In den USA hat die Rechtsaußenmehrheit des Supreme Court kürzlich nicht nur entschieden, dass der Staat zwar den weiblichen Uterus, nicht aber den Umgang mit Waffen regulieren darf, sondern auch, dass die Bundesumweltbehörde EPA zwar die Emissionen einzelner Kraftwerke regulieren kann, aber keine Standards für die Verlagerung der Energieversorgung von fossilen Brennstoffen auf sauberere Quellen festlegen kann. „Mir fallen nicht viele Dinge ein, die ich furchteinflößender finde“ schreibt die unterlegene Richterin Elena Kagan in ihrer von zwei Richterkollegen mitgetragenen abweichenden Meinung.
Anders bei uns. Auch aus dem Grund, dass Lebensschutz bei uns anders verstanden wird. Es ist nach dem Bundesverfassungsgericht das Verfassungsrecht selbst, das den Klimaschutz zum Gebot der Stunde macht und ihn auf eine justiziable, rechtlich verbindliche Ebene hebt. Der klare Auftrag an den Gesetzgeber: Er darf einen ad infinitum fortschreitenden Klimawandel von Verfassungs wegen nicht tatenlos hinnehmen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält eine allgemeine staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Das Grundrecht schließt auch die staatliche Pflicht ein, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen.
Für die Immobilienbranche besonders bemerkenswert ist, dass es dabei nicht nur um die allgemeine staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder um das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG geht, sondern auch um Eigentumsschutz der Immobilieneigentümer selbst: Da infolge des Klimawandels auch in Deutschland Immobilien auf unterschiedliche Weise Schaden nehmen können, schließt Art. 14 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Eigentumsgefahren des Klimawandels ein.
Das Grundgesetz gibt nach dem BVerfG zwar nicht im Einzelnen vor, was zu regeln ist, um Voraussetzungen und Anreize für die Entwicklung klimaneutraler Alternativen zu schaffen. Grundlegend hierfür und damit für eine vorausschauende Schonung künftiger Freiheit ist nach dem BVerfG allerdings, dass der Gesetzgeber einer möglichst frühzeitigen Einleitung der erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse bietet und diesen damit zugleich ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermittelt.
Das hat der Berliner Landesgesetzegeber mit § 16a NachbarG Bln gemacht, und zwar klar und einfach mit diem Ziel, die Durchführung möglichst vieler und rascher Dämmmaßnahmen zu erreichen: Der Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 16a NachbarG BIn auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung hat einzig zur Voraussetzung, dass die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, an der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt. Dies wurde nun vom Bundesgerichtshof bestätigt.
- Eben erst hat der BGH entschieden, dass der Nachbar einen Überbau durch Wärmedämmung im Bestand landesrechtlich dulden muss. Dies betraf das Landesnachbarrecht von NRW.
- Nun, in einer aktuellen Entscheidung, hat sich der BGH dem Berliner Landesnachbarrecht angenommen. Dieses unterscheidet sich von den durchweg ausführlicheren Regelungen anderer Bundesländer, die die Duldungspflicht teils an weitere Voraussetzungen knüpfen, teils in bestimmten Fällen einschränken. Der BGH äußert Zweifel an der materiellen Verfassungsmäßigkeit von § 16a NachbarG, namentlich an der Vereinbarkeit der Norm mit Art. 14 Abs. 1 GG, ist von der Verfassungswidrigkeit der Norm aber nicht überzeugt und bestätigt sie damit.
Die Entscheidung des BGH zeigt dabei eindrucksvoll, wie die KSG-Entscheidung des BVerfG zunehmend sich auswirkt auf die praktische Rechtsanwendung auch und vor allem im Immobilienbereich.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer untereinander betrifft, deren Individualinteressen zum Ausgleich zu bringen sind. Sie dient vielmehr vor allem dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang mit Verfassungsrang; im Interesse künftiger Generationen ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich sogar verpflichtet, in allen Lebensbereichen Anreize für die Entwicklungen zu schaffen, die den rechtzeitigen Übergang zur Klimaneutralität ermöglichen (vgl. BVerfGE 157, 30 Rn. 248). Ein solcher Anreiz soll hier gesetzt werden.
Bundesgerichtshof
Auch wenn mit der Regelung für den jeweiligen Nachbarn im Einzelfall Härten verbunden sein mögen, ist sie nach dem BGH aufgrund des Interesses der Allgemeinheit an der möglichst raschen Dämmung von Bestandsgebäuden gerechtfertigt.
- Die Regelung in § 16a NachbarG Bln dient dem Ziel, die energetische Sanierung von bestehenden Gebäuden, insbesondere von Altbauten, zu erleichtern.
- Die nachträgliche Wärmedämmung einer Grenzwand soll auch in dem Fall ermöglicht werden, dass sie einen Überbau auf das Nachbargrundstück mit sich bringt.
- Die Regelung zielt folglich auf Energieeinsparungen bei bestehenden Wohngebäuden ab und dient dadurch mittelbar dem Klimaschutz.
- Der Landesgesetzgeber verfolgt damit ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Ziel, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klimaschutzgebot Verfassungsrang zukommt (vgl. hierzu KSG-Entscheidung des BVerfG).
Die BGH-Entscheidung stärkt nicht nur den Beurteilungsspielraum des (Landes-) Gesetzgebers in Klimasachen, sondern stärkt auch die äußere Wärmedämmung als (rechtssichere) Maßnahme des Klimaschutzes im Bestand:
- Die Innendämmung von Grenzwänden ist (nicht immer) eine adäquate Alternative zu einer Außendämmung. Grund sind nach den Beweis-Feststellungen des Falles bauphysikalischen Folgen, etwa die Gefahr der Erhöhung des Feuchtegehalts der Außenwand.
- Auch dort, wo die Innendämmung technisch adäquat ist, stellt sie nach dem BGH kein gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des Zieles einer raschen Dämmung von Bestandsgebäuden dar.
- Denn der Grundstückseigentümer kann, wenn die Wohnungen vermietet sind, die Innendämmung nur mit Zustimmung seiner Mieter durchführen, die er gegebenenfalls zunächst jeweils gerichtlich erstreiten muss.
- Ist das Gebäude in Wohnungseigentum aufgeteilt, stellt sich die Innendämmung als eine Maßnahme dar, die das Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer betrifft. Selbst wenn eine solche Maßnahme durch die Wohnungseigentümer beschlossen werden könnte, stünde den einzelnen Wohnungseigentümern der Rechtsweg gegen einen solchen Beschluss offen, was ebenfalls zu einer erheblichen Verzögerung führen kann.
Der Gesetzgeber hält sich daher nach Auffassung des Senats im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums, wenn er davon ausgeht, dass zu einer Außendämmung von Bestandsgebäuden keine gleich geeignete, vor allem keine gleich rasche und für den dämmenden Eigentümer gleich rechtssichere Alternative besteht.
Bundesgerichtshof
HINWEIS:
Die Geeignetheit der Regelung steht nach dem BGH auch nicht deshalb in Frage, weil § 16a NachbarG Bln keine Anforderungen an die technische Eignung und öffentlich-rechtliche Zulässigkeit der für die Dämmung verwendeten
Materialien der Dämmung vorsieht. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Eigentumsinteressen des Nachbarn dadurch beeinträchtigt werden, dass der überbauende Eigentümer für die Dämmung Materialien verwendet, die hierfür nicht oder noch nicht zugelassen sind. Oder wie es der BGH schon 2008 (!) entschieden hat:
„Anders als bei der Errichtung der Häuser vor ca. 100 Jahren ist es heute nicht mehr üblich und zudem mit der Notwendigkeit der Energieeinsparung unvereinbar, ein Wohnhaus mit einer ungedämmten Außenwand zu errichten, die nur aus einem Ziegelstein-Mauerwerk besteht. Selbst wenn es keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur nachträglichen Dämmung einer solchen Außenwand gibt, entspricht es doch dem Interesse jedes vernünftig denkenden Teilhabers der Wand diese so „nachzurüsten”, dass sie in Funktion und Aussehen dem allgemein üblichen Standard entspricht. Es geht also – entgegen der Ansicht der Revision – hier nicht nur um das alleinige Interesse des Kl. an einer besseren Dämmung der Wand.“
Mit dem BGH können weitere Voraussetzungen oder sonst Einschränkungen der Duldugspflicht des Nachbarn auch nicht unter Rückgriff auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ oder im Wege der verfassungskonformen Auslegung und auch nicht unter Anwendung der Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses begründet werden.
Was sehen die Regelungen der anderen Bundesländer vor?
- Die Regelungen in nahezu allen anderen Ländern sehen vor, dass der Überbau die Benutzung oder (zulässige) beabsichtigte Benutzung des Grundstücks des Nachbarn nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen darf.
- Dies wird teilweise dahingehend konkretisiert, dass die Überbauung in der Tiefe ein bestimmtes Maß nicht überschreiten darf, das zumeist 25 cm, teils aber auch nur 20 cm beträgt.
- Ergänzend wird teilweise bestimmt, dass der Nachbar die Überbauung nur zu dulden hat, wenn die Wärmedämmung über die Bauteileanforderungen in der Energieeinsparverordnung in der jeweils geltenden Fassung nicht hinausgeht.
- In der Mehrzahl der anderen Länder ist der Überbau nur zu dulden, wenn eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise (als durch Außendämmung) mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann.
- Die meisten landesrechtlichen Regelungen sehen zudem vor, dass die für die Wärmedämmung verwendeten Bauteile nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig oder zugelassen sein müssen bzw. öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen dürfen.
Aber auch in Berlin bestehen Einschränkungen:
- Nach § 16a Abs. 2 NachbarG Bln ist der duldungsverpflichtete Nachbar im Falle des Wärmeschutzüberbaus berechtigt, die Beseitigung des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will. Dieser Rückbauverpflichtung des überbauenden Eigentümers kommt eine gewisse „selbstregulierende“ Wirkung zu. Steht nämlich zum Zeitpunkt des Überbaus bereits fest bzw. hat der Nachbar bereits ankündigt, dass er in naher Zukunft selbst an die Grenzwand anbauen will, wird sich die Wärmedämmung aus Sicht des Eigentümers des Bestandsgebäudes in vielen Fällen nicht mehr als lohnend darstellen, weil sie ohnehin alsbald zurückzubauen wäre und damit zusätzlich zu den dann nicht amortisierten Kosten der Dämmung noch Kosten für den Rückbau anfielen.
- Durch § 16a Abs. 3 NachbarG Bln wird dem Begünstigten des Wärmeschutzüberbaus auferlegt, die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und funktionsgerechten Zustand zu erhalten und die wärmegedämmte Grenzwand zu unterhalten. Das folgt auch aus allgemeinen Regeln: Der überbaute Teil des Bauwerks gehört bei dem zu duldenden Überbau nicht dem Eigentümer des überbauten Grundstücks, sondern entsprechend § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Eigentümer des Stammgrundstücks.
- Nach § 16a Abs. 4 i.V.m. § 17 Abs. 3 NachbarG Bln ist das Recht so zügig und schonend wie möglich auszuüben und darf nicht zur Unzeit geltend gemacht werden. Der Nachbar ist auf der Rechtsfolgseite der Norm davor geschützt, dass der überbauende Nachbar die Dämmung etwa zur Nachtzeit anbringt oder die Ausführung der Arbeiten ohne Grund in die Länge zieht.
Es begegnet rechtlich auch keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Unwägbarkeiten bei der Ausführung von Baumaßnahmen dieser Art als allgemein bekannt (§ 291 ZPO) voraussetzt und im Hinblick darauf für die Maßnahmen eine Zeitdauer von drei Monaten veranschlagt.
Bundesgerichtshof
- Der duldungspflichtige Nachbar ist für die Beeinträchtigung der Benutzung seines Grundstücks zu entschädigen. Nach § 16a Abs. 5 NachbarG BIn findet § 912 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung.
- Der Nachbar ist durch eine Geldrente zu entschädigen. Sie hat die Funktion, den Nutzungsverlust des betroffenen Eigentümers auszugleichen.
- Für die Höhe der Rente ist die Zeit der Grenzüberschreitung maßgebend.
- Der Anspruch auf die Überbaurente besteht selbst dann, wenn die Beeinträchtigung geringfügig ist, weil die – wenn auch ggf. geringe – Rente auf der Grundlage der überbauten Fläche und deren Wert zu berechnen ist.
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