Sowohl das BGB (siehe zum § 648 BGB im neuen Bauvertragsrecht hier) als auch die VOB/B (§ 8 Abs. 1 VOB/B) sehen ein freies Kündigungsrecht des Auftraggebers vor. Der Auftraggeber kann demnach die Leistungserbringung durch den Auftragnehmer jederzeit nach freiem Belieben beenden, jedoch nur um den Preis der Zahlung der vereinbarten Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs.
Siehe auch schon: Freie Kündigung des Bauvertrages: Was geschieht mit den Geschäftskosten und dem kalkulierten Zuschlag für Wagnis und Gewinn?
Das freie Kündigungsrecht des Auftraggebers rechtfertigt sich daraus, dass die Herstellung des Werkes im Interesse des Auftraggebers liegt und er sich daher auch wieder vom langfristigen Bauvertrag lösen können soll, wenn dieses Interesse wegfällt. Der Auftragnehmer dagegen hat keinen Anspruch auf unveränderte Ausführung des Werkes. Der Auftraggeber kann folglich einseitig das Interesse des Auftragnehmers an der Herstellung des Bauwerkes auf ein rein finanzielles Interesse reduzieren. Der Auftragnehmer ist durch seinen Zahlungsanspruch hinreichend geschützt. Hierdurch soll ein gerechter Interessenausgleich gewährleistet werden. Der Auftragnehmer soll letztlich finanziell so gestellt werden, wie er bei vollständiger Durchführung des Vertrages stehen würde.
Die Vorschrift des § 649 BGB (= § 648 BGB n.F.) stellt sicher, dass der Unternehmer durch die Nichtvollendung oder Nichtabnahme des in Auftrag gegebenen Werks keine Nachteile erleidet, aber hieraus auch keine Vorteile zieht. Ihr liegt der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung zugrunde, der auf dem Gerechtigkeitsgebot beruht und darauf abzielt, zwischen den widerstreitenden Interessen des Unternehmers und des Bestellers einen gerechten Ausgleich herbeizuführen. Mit der in das freie Belieben des Bestellers gestellten Kündigung des Werkvertrags entfällt für die Zukunft die Leistungspflicht des Werkunternehmers. Er behält daher den vollen Vergütungsanspruch für bereits erbrachte Leistungen. Hinsichtlich der noch nicht erbrachten Leistungen muss er sich hingegen grundsätzlich mit der Kompensation seines entgangenen Gewinns begnügen, zu dessen Bemessung das Gesetz die Vermutungsregelung des § 649 Satz 3 BGB bereithält. So der BGH in einer weiteren aktuellen Entscheidung.
Dieser Interessenausgleich soll nach einer aktuellen Entscheidung des BGH nicht nur dann gelten, wenn der Auftraggeber sein einseitiges Gestaltungsrecht der freien Kündigung ausübt, sondern auch dann, wenn die Parteien sich einvernehmlich auf eine Vertragsbeendigung verständigen. Auch in diesem Fall soll sich die vom Auftragnehmer zu beanspruchende Vergütung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B (n.F.) bzw. § 648 Satz 2 BGB (n.F.) richten. Der Auftragnehmer kann also die Zahlung der vereinbarten Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs verlangen, allerdings nur, sofern sich die Parteien über die Folgen der Vertragsbeendigung nicht anderweitig geeinigt haben.
Im Falle der einvernehmlichen Vertragsbeendigung richtet sich die vom Auftragnehmer zu beanspruchende Vergütung nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002), sofern sich die Parteien über die Folgen der Vertragsbeendigung nicht anderweitig geeinigt haben (im Anschluss an BGH, Urteil vom 4. Juni 1973 – VII ZR 113/71, NJW 1973, 1463).
Da der BGH Bezug nimmt auf eine Entscheidung aus den 70er Jahren und auch diverse Stimmen in der Rechtsliteratur zitieren kann ist die Erkenntnis nicht wirklich neu. Die aktuelle Entscheidung gibt nun aber zumindest aus Sicht der Auftraggeber nochmals besonderen Anlass, Vereinbarungen zu Vertragsbeendigungen bzw. Vertragsaufhebung sorgfältig zu gestalten.
Von Interesse ist dabei auch, auf welche Weise der BGH zu einer (teilweisen) Vertragsaufhebung kommt.
Der ursprünglich vereinbarte Vertragsinhalt
Der Auftragnehmer hatte für einen Autobahnbau die Vorhaltung einer Stahlgleitwand von 14,8 km für 588 Tage zu einem Einheitspreis von 1.184 €/Tag netto angeboten. In der Ausschreibung war als Frist für die Ausführung der Leistungen der Zeitraum von September 2004 bis April 2006 angegeben.
Der BGH legt diese Vereinbarung dahingehend aus, dass der Zeitraum der Vorhaltung der Stahlgleitwand mit 588 Tagen verbindlich im Sinne einer Mindestvertragslaufzeit vereinbart wurde und dass sich der Auftragnehmer auf eine Bauzeit von 588 Tagen einzurichten und seine Preise entsprechend zu kalkulieren hatte.
Die Änderung des ursprünglichen Vertragsinhaltes
Die Stahlgleitwand wurde sodann auf Weisung des Auftraggebers nur an 333 Tagen eingesetzt, da der Auftraggeber die Baumaßnahme erheblich beschleunigt hatte.
Ausgehend von einer vereinbarten Mindestvertragslaufzeit von 588 Tagen soll die Weisung des Auftraggebers zum Einsatz an lediglich 333 Tagen eine Verkürzung der ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeit darstellen, die einer Teilkündigung des Vertrags gleichzustellen sei.
Einseitige Teilkündigung oder einvernehmliche (teilweise) Vertragsaufhebung?
Wieso wurde aus der Teilkündigung dann aber eine einvernehmliche Vertragsaufhebung?
Der Auftragnehmer hatte das Problem, dass die Weisung bzw. Kündigung des Auftraggeber nicht der Form des § 8 Abs. 6 VOB/B (n.F.) genügte (zum BGB siehe § 650h BGB n.F., zum Architekten- und Ingenieurvertrag siehe den Verweis in § 650q Abs. 1 BGB n.F.).
Das Gericht meint, aufgrund des nach Aufforderung des Auftraggebers erfolgten Abbaus der Stahlgleitwand und der weiteren Baustellenräumung sowie der Fertigstellung der Baumaßnahme sei die Annahme einer einvernehmlichen (konkludenten) Vertragsaufhebung berechtigt. Folglich käme es auf die Frage, ob die Parteien auf das für eine Kündigung geltende Schriftformerfordernis verzichten können, nicht entscheidend an.
Bedenkt man, dass die Schriftform der Rechtsicherheit, der Beweissicherung und dem Schutz vor übereilten Entscheidungen dient und nimmt man an, dass aufgrund der weitreichenden Vergütungsfolge dem Schriftformerfordernis durchaus ein gewisse Warn- und Schutzfunktion auch für die vom BGH entschiedene Konstellation zugeschreiben werden könnte, hätte man sich eine substantiellere Erklärung des BGH gewünscht. Oder, um es „einfacher“ zu formulieren:
- Der BGH stellt eine Weisung des Auftraggebers zur Verkürzung der Vertragslaufzeit einer Teilkündigung gleich.
- Da der Auftragnehmer der Weisung nachkommt, interpretiert das Gericht die Teilkündigung letztlich dann doch als einvernehmliche Vertragsbeendigung.
- Für die einvernehmliche Vertragsbeendigung sollen gleichwohl die Rechtsfolgen einer (Teil-) Kündigung gelten.
- Wieso aber gelten dann nicht auch die Formerfordernisse einer Kündigung?
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