Eine Lektüre des Klimaschutzberichts 2022 der Bundesregierung nach § 10 Absatz 1 des Bundes-Klimaschutzgesetzes ließ die Frage aufkommen:

Are You Ready for Green Growth?

Die Bundesregierung möchte das sein. Eine Begrenzung des Klimawandels sei eine notwendige Voraussetzung, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Klimaschutz sichere Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand, so der Klimaschutzbericht 2022. Das Problem: Der Klimaschutzbericht definiert dringenden Handlungsbedarf in allen Sektoren, das Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 befindet sich aber trotzdem auch im Oktober 2022 noch in der Ressort-Abstimmung.

Für weitere geplante Maßnahmen wird auf das Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung verwiesen, welches derzeit noch verhandelt wird.

Klimaschutzbericht 2022 der Bundesregierung, 31.08.2022

Mahnende Worte folgen prompt aus der Wissenschaft. Eben erst hat der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug, mehr Tempo beim Klimaschutz und vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien eingefordert. Viel zu langsam sei das gewesen, es müsse massiv in Erneuerbare investiert werden („Wir sind überall am Aussteigen ohne einzusteigen„), so der Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie zur dpa. Einsteigen nicht nur in die Bedeckung der Dächer mit Photovoltaik, sondern auch in eine Führungsrolle des Landes etwa bei einer modernen Wasserstoff-Infrastruktur („Wasserstoff-ready„), nicht zuletzt zum Schutz und zum Erhalt der inländischen Grundstoffindustrie.

Ist der Bund nun also Ready for Green Growth oder doch nicht? Die vorgenannte Readiness-Frage kommt folglich auch nicht aus Regierungskreisen, sondern aus der Wirtschaft. Sie wird formuliert von der Boston Consulting Group (BCG) in ihrem Report Most Innovative Companies of 2022, September 2022. BCG hat in diesem Rahmen zum ersten Mal nach der Bedeutung von Klima und Nachhaltigkeit (Climate and Sustainability, C&S) für die Innovation gefragt:

  • Zwei Drittel der Unternehmen stuften C&S als eine der obersten Prioritäten ihres Unternehmens ein.
  • Mehr als die Hälfte gab an, dass sie engagierte C&S-Innovatoren sind, was bedeutet, dass sie sowohl Innovation als auch C&S zu ihren drei wichtigsten Prioritäten zählen.
  • Nur etwa jedes fünfte Unternehmen ist aber bereit, aktive Maßnahmen zu ergreifen.

Viele der BCG Most Innovative Companies 2022 sind nach der Studie C&S-engagiert und bereit, C&S-Innovationsführer zu sein und gehörten zu den ersten Unternehmen, die Environmental, Social and Governance-Prinzipien (ESG) einführten und sich zur Dekarbonisierung verpflichteten.

Unter den Top 50 Most Innovative Companies 2022 gibt es einen hohen „Readiness-Faktor“ aus der Region Berlin/Brandenburg: Zalando steigt direkt auf Platz 25 neu ein. Tesla liegt weit vorn auf Platz 5, davor nur Apple (1), Microsoft (2), Amazon (3) und Alphabet (4), und dient zugleich als Best-Known-Example. Auch Siemens (20), Bosch (26) und SAP (40) sind gut dabei.

„Leaders find and spotlight the must-win domains—key areas of focus for innovation that they identify through customer-driven insights—that will advance their C&S agendas. They also focus more intensively on product and business model innovation and on innovation from advanced technologies. The best-known example of this may be Tesla (at number 5 on the 2022 top 50 list), which devel- oped both a new type of product and a new business model, thereby disrupting the auto industry. But traditional industry leaders such as Toyota (number 21), Hyundai (number 33), General Motors (number 42), and Ford (number 43) are catching up by focusing their own considerable innovation capabilities on hybrid and electric vehicles.“
Boston Consulting Group (BCG), Most Innovative Companies of 2022, September 2022, p. 10

Nach dem BCG-Report stehen die Unternehmen in vielen Branchen vor einem komplexen und unklaren Weg, der die CEOs fordert. Die Erwartungen sind hoch, die Klimakrise (und die vielen anderen Krisen) legen die Messlatte nochmals höher und Investoren, Kunden und Regulierungsbehörden erwarten zunehmend die Entwicklung von C&S-Lösungen.

CEOs are on the spot. They must plan for and invest in technologies and solutions whose potential is uncertain and whose development timelines will likely outlast the executives’ tenures. There are plenty of risks and no established incentives for success—only growing customer and investor pressure and the need to save the planet.

Boston Consulting Group (BCG), Most Innovative Companies of 2022, September 2022, p. 16

Die Geschäftsführer und Vorstände stehen im Fokus. Und auch wenn es nicht ihre Aufgabe ist, den Planeten zu retten, sind die Aufgaben, Erwartungen und Verantwortlichkeiten in unsichren und risikoreichen Zeiten enorm. Zum deutschen Recht hat kürzlich das OLG Nürnberg, Urteil vom 30.3.2022 – 12 U 1520/19, lesenswert den gesellschaftsrechtlichen Handlungsspielraum für die Geschäftsführung umrissen:

  • Geschäftsführung impliziert riskante und gegebenenfalls nachteilige Entscheidungen.
  • Um damit verbundene unangemessene Fehlurteile zu vermeiden, genügt ein eingetretener Verlust als solcher selbst bei riskantem Verhalten nicht, um einen Verstoß gegen 43 I GmbHG zu begründen.
  • Vielmehr ist dem Geschäftsführer (außerhalb zwingender Verhaltensvorgaben) ein weitreichender Beurteilungsspielraum zuzubilligen, der für jegliche unternehmerische Tätigkeit denknotwendig ist.
  • (Wirtschaftliche) Zweckmäßigkeit der unternehmerischen Entscheidung unterliegt nicht gerichtlicher Kontrolle; ebenso wenig darf das Gericht eine eigene unternehmerische Entscheidung anstelle des Geschäftsführers vornehmen.
  • Nach der – in § 93 I 2 AktG für die Aktiengesellschaft normierten, für die GmbH entsprechend anwendbaren – so genannten business judgement rule liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn der Geschäftsführer bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
  • Dieser Handlungsspielraum kann auch im Ansatz das bewusste Eingehen geschäftlicher Risiken mit der Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen umfassen.
  • Nach der Rechtsprechung ist der von der business judgement rule eingeräumte Handlungsspielraum dann überschritten, wenn aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar ist und keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafür sprechen, es dennoch einzugehen.

Und wenn von den Unternehmen eine Führungsrolle in Sachen Klima und Nachhaltigkeit erwartet wird, dann erfordert das mit dem Bundesverfassungsgericht auch, dass der Gesetzgeber einer möglichst frühzeitigen Einleitung der erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bietet und den Unternehmen damit zugleich ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermittelt (siehe ausführlich: Was ist Klimaschutz? Nachhaltigkeit & Recht nach der KSG-Entscheidung des BVerfG). Und weiter das BVerfG zum Innovationstreiber Klimaschutz:

  • Einer Innovationswirkung frühzeitiger konkreter Reduktionsmaßgaben stünde nicht notwendig entgegen, dass der Gesetzgeber seine Maßgaben ausschließlich für Deutschland treffen könnte, Deutschland aber zu klein wäre, um in international ausgerichteten Märkten die erforderlichen Entwicklungen anzustoßen und zu etablieren.
  • Soweit durch konkrete Reduktionsmaßgaben gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und individuellen Lebensentwürfen eine Orientierung geboten wird, bleibt der nationale Rahmen von herausgehobener Bedeutung.
    • Der nötige Entwicklungsdruck entsteht, indem absehbar wird, dass und welche Produkte, Dienstleistungen, Infrastruktur-, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, Konsumgewohnheiten oder sonstigen heute noch CO2-relevanten Strukturen schon bald erheblich umzugestalten sind.
    • Legte der Gesetzgeber beispielsweise frühzeitig konkret fest, dass dem Verkehrssektor ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch geringe jährliche Emissionsmengen zur Verfügung stehen, könnte dies Anreiz und Druck für die Entwicklung und Verbreitung alternativer Techniken und der dafür erforderlichen Infrastruktur entfalten.
    • Die frühzeitige Erkennbarkeit einer Verteuerung und Verknappung CO2-relevanter Mobilität könnte etwa auch dazu führen, dass grundlegende Entscheidungen und Entwicklungen zu Berufs- und Arbeitsplatzwahl oder zur Gestaltung von Arbeits- und Geschäftsabläufen rechtzeitig so getroffen und eingeleitet würden, dass sie von vornherein weniger Mobilität erforderten.
  • Aber auch im Bereich der technologischen Entwicklung ist ein spürbarer Effekt verbindlicher nationaler Reduktionspfade selbst dort denkbar, wo Innovation von ökonomischen Interessen getrieben ist.
    • Einerseits entfaltet schon der deutsche Markt selbst eine Nachfragekraft.
    • Andererseits stellen sich ähnliche Herausforderungen auch andernorts und erfolgen nationale Regelungen ohnehin auch in europäischer und internationaler Abstimmung und Wechselwirkung.

Das nimmt den Gesetzgeber in die Pflicht und dies wird umso dringender, wenn man sich den Stand und die Projektionen des Klimaschutzberichts 2022 ansieht:

Klimaschutzbericht 2022 der Bundesregierung, 31.08.2022

Aber enden wir optimistisch mit einem Abschlusszitat aus der Wissenschaft:

Auch wenn es zweifellos eine große Herausforderung ist: Schnelle und drastische Minderungen der Treibhausgas-Emissionen sind möglich, das zeigen zahlreiche Studien. Viele der dafür notwendigen Technologien existieren und sind teilweise bereits unter den heutigen politischen Rahmensetzungen finanziell konkurrenzfähig.

Was wir heute übers Klima wissen – Basisfakten zum Klimawandel, die in der Wissenschaft unumstritten sind, Stand: September 2022, S. 24 (Herausgeber: Deutsches Klima-Konsortium, Deutsche Meteorologische Gesellschaft, Deutscher Wetterdienst, Extremwetterkongress Hamburg, Helmholtz-Klima-Initiative, klimafakten.de)

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