Nähern wir uns der Sache – surprise – vom Immobilienrecht. Ein Eigentümer geht wegen störenden Immissionen gegen seinen Nachbarn vor. Die Immissionen gehen von drei, mindestens zwei Meter zu der Grenze stehenden, ca. 18 Meter hohen, gesunden Birken aus, in Form von Pollen, Samen, Früchten, Zapfen, Blättern und Birkenreisen. Der BGH hatte sich 2019 hierzu mit der Frage befasst, ob ein Anspruch besteht auf die Beseitigung von durch Naturereignisse ausgelöste Störungen, hier: Ob ein Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB wegen Immissionen von Anpflanzungen in Betracht kommt.

Der BGH klärte diese bis dahin umstrittene Frage dahingehend, dass ein Abwehranspruch nicht besteht, wenn der Nachbar die für die Anpflanzung geltende landesrechtliche Abstandsregelung eingehalten hat. Denn dann bewirtschaftet der Nachbar sein Grundstück ordnungsgemäß und ist kein Störer. Wer aber kein Störer ist, kann nicht auf Beseitigung in Anspruch genommen werden. Denn die Störereigenschaft kann nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, hergeleitet werden.

Ob ein Grundstückseigentümer für natürliche Immissionen Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist, bestimmt sich vor allem nach den Konfliktlösungsregeln des öffentlichen und privaten Nachbarrechts sowie nach der Art der Nutzung der benachbarten Grundstücke und nach der vorbeugenden Beherrschbarkeit der Störung. Dabei ist entscheidend, ob sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. Der Eigentümer scheiterte also, der Nachbar durfte seine Birken behalten, denn er hielt sich an geltende Gesetze.

Am 14.02.2023 hat das Landgericht Braunschweig (6 O 3931/21) ein Urteil verkündet, nach welchem eine Zivilklage abgewiesen wurde, welche es VW ab 2030 untersagen wollte, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren in den Verkehr zu bringen. Die Kläger waren nach § 1004 Abs. 2 BGB jedenfalls zur Duldung einer etwaigen Beeinträchtigung ihrer Rechtsgüter durch die von VW verursachten CO2-Emissionen verpflichtet. Auch hier gilt eine bekannte Argumentation: Da VW sich an die geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften hält (um den Dieselbetrug ging es hier nicht), kann VW nicht in Anspruch genommen werden. Die Verpflichtung von VW als privatwirtschaftlich handelndes Unternehmen kann nach dem LG Braunschweig nicht weiterreichen als die dem Staat aus den Grundrechten unmittelbar erwachsenen Schutzpflichten.

Der Staat war zwar nach der KSG-Entscheidung des BVerfG zunächst nicht seiner verfassungsrechtlichen Verantwortung nachgekommen. Er hatte aber im KSG nachgebessert. Und mit Beschluss vom 18.01.2022 (1 BvR 1565/21) hat das BVerfG bestätigt, dass dies nun so passt. Angesichts der auf Bundesebene bereits existierenden gesetzlichen Regelung kann eine Verletzung der bestehenden Schutzpflichten des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und aus Art. 14 Abs. 1 GG vor den Gefahren des Klimawandels derzeit nicht festgestellt werden kann. Der Staat hat mit dem nachgebesserten KSG gegenwärtig auch den ihm durch Art. 20a GG belassenen Konkretisierungsspielraum gewahrt.

Schon am 07.02.2023 hatte das Landgericht München I (3 O 12581/21) eine ähnliche Klage gegen BMW abgewiesen. Auch nach dem LG München gilt, wer sich an das öffentliche Recht hält, kann nicht zivilrechtlich in Anspruch genommen werden. Über die öffentlich-rechtlichen Pflichten hinausgehende zivilrechtliche Pflichten von BMW bestünden jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Und noch etwas: Zu berücksichtigen sei bei der gebotenen Interessenwägung auch, dass sowohl der nationale als auch der europäische Gesetzgeber eine Vielzahl von Regelungen erlassen habe, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Diesen Regelungen lägen umfassende Abwägungen der Interessen und Belange aller Beteiligten zu Grunde. Das lässt sich nicht in einem Zivilprozess zwischen zwei Parteien beiseite schieben oder ersetzen.

Anschaulich hat dies auch das Landgericht Stuttgart hervorgehoben, um eine Klimaklage gegen Mercedes-Benz abzuweisen:

Zur Einhaltung der Klimaschutzziele bedarf es vielmehr eines Gesamtkonzeptes, das alle Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens in der gesamten Bundesrepublik betrifft und dessen Umsetzung nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben dem demokratisch gewählten Gesetzgeber obliegt. Damit unvereinbar wäre es, dem Einzelnen unter Berufung auf sein Persönlichkeitsrecht oder die Grundrechtecharta der Europäischen Union Unterlassungsansprüche gegen einzelne Unternehmen einzuräumen.

LG Stuttgart, 17 O 789/21 – Berufungsverfahren anhängig beim OLG Stuttgart (12 U 170/22)

Der angesprochene europäische Gesetzgeber hat nun aber selbst dafür gesorgt, dass die Autokonzerne demnächst nach öffentlichem Recht keine Verbrennermotoren mehr auf den Markt bringen dürfen. Das Europäische Parlament gab am 14.02.2023 grünes Licht für die neuen CO2-Reduktionsziele für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge im Rahmen des Pakets „Fit für 55“. Demnach sollen neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 2035 emissionsfrei werden, d. h., man will die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2021 um 100 % reduzieren. Zwischenziel bis 2030 ist, die Emissionen bei Neuwagen um 55 % und bei leichten Nutzfahrzeugen um 50 % zu senken. Nach der Schlussabstimmung im Plenum muss nun auch der Rat den Text förmlich billigen. Kurz darauf wird er im Amtsblatt der EU veröffentlicht.

HINWEIS:
Man befindet sich damit in internationaler Gesellschaft. Auch Kalifornien und New Jersey etwa wollen das Verbrenner-Aus ab 2035. Mehrere andere Länder haben ähnliche Gesetze verabschiedet oder Zieldaten für Verbrennungsmotorverbote angekündigt, darunter Kanada, Großbritannien und Norwegen. Auch haben zunehmend die Autokonzerne selbst ihren jeweiligen Ausstieg aus der Verbrennungstechnik angekündigt. Für viele Automobilhersteller in Europa bedeutet die Entscheidung des EU Parlaments daher eher einen zusätzlichen Impuls für die ohnehin bestehenden Bemühungen um Elektromobilität als einen neuen Entwicklungsdruck.

Das Europäische Parlament hat im Sinne der vorgenannten Landgerichte auch bewiesen, dass letztlich nur die Parlamente und nicht die Gerichte den gebotenen Ausgleich von Interessen bei solchen großen Politiken vornehmen können. Es hat was folgt neu aufgenommen:

Der digitale und der grüne Wandel sollten auch der Bedeutung der sozialen Dimension Rechnung tragen, damit eine für alle erschwingliche und zugängliche Mobilität gewährleistet wird, insbesondere für Pendler, die keinen Zugang zu hochwertigen öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderen Mobilitätslösungen haben. Ehrgeizigere CO2-Normen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge dürften die Verbreitung emissionsfreier Fahrzeuge beschleunigen, sie erschwinglicher machen und auch die Dekarbonisierung auf dem Gebrauchtwagenmarkt in allen Segmenten beschleunigen, was größere Vorteile für Verbraucher mit niedrigem und mittlerem Einkommen mit sich bringt. Bei der Annahme dieser Normen ist es auch wichtig, die erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des digitalen und grünen Wandels und die Notwendigkeit der Sicherung von Arbeitsplätzen und des Erhalts der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu berücksichtigen.

Und weiter:

Technologische Innovation ist eine Voraussetzung für die Dekarbonisierung der Mobilität in der Union und sollte daher unterstützt werden. Für Innovationen im Ökosystem Mobilität stehen im Rahmen verschiedener Finanzierungsinstrumente der Union … bereits erhebliche Mittel zur Verfügung. Die Union und die Mitgliedstaaten sollten ihre Anstrengungen zur Förderung öffentlicher und privater Investitionen in Forschung und Innovation im europäischen Automobilsektor unter anderem durch Initiativen zur Stärkung der Synergien im Automobilsektor – wie z. B. die Europäische Batterie-Allianz – fortsetzen. Durch diese Anstrengungen, zusammen mit klaren regulatorischen Signalen, werden Investitionsentscheidungen der Hersteller gefördert, die europäische Technologieführerschaft in dieser Branche erhalten, zur Entwicklung industrieller Spitzenleistungen bei den Zukunftstechnologien in der Union beigetragen und die Tragfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit ihrer industriellen Basis dauerhaft sichergestellt.

Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Februar 2023 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/631 im Hinblick auf eine Verschärfung der CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Einklang mit den ehrgeizigeren Klimazielen der Union (COM(2021)0556 – C9-0322/2021 – 2021/0197(COD)).

Das EU Parlament spiegelt damit auch das, was das BVerfG fordert: Klimaschutz ist Innovation. Der Gesetzgeber muss daher mit einer möglichst frühzeitigen Einleitung der erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und den Regelungsbetroffenen zugleich ein hinreichendes Maß an Planungssicherheit vermitteln. Und natürlich ist die vorstehende Ergänzung eine Reaktion auf den Inflation Reduction Act, mit dem die USA gerade auch in Sachen E-Mobilität die Europäer gewaltig unter Druck setzen.

Und damit schließt sich der Kreis wieder zur Immobilienbranche. Denn auch dort bedarf die Transformation nicht nur Verbote, sondern auch (Innovations-) Förderung und Planungssicherheit. Diese Transformation beinhaltet nun definitiv auch weiterhin den Ausbau von Ladeinfrastruktur. Und auch hierzu lohnt ein Blick auf die EU-Ebene und die eben erst vereinbarte transatlantische Partnerschaft für E-Mobilität: Die EU und die USA beabsichtigen, im Jahr 2023 gemeinsame Empfehlungen für die staatlich finanzierte Umsetzung der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität zu entwickeln, um die Einführung von Elektrofahrzeugen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten voranzutreiben, sowie Empfehlungen für künftige öffentliche Demonstrationen von Pilotprojekten zur Netzintegration von Fahrzeugen (siehe schon New EU-US Transatlantic Initiative on Sustainable Trade and Partnership for E-Mobility established).

Auch der Lärm- und Imissionsschutz wird von der Entwicklung betroffen sein. Die Birke aber, sie bleibt. Und wenn die Kläger der erfolglosen Klimaklagen schon die Sachen packen für die nächste Instanz bis hin zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dann treffen sie dort gegegebenfalls wieder die Birkenentscheidung des BGH: Wer geltende Normen einhält, der wirtschaftet ordnungsgemäß. Und wer ordnungsgemäß wirtschaftet, der stört nicht bzw. dessen Bewirtschaftung ist zu dulden. Was aber die geltenden Normen sind, das wird grundsätzlich auch nicht beim BGH, sondern eben in den Parlamenten enschieden.


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