Ist dort, wo die Linke regiert, ein Verfassungsbruch garantiert?
Wir erinnern uns an den Berliner Mietendeckel, dessen treibende Kraft die Linke war und der vom Bundesverfassungsgericht unvermeidlich pulverisiert wurde. Der Versuch, entgegen der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung durch Landesrecht die Rechte von Immobilieneigentümern zu beschränken, scheiterte. „Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung ist unverfügbar.“ So das Bundesverfassungsgericht. Und sie lässt sich auch nicht austricksen, wie es der Berliner Landesgesetzgeber mit einigen argumentatorischen Wendungen vergeblich versuchte.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2661/21) dem linksregierten Thüringen einen Verfassungsverstoß attestiert. Erneut ging es um ein Landesgesetz, welches entgegen der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung Eigentümerbefugnisse beschränken wollte. Dieses mal ging es um einen Angriff auf die Eigentümer von Waldgrundstücken. Das Thüringer Waldgesetz wollte jede Änderung der Nutzungsart von Waldgebieten zur Errichtung von Windenergieanlagen verbieten.
Das Bemerkenswerte an der verfassungswidrigen Regelung: Sie ging auf einen Entwurf der Fraktion der FDP zurück, den diese gemeinsam mit der Fraktion der CDU eingebracht und begründet hatte, eben jene Parteien, die sich in Berlin noch für den Schutz der Eigentumsgarantie und die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung stark gemacht hatten. Die Regierungsfraktionen (Linke, Grüne, SPD) waren sogar dagegen, stimmten aber zu, um die Zustimmung zum Landeshaushalt zu bekommen.
Und damit gibt der Fall in bemerkenswerter Weise der KSG-Entscheidung des BVerfG Recht, welche den Klimaschutz auf die Verfassungsebene hob, eben um den Klimaschutz vor dem kurzfristig organisierten politischen Alltagsbetrieb mit all seinen macht- und interessenpolitischen Auswüchsen zu schützen. Und eben diese KSG-Entscheidung greift das BVerfG auch jetzt ausdrücklich auf:
Gegen eine Durchbrechung der in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB geregelten Privilegierung der Windkraft im Außenbereich durch pauschale landesrechtliche Verbote von Windenergieanlagen im Wald spricht auch, dass der Ausbau der Nutzung der Windkraft einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels leistet und zugleich die Sicherung der Energieversorgung unterstützt.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21

Nach der aktuellen Entscheidung des BVerfG fehlt dem Land die Gesetzgebungszuständigkeit für das Verbot, weshalb die Eigentumsrechte der Eigentümer von Waldgrundstücken verfassungswidrig verletzt wurden. Eine Gesetzgebungszuständigkeit für das Waldrecht als eigene Rechtsmaterie regelt das Grundgesetz zwar nicht. Denn die Regelungen des Grundgesetzes über die Gesetzgebungszuständigkeiten weisen das Waldrecht nicht als eigenständige Regelungsmaterie aus.
Bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich lässt keinen Raum für abweichendes Bodenrecht der Länder
Der Bund hat aber von der Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) insoweit, insbesondere durch die bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich, abschließend Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG).
Bodenrechtstypisch klärt die Norm als flächenbezogene Regelung – hier negativ – die Nutzungsfunktion von Grund und Boden, indem sie die Nutzung von Waldflächen für die Errichtung von Windenergieanlagen ausschließt.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
Für die Flächenzuweisung zur Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich hat der Bundesgesetzgeber von dieser Gesetzgebungskompetenz insbesondere durch § 35 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 249 Abs. 3 BauGB und in § 35 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB Gebrauch gemacht (künftig § 35 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 249 Abs. 1 bis 3 BauGB in der zum 1. Februar 2023 in Kraft tretenden Neufassung durch Art. 2 des Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land vom 20. Juli 2022).
Im Ergebnis hat der Bundesgesetzgeber die bodenrechtliche Zulässigkeit von Windenergieanlagen und die Möglichkeiten eigener Regelungen der Länder in diesen Vorschriften abschließend geregelt.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
- § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB normiert die bauplanungsrechtliche Privilegierung der Windenergie im Außenbereich. Vorhaben zur Windenergienutzung sind danach insofern gegenüber anderen Vorhaben bevorzugt, als sie auch dann zulässig sind, wenn sie öffentliche Belange „beeinträchtigen“. Erst wenn öffentliche Belange „entgegenstehen“, begründet das die Unzulässigkeit (vgl. § 35 Abs. 1 BauGB).
- Dies erleichtert die Zulassung einer Windenergieanlage im Außenbereich erheblich. Da Windener- gieanlagen öffentliche Belange in aller Regel beeinträchtigen, könnten sie als nicht privilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB kaum zugelassen werden. Wegen § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB sind sie hingegen grundsätzlich zulässig.
- Nur wenn insgesamt wichtigere öffentliche Belange entgegenstehen, sind sie danach unzulässig.
- Das bundesrechtliche Flächennutzungsregime für Windenergieanlagen wird durch § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergänzt. Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB können im Wege der sogenannten Konzentrationszonenplanung durch Windenergie-Standortzuweisung auf bestimmten Flächen andere Flächen von Windenergieanlagen freigehalten werden; ein Ausschluss ist also durch positive Ausweisung an anderer Stelle zu erreichen.
- Eine bloß negative Planung, die allein das Ziel des Ausschlusses von Vorhaben hat, reicht nicht; die bundesgesetzliche Privilegierung der Windenergie darf nicht durch sogenannte Verhinderungsplanung unterlaufen werden.
- Die noch nicht in Kraft getretene Neuregelung durch § 249 Abs. 1 und 2 BauGB n.F. wirkt insoweit ähnlich. Zwar erlaubt § 249 Abs. 3 Satz 1 BauGB (künftig ähnlich § 249 Abs. 9 BauGB n.F.) den Ländern gewisse Sonderregelungen über die Zulässigkeit von Windenergieanlagen im Außenbereich. Die Landesgesetzgeber können bestimmen, dass § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Vorhaben, die der Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung findet, wenn sie bestimmte Mindestabstände zu baulichen Nutzungen zu Wohnzwecken einhalten. Die privilegierte Zulässigkeit von Vorhaben der Windenergie im Außenbereich kann auf diese Weise durch Landesgesetz räumlich eingeschränkt werden. Die Zulässigkeit richtet sich dann nach § 35 Abs. 2 BauGB, so dass das Vorhaben bereits scheitert, wenn öffentliche Belange lediglich beeinträchtigt sind. § 249 Abs. 3 BauGB erlaubt den Ländern also, eine (bodenrechtliche) Regelung zu treffen, die die Errichtung von Windenergieanlagen in einem bestimm- ten Umkreis um Wohnbebauung praktisch ausschließt.
- § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG ist offensichtlich nicht von § 249 Abs. 3 BauGB gedeckt, es handelt sich nicht um eine nach § 249 Abs. 3 BauGB zulässige Abstandsregelung, sondern um ein waldflächenbezogenes Verbot. Nach § 249 Abs. 3 BauGB können aber keine weitergehenden oder anderen einschränkenden Bestimmungen zu § 35 BauGB über die Zulässigkeit von Windenergieanlagen im Außenbereich getroffen werden.
Der mit Wirkung zum 29. Juli 2022 neu gefasste § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verstärkt das Gewicht der Windenergienutzung in der Abwägung nun noch weiter. Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie der dazugehörigen Nebenanlagen liegen jetzt im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
Länderkompetenzen für Naturschutz und Landschaftspflege? Ja, aber nicht zum Zweck der Umwandlung einer Privilegierung in ein Verbot
Zwar kann der Landesgesetzgeber Waldgebiete aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) grundsätzlich durchaus unter Schutz stellen, wenn diese aufgrund ihrer ökologischen Funktion, ihrer Lage oder auch wegen ihrer Schönheit schutzwürdig und -bedürftig sind, und er könnte insoweit auch die Errichtung von Windenergieanlagen bei einem überwiegenden Schutzbedürfnis des Waldes ausschließen.
Dem Gegenstand der Regelung nach liegt zwar auch eine Zuordnung zur Materie des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) nicht fern, weil die Regelung Waldflächen betrifft. Wald hat neben seinem wirtschaftlichen Nutzen auch für die Umwelt besondere Bedeutung, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes. Weil die Regelung außerdem gerade den Bau von Windenergieanlagen betrifft, die regelmäßig jedenfalls als ästhetische Verschlechterung des Landschaftsbildes empfunden werden, ist auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Schönheit von Natur und Landschaft im Ausgangspunkt an eine Zuordnung zur Materie des Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG zu denken.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
Für naturschutzrechtliche Regelungen im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG prägend ist aber ein über den generellen Bedarf nach unbebauter Natur und Landschaft hinaus gehender spezifischerer Bedarf, konkrete Teile von Natur und Landschaft wegen ihrer besonderen Funktion, Lage oder Schönheit zu erhalten oder auch zu entwickeln. Diese Voraussetzung waren vorliegend nicht erfüllt. Die bloße Waldeigenschaft einer Fläche genügt grundsätzlich weder in ihrer ökologischen noch in ihrer ästhetischen Funktion. Dem Gegenstand nach handelte es sich bei dem Verbot um eine bodenrechtliche Regelung zur Freihaltung von Außenbereichsflächen.
Unmittelbare Rechtsfolge der angegriffenen Regelung ist das Verbot der Nutzungsänderung von Waldflächen, um Windenergieanlagen zu errichten. Der flächenbezogene Ausschluss bestimmter Nutzungsarten ist ein typisches Instrument zum Ausgleich bodenrechtlicher Spannungslagen und damit des Bodenrechts und kennzeichnet auch die Wirkung von § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG als bodenrechtlich. Die bodenrechtliche Wirkung von § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG wird auch dadurch bestätigt, dass die Vorschrift den seinerseits bodenrechtlichen Effekt der Regelung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB über die Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich strukturell durchbricht, indem er an die Stelle der flächenbezogenen Privilegierung ein flächenbezogenes Verbot setzt.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21

Keine Landeskompetenz für „Greenwashing“
Hatte der Landesgesetzgeber bei dem Berliner Mietendeckel erfolglos versucht, den Verfassungsverstoß durch „Etikettenschwindel“ zu verdecken (öffentliches Recht statt BGB-Mietrecht, Gemeinwohlbelang statt Vertragsrecht), so erweist sich auch im Thüringer Fall ein solcher „Etikettenschwindel“ als offenkundig ungeeignet. Auch wenn das Gesetz die Bezeichnungen „Gesetz zur Erhaltung, zum Schutz und zur Bewirtschaftung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft“, „Forstliche Rahmenplanung, Erhaltung und Schutz des Waldes“ und „Erhaltung des Waldes“ verwendete, ließ sich das Bundesverfassungsgericht nicht darüber täuschen, dass es darum in Wirklichkeit nicht ging.
- Es sollte ein absolutes Verbot für Windenergie im Wald geschaffen werden ohne jede Abwägung.
- Das Verbot zielte entgegen seiner Bezeichnung nicht auf spezifissche Natur- und Landschaftsschutzbelange.
- Es ging darum, unabhängig von spezifischen naturschutzrechtlichen und landschaftspflegerischen Schutzbedarfen den gesamten Waldbereich Thüringens generell von Windenergieanlagen freizuhalten.
HINWEIS:
Pauschale Umwandlungsverbote durch den Landesgesetzgeber würden auch dem § 9 BWaldG widersprechen, der nach seiner Konzeption eine Abwägungsregel statuiert, nach der spezifische forstrechtliche Interessen (Walderhalt und -ökologie, Forstwirtschaft, Waldeigentum), aber auch die Interessen der Waldeigentümer zu einem Ausgleich zu bringen sind. Das BVerfG greift sogar auf die Begründung des Gesetzentwurfs zum neuen § 2 EEG zurück, der indirekt bestätigt, dass der Bundesgesetzgeber in § 9 Abs. 3 Nr. 2 BWaldG keine Öffnung für ein pauschales Umwandlungsverbot von Wald zugunsten einer Nutzung für Windenergie sieht: Bei gesetzlich vorgesehenen Abwägungsentscheidungen müsse allgemein das besonders hohe Gewicht der erneuerbaren Energien berücksichtigt werden. Dieses sei im Rahmen von Abwägungsentscheidungen in verschiedenen Gebieten, aber eben auch im Forstrecht nur noch in Ausnahmefällen überwindbar.
Dass der Natur- und Landschaftsschutz nur vorgeschoben war, um ein reines Anti-Windkraftsgesetz „grün zu waschen“, macht das BVerfG insbesondere an zwei Umständen fest:
- Selbst eine besonders geringe Schutzwürdigkeit blieb unberücksichtigt. Nach der angegriffenen Regelung können Windenergieanlagen auch dann nicht im Wald zugelassen werden, wenn es sich um Waldgebiete handelt, die massiven ökologischen Schädigungen ausgesetzt sind, möglicherweise sogar nur noch aus Totholz oder Kahlflächen bestehen und doch weiterhin als Wald im forstrechtlichen Sinne gelten. Dies betrifft beachtliche Teile des Thüringer Waldes.
Für diese Flächen verfängt jedenfalls das Argument nicht, die Rodung für die Errichtung von Windenergieanlagen vernichte ökologisch wertvollen Baumbestand.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
- Nur die Umwandlung zur Windenergienutzung, nicht aber sonstige Nutzungsänderungen sollten ausgeschlossen werden, die die Waldfunktionen ähnlich beeinträchtigen könnten.
Auch andere, nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich grundsätzlich in Betracht kommende Vorhaben – etwa auch Stromfreileitungen, Industrie oder Gewerbebebauung – können Rodungen und Waldschneisen erfordern, die die Anfälligkeit für Sturmschäden ebenso erhöhen können.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
Klimaschutz und Sicherung der Energieversorgung setzen sich durch
Das Gesetz war damit politisch schon nicht glaubhaft und rechtlich schon nicht schlüssig. Es war nicht nur schlecht, es war auch schlecht gemacht. Das Gesetz wirkt gerade auch heute völlig aus der Zeit gefallen, wie auch das BVerfG hervorhebt.
Die im Bauplanungsrecht privilegierte Zulassung der Windenergienutzung ist eine zentrale Klimaschutz- und Energieversorgungsstrategie des Bundes. Und jetzt soll ein Bundesland – zumal ein solches mit hohem Waldanteil – plötzlich die Windenergieerzeugung auf Waldflächen vollständig ausschließen können? Das ist gerade in diesen Krisenzeiten nicht rational erklärbar.
Um das verfassungsrechtlich maßgebliche Klimaschutzziel zu wahren, die Erderwärmung bei deutlich unter 2,0 °C, möglichst 1,5 °C anzuhalten, müssen erhebliche weitere Anstrengungen der Treibhausgasreduktion unternommen werden, wozu insbesondere der Ausbau der Windkraftnutzung beitragen soll. Zugleich unterstützt dieser Ausbau die Sicherung der Energieversorgung, die derzeit besonders gefährdet ist.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21
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