgen. Die Zielsetzung des Gesetzgebers sei eine Deregulierung und Liberalisierung im Bereich der Inkassotätigkeit und dies sei zu beachten. Er widersprach damit wiederholt der Rechtsprechung der Berliner Landgerichte und Amtsgerichte, die das Vorgehen als Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) nicht gebilligt hatten. Sukzessive gaben daraufhin die Amtsgerichte und Landgerichte ihre abweichende Auffassung auf und richteten sich nach den Grundsätzen des BGH.


Landgericht

Die Instanzgerichte sahen sich aber weiterhin dem Klagegeschäft der Inkassounternehmen ausgesetzt, das sich oftmals als fehlerhaft erwies.

Nicht jedes Gericht wollte und will es daher hinnehmen, dass fehlerhaft arbeitende Inkassounternehmen in der Lage sein sollen, die Gerichte mit fehlerhaften Klagen und Mietverhältnisse mit pauschalen Angriffen zu belasten.

Die 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin entschied im Oktober 2020, dass auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH ein Verstoß gegen § 3 RDG vorliegen kann, der gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Abtretung des Mieters an den Inkassodientsleister mit der Folge führt, dass die Klage scheitert.

„Weshalb Gerichte aus Gründen des „Schutzes der Rechtspflege“ vor den im Wege einer generalisierenden Wertung als qualitativ unzureichend erachteten Schriftsätzen von Inkassounternehmen „bewahrt werden“ müssen, dieselben – ausweislich einer außergerichtlichen Zuvielforderung von monatlich 361,48 EUR – auch hier erneut mit schwerwiegenden Rechtskenntnis- und Rechtsberatungsdefiziten behafteten Inkassounternehmen jedoch vorgerichtlich in der Lage sein sollen, auf dem „in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ein erhebliches Maß an Komplexität“ aufweisenden Gebiet des Wohnraummietrechts in „verantwortungsvoller Weise“ vom Tätigkeitsumfang rechtsanwaltsgleiche und dem Schutzzweck des § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG genügende Rechtsdienstleistungen zu erbringen, ist ebenfalls nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung.“
LG Berlin, 67. Zivilkammer, 22.10.2020
(Revision beim BGH anhängig unter VIII ZR 358/20)

Manch einer hat dies als „Frontalangriff auf die Legal-Tech-Industrie“ oder als „Aufmüpfigkeit“ gegenüber dem BGH beschrieben. Das wird der Sache aber nicht gerecht.

Das Gericht hatte schlicht geltendes Prozessrecht auf den konkreten Einzelfall angewendet. Es verwehrte sich gegen die über einen Algorithmus erzeugten Standardschreiben des Inkassounternehmens, gegen die Missachtung des tatsächlich maßgeblichen Sach- und Streitstandes und verwies auf etwas Selbstverständliches: Maßgeblich ist der im konkreten Einzelfall zu beurteilende Sachverhalt und die tatrichterliche Gesamtwürdigung aller Umstände.

Dem Inkassodienstleister wurde sein fehlerhaftes Agieren zum Verhängnis, das offenbar daraus resultierte, dass die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls in seinem Geschäftsmodell keine Rolle spielten.

„Eine davon abweichende tatsächliche Feststellung und rechtliche Würdigung (…) ist der Kammer auf Grundlage des wechselseitigen Sachvortrags der Parteien jedenfalls für den hier zu beurteilenden Sachverhalt verwehrt. Entsprechende tatrichterliche Feststellungen wären verfahrensfehlerhaft und würden die Beklagte in ihrem auf Art. 103 Abs. 1 GG beruhenden Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verletzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 1981 – 2 BvR 911/80, BVerfGE 57, 39; Heßler, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 538 Rz. 18). Denn sie entbehrten nicht nur der tatsächlichen Grundlage im Parteivortrag, sondern würden auch den sich durch den Internet-Auftritt der Klägerin, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen und den Inhalt der von den Mietern erteilten Vollmacht bestimmten Mandatsinhalt vollständig ausblenden und damit das tatsächliche Geschehen in sein sachlich unzutreffendes Gegenteil verkehren.“
LG Berlin, 67. Zivilkammer, 22.10.2020

Hinweis: Bei der 67. Zivilkammer handelt es sich um jene Kammer, die entgegen anderen Zivilkammern des Landgerichts Berlin von der Nichtigkeit des Mietendeckels überzeugt war – und von dem Bundesverfassungsgericht vollständig bestätigt wurde.


Amtsgericht

Hinweis:
Der Autor war an dem Verfahren anwaltlich auf Seiten des Vermieters beteiligt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mit Urteil vom 07. Oktober 2021 hat sich nun das Amtsgericht Köpenick der Ansicht der 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin in einem weiteren Fall angeschlossen und entschieden, dass der Inkassodienstleister wegen Nichitigkeit der Abtretung gemäß § 134 BGB in Verbindung mit §§ 2 Absatz 1, 3, 5, 10 RDG schon nicht aktivlegitimiert ist, die Klage also überhaupt nicht erheben durfte.

Auch in diesem Fall musste sich der Inkassodienstleister mit seinen über einen Algorithmus erzeugten Standardschreibenden den Vorwurf eines gegenüber dem Mietvertrag und den Mietvertragsparteien gleichgültigen Geschäftsmodells gefallen lassen. Er hatte den Vermieter mit einer Vielzahl von Forderungen und Fristsetzungen aus abgetretenem Recht konfrontiert, ohne auch nur ein Wort dazu zu verlieren, was wirklich galt: Der Mietvertrag und die bereits erfolgten Auskünfte und Informationen. Eine solche Geltendmachung von Mieterrechten unter Missachtung des Mietvertrages, der Mietvertragsparteien und der tatsächlichen Gegebenheiten beachtete weder die Besonderheiten des Wohnraummietrechts oder des konkreten Wohnraumverhältnisses, noch war sie mit einem verantwortlichen Umgang mit Mieterrechten vereinbar.

Das Inkassounternehmen „bombardierte“ den Vermieter losgelöst von dem konkreten Fall mit weder passenden noch geeigneten Fragen nach seiner standardisierten „Textbaustein-Methode“ und verlief sich in unzutreffenden, unschlüssigen, widersprüchlichen und rechtsfehlerhaften Ausführungen.

  • Das Inkassounternehmen legte bereits einen nicht zutreffenden Mietspiegel zugrunde. Es hatte offenbar verkannt, dass der Mietspiegel 2019 eine Übersicht über die am 01.09.2018 üblicherweise gezahlten Mieten ist und fälschlicherweise den Mietspiegel 2017 herangezogen.
  • Das Inkassounternehmen hatte zudem ein unzutreffende Mietspiegelfeld angenommen.
  • Es hatte auf das Baujahr des Gebäudes abgestellt, obwohl maßgeblich nicht das Alter des Gebäudes, sonders nur das Alter der durch Dachgeschossausbau neu entstandenen Wohnung sein konnte (2004).
  • Es hatte trotz der bereits vorvertraglich, vertraglich und nach Vertragsschluss erfolgten Angaben des Vermieters zum Baujahr zunächst Auskunftsansprüche dazu gestellt, dann unzutreffend einfach ein Baujahr „1919-1949“ behauptet und angenommen, eine angeblich bestehende eigene „Datenbank“ (auf Grundlage der Angaben des Mieters) sei ein taugliches Beweismittel, um dann plötzlich 1951-1960 als Baujahr zu behaupten.
  • Auf wenig Verständnis beim Amtsgericht traf auch der Versuch des Inkassounternehmens, einen Auszug aus dem Online-Umweltatlas Berlin als geeignete Beweisquelle für ein Baualter anzuführen.
  • Aus dem von Inkassounternehmen vorgelegten Auszug selbst ergab sich bereits, dass das „Legal Tech“-Inkassounternehmen die Funktionsweise des Online-Umweltatlas nicht erfasst hatte. Dargestellt werden dort gebäudeweise lediglich die überwiegenden Baualtersklassen der Wohngebäude auf der Ebene der Block- und Blockteilflächen (Angaben in Dekaden), es erfolgt keine Angabe zu dem, um was es eigentlich ging: Das Alter der einzelnen Wohnung. Es erfolgt aber noch nicht einmal eine Angabe dazu, auf was das Inkassounternehmen rechtsfehlerhaft abstellen wollte: Das Baualter des Gebäudes. Der Umweltatlas erfasst Angaben zu überwiegenden Baualtersklassen in Dekaden. 
  • Ohnehin wäre es nach dem AG Köpenick für das insoweit darlegungsbelastete Inkassounternehmen bzw. für die Mieter ohne weiteres möglich gewesen, das Baujahr der Wohnung beim Bauamt zu erfra- gen.

Das Amtsgericht Köpenick kam aber nicht nur in Übereinstimmung mit dem Landgericht (67. Zivilkammer) zur Nichtigkeit der Abtretung. Es versagte dem Inkassounternehmen im Hinblick auf die gerichtlich geltend gemachte Auskunft sogar das Rechtsschutzsbedürfnis und wies die Klage insoweit schon als unzulässig ab.

Auch hier rächte sich die standardisierte „Textbaustein-Methode“ des Inkassounternehmens. Denn der eingeklagte Auskunftsanspruch passte zum einen nicht zum geltend gemachten Zahlungsanspruch, obwohl ersterer gegenüber dem zweiteren nur dienende Funktion hat. Zum anderen aber stellte der Inkassounternehmen mit dem Auskunftsbegehren sein eigenes Zahlungsbegehren in Frage und handelte damit sogar dem eigenen Interesse bzw. dem Interesse des Mieters zuwider.

„Soweit die Klägerin Auskunft begehrt, ist die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Jede weitere Auskunft der Beklagten hätte den in der Hauptsache verfolgten Zah- lungsanspruch der Klägerin zumindest teilweise in Frage stellen können und liefe als Verteidi- gungsvorbringen also sogar den Interessen der Klägerin zuwider.“
AG Köpenick – 07.10.2021

Mit dieser Rechtsprechung ist das AG Köpenick nicht allein. Ebenso etwa:

  • LG Berlin (64. Zivilkammer, 09.09.2020)
  • LG Berlin (67. Zivilkammer, 22.10.2020)
  • AG Charlottenburg (12.08.2021)

Zu mietvertraglichen Abtretungsausschlüssen demnächt mehr – auf Grundlage des neuen „Gesetzes für faire Verbraucherverträge“.

  • AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, Urteil vom 24.11.2020
  • AG Berlin-Neukölln, Urteil vom 29.07.2020
  • AG Berlin-Schöneberg, Urteil vom 13.04.2021
  • a.A. Landgericht Berlin, Urteil vom 30.03.2021, für den Fall einer allgemeinen Abtretungsausschlussklausel einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in London (zweifelhaft)

Als weitere Hürde für Inkassodienstleister haben sich mietvertragliche Abtretungsverbote erwiesen. So haben einige Gerichte bereits zutreffend entschieden, dass die formularmäßige Vereinbarung, wonach es dem Mieter nicht gestattet ist, Ansprüche und/oder Rechte an einen Inkassodienstleister abzutreten, wirksam ist und dass die Klage eines Inkassodienstleisters aus abgetretenem Recht dann als unbegründet abzuweisen ist. Auch aus dieser Rechtsprechung lässt sich Grundlegendes dazu entnehmen,

„Die Vermieterin ist nicht gehalten, mit einem beliebigen Wohnungsbewerber vertraglich zu kontrahieren, sondern ist in der Wahl ihres Vertragspartners frei; dies ist Ausdruck der dem Zivilrecht immanenten Privatautonomie. Dann aber darf auch derjenigen Vermieterin, die eine Vielzahl von Wohnimmobilien vermietet, nicht alleine aufgrund dieser Tatsache das Interesse daran abgesprochen werden, die Vertragsabwicklung klar und übersichtlich zu gestalten und nicht mit einer Vielzahl von Neugläubigern in Konflikt geraten zu wollen. Darüber hinaus stellt gerade bei Wohnraummietverhältnissen der Mieter den geeignetsten Gegner dar, der den streitigen Wohnraum kennt und damit am besten beurteilen kann. (…) Die Auffassung der Klägerin, dem Mieter würde durch das Abtretungsverbot sein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG genommen, ist somit verfehlt. Richtig ist, dass es dem Mieter selbst überlassen bleiben soll, wie er letztlich zu seinem Recht gelangt. Es ist dafür aber nicht erforderlich, dass er seine Ansprüche an einen dem Vermieter unbekannten Dritten abtritt. Es darf ihm vielmehr zugemutet werden, sich an die gegenseitigen, vertraglichen Abreden mit seiner Vermieterin zu halten und im Rahmen dessen seine Rechte – ohne eine ins Gewicht fallende Benachteiligung seiner Interessen – durchzusetzen. Die Abtretung der Ansprüche mag für den Mieter aus Kostengründen komfortabel sein, einen legitimen Grund, hieraus ein Abtretungsverbot herzuleiten, stellt dieser Umstand indes nicht dar. Kostenrisiken können keinen Grund darstellen, der Anlass dafür bietet, in die Privatautonomie und vertragliche Gestaltungsfreiheit einzugreifen.
AG Berlin-Schöneberg, Urteil vom 13.04.2021


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