Viruspandemie-Zeiten können gruselig sein. Wer sich diese Tage in Berlin aber besonders gruseln möchte, fährt zum Rosa-Luxemburg-Platz, wenn dort Rechte, Linke und Verschwörungsphantasten gegen Corona-Schutzmaßnahmen „demonstrieren“.
Hatten kürzlich noch Verfassungsfeinde vom rechten Rand gejammert, das satirische Lied eines Kinderchors zum Klima- und Umweltschutz („Umweltsau“) beleidige ältere Generationen, ist man nun offenbar bereit, eben diese ältere Generation über die Virus-Klinge springen zu lassen. Im linken Extrem wiederum können die staatlichen Eingriffe und Verbote inklusive Datensammlungen vor allem im Immobiliensektor bis hin zur Enteignung gar nicht weit genug gehen. Geht es aber um gelebte Solidarität und wirkliches Gemeinwohl, um Grundpflichten gegenüber der Gemeinschaft und den besonders schutzbedürftigen Mitmenschen, bezogen auf das wichtigste Gut Leben und Gesundheit, werden staatliche Eingriffe plötzlich verdammt und werden Ver- und Gebote plötzlich als mit den Freiheits- und Persönlichkeitsrechten nicht vereinbar bekämpft. Und kommt eine Corona-App als Schutzmaßnahme gegen das Virus, wird der Datenschutz plötzlich zum heiligen Gral.
Datenschutz ist auch der wesentliche Gesichtspunkt einer aktuellen BGH-Entscheidung. Sie betont das Persönlichkeitsrecht, die Freiheit und Vertraulichkeit im persönlichen, familiären, sozialen und wirtschaftlichen Bereich – allerdings nicht in der Beliebigkeit der Rosa-Luxemburg-Plätze dieses Landes. Eine Landespolitikerin der Linken und Anhängerin sowohl des Berliner Mietendeckels wie auch der Berliner Initiative zur Enteignung von großen Wohnungsunternehmen verlangte Einsicht in sämtliche Grundbücher eines großen deutschen Wohnungsunternehmens, auf das sich die Enteignungsphantasien konzentrieren. Sie verlor in allen Instanzen – abschließend vor dem BGH, der ihr einiges mit auf dem Weg gab, was den Mietendeckel- und Enteignungsanhängern nicht gefallen wird.
Der BGH betont den Daten- und Persönlichkeitsschutz zugunsten des Grundeigentümers.
Das Grundbuch und die von dem Einsichtsrecht umfassten Grundakten enthalten eine Fülle von personenbezogenen Daten aus dem persönlichen, familiären, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Wenn Dritten Grundbucheinsicht gewährt wird, liegt darin ein Eingriff in das auf diese Daten bezogene, durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörende Recht der durch die Grundbucheinsicht Betroffenen – in erster Linie des Eigentümers – auf informationelle Selbstbestimmung, welches auch auf juristische Personen anwendbar ist.
Bundesgerichtshof
Folglich kann nicht jedes beliebige Interesse die Grundbucheinsicht rechtfertigen. Die Einsichtnahme muss vielmehr für das Informationsanliegen des Antragstellers geeignet und erforderlich und dieses muss von einem solchen Gewicht sein, dass der mit der Gewährung der Einsicht verbundene Eingriff in das Grundrecht des Eigentümers auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig erscheint. Letztlich bedarf es damit einer Grundrechtsprüfung im Einzelfall.
Die linke Landtagsabgeordnete konnte ein solches Informationsanliegen von Gewicht selbst mit verspätet nachgereichten neuen Begründungsversuchen nicht vorbringen. Ihrem Verständnis von einer Grundrechtsprüfung wurde vom BGH in zentralen Punkten widersprochen.
Kein Privatrechtseingriff zur staatlichen Selbstkontrolle
Besonders eigenwillig war ihr Versuch, den Eingriff in die Grundrechte des privaten Wohnungsunternehmens damit zu begründen, sie brauche Kenntnis des Grundbuchinhalts für eine effektive Kontrolle der Regierung, an der ihre eigene Partei und Fraktion beteiligt ist. Selbstkontrolle durch Eingriff in die Rechte Dritter? Nein. Folglich konnte sie nicht darlegen, welches konkrete Regierungshandeln sie eigentlich beanstanden bzw. überprüfen wollte. Und folglich erfuhr sie bei Gericht eine klare Abfuhr.
Bundesrecht bricht weiterhin Landesrecht
Nach hinten los ging der Versuch, ein Einsichtsrecht nach § 12 GBO (= Bundesrecht) mit Verweis auf die Landesverfassung von Berlin zu begründen. Denn das veranlasste den BGH zu einer Lehrstunde in Sachen bundesstaatlicher Verfassungsordnung:
Landesrecht kann die Voraussetzungen für eine Grundbucheinsicht nach § 12 GBO nicht herabsetzen, insbesondere keinen von der Darlegung eines berechtigten Interesses unabhängigen Einsichtsanspruch begründen.
BGH
Auch Landesverfassungsrecht kann also nicht in Bundesrecht eingreifen, auch nicht in einfaches Bundesrecht (wie es die Grundbuchordnung ist). Das Landesrecht ist auch insoweit nachrangig und wird vom Bundesrecht „gebrochen“.
Diese Erkenntnis ist weder neu noch sonderlich umstritten, aber gleichwohl wichtig auch für die Diskussion um den Mietendeckel: Denn dort versucht man ja mitunter mit einer Staatszielbestimmung der Landesverfassung („angemessener Wohnraum“) nicht nur einen Eingriff in das bundesgesetzliche BGB, sondern sogar eine Änderung der Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes zu begründen.
Keine Ausforschung zu politischen Zwecken
Der BGH betont die Wichtigkeit des öffentlichen Verhandelns von Argument und Gegenargument als wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus. Dies darf aber nicht verwechselt werden mit bloßer Informationssammlung zu politischen Zwecken.
Hat die Einsichtnahme in das Grundbuch den Zweck, dass sich der Abgeordnete lediglich Informationen beschaffen will, die er in eine öffentlich geführte Debatte einspeisen oder aus denen er politische Forderungen ableiten möchte, kann dieses Informationsanliegen den mit der Einsicht verbundenen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen nicht rechtfertigen.
Einem Einsichtsgesuch, mit dem im Rahmen einer allgemeinen Recherche Hintergrundwissen gesammelt werden soll, muss im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Geheimhaltungsinteresse des Eigentümers der Erfolg versagt bleiben, da kein Interesse von einem Gewicht erkennbar ist, das den Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, und das Merkmal des berechtigten Interesses anderenfalls seine begrenzende Funktion verlöre.
BGH
Folglich konnte auch der Wunsch der linken Politikerin nach einer „fundierten Teilnahme an der Debatte über die Volksinitiative bzw. das Volksbegehren zur Vergesellschaftung des Immobilienvermögens der D. und anderen Wohnungsgesellschaften“ kein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Grundbücher begründen.
Wie einfach wäre es sonst, kurzerhand eine natürliche oder juristische Person zum Opfer einer politischen Kampagne zu machen, um sodann mit dem Wunsch nach Teilnahme an der dadurch angestoßenen Diskussion, die man selbst eingeleitet hat, einen weiteren Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person zu begründen.
Bei diesem Anliegen handelt es sich um ein allgemeines Rechercheinteresse, mit dem lediglich Hintergründe aufgeklärt werden sollen, nämlich welche Grundstücke im Eigentum welches Unternehmens stehen. Ein solches allgemeines Interesse begründet, wie dargelegt, kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 Abs. 1 GBO.
BGH
Klare Ansagen also aus Karlsruhe. Und bald schon wird erneut Karlsruhe über Berliner Miet- und Wohnpolitik entscheiden – dann aber das Bundesverfassungsgericht über den Mietendeckel. Stay tuned!
Was aber bleibt sonst noch festzuhalten aus der Entscheidung des BGH zur Grundbucheinsicht?
- Sinn und Zweck des Einsichtsrechts ist es in erster Linie, den am Rechtsverkehr mit Grundstücken teilnehmenden Personen, die im Vertrauen auf den Grundbuchinhalt rechtlich erhebliche Handlungen beabsichtigen, die Möglichkeit zu geben, sich Gewissheit über die von dem öffentlichen Glauben erfassten Eintragungsvorgänge zu verschaffen.
- Nur ausnahmsweise können – über diesen dem allgemeinen Rechtsverkehr mit Grundstücken dienenden Regelungszweck hinaus – auch öffentliche Interessen ein Recht auf Grundbucheinsicht begründen.
- Stützt ein Abgeordneter sein Einsichtsgesuch auf ein öffentliches Interesse an der in dem Grundbuch enthaltenen bzw. vermuteten Information, wird ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO regelmäßig nur anzunehmen sein, wenn ein konkretes Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit in Bezug auf das konkrete Grundstück dargelegt wird, etwa der Verdacht von Missständen oder eines Fehlverhaltens im Verantwortungsbereich der Regierung in Bezug auf das Grundstück bzw. im Zusammenhang mit auf dieses Grundstück bezogenen Grundbucheintragungen.
- Mit einem lediglich allgemein gehaltenen Rechercheinteresse, namentlich mit einer noch nicht auf einen konkreten Verdacht bezogenen Hintergrundrecherche, kann auch ein Journalist ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO nicht darlegen.
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