Ob im Bau-, Miet- oder Kaufrecht, immer wieder trifft man auf überzogene Schutzreflexe, die darauf hinauslaufen, mit rechtspolitischen Zielvorstellen geltendes Recht auszuhebeln. Pauschale Feindbilder: Vermieter und Unternehmer. Neue Gerichtsentscheidungen treten dem entgegen.
Der Bundesgerichtshof hat zum Bauvertragsrecht mit deutlichen Worten den Versuch nicht weniger Stimmen in der Rechtsliteratur und einiger Instanzgerichte zurückgewiesen, Verbraucherschutznormen extensiv auszulegen und anzuwenden (Urteil vom 16. März 2023):
- Rechtspolitische Erwägungen („der Gedanke des Verbraucherschutzes„) können nicht ohne weiteres im Rahmen einer Auslegung mit eindeutigen Rechtsfolgen verknüpft werden.
- Insbesondere auch das Gebot der Rechtsklarheit verbietet es, das Gesetz (hier den Begriff des Verbraucherbauvertrags) aufgrund einer allgemeinen Zielvorstellung des Verbraucherschutzes zu erweitern, ohne dass dies im Gesetzestext erkennbar wäre. Denn der Unternehmer muss erkennen können, ob und welche Unterrichtungs- und Belehrungspflichten ihn schon im Vorfeld des Vertrages treffen.
Im konkreten Fall bedeutete dies:
Um einen Vertrag mit einem Verbraucher, durch den der Unternehmer zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet wird (Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB), handelt es sich nicht, wenn sich der Unternehmer nur zur Herstellung eines einzelnen Gewerks verpflichtet, das im Rahmen des Baus eines neuen Gebäudes zu erbringen ist.
BGH – VII ZR 94/22
HINWEIS:
Das entspricht der schon bislang zutreffenden Rechtsprechung etwa des Kammergerichts in Berlin (Urteil vom 02.11.2021 – 21 U 41/21; ebenso etwa OLG Düsseldorf, OLG München, OLG Brandenburg; anderer Ansicht dagegen bislang OLG Hamm und OLG Zweibrücken).
Schon Ende 2021 hatte der BGH im Mietrecht die 66. Zivilkammer des Landgerichts Berlin in mehreren Entscheidungen ermahnt, dass der an Gesetz und Recht gebundene Richter eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder ersetzen darf.
Siehe hierzu schon:
BGH zur Mieterhöhung: Gerichte müssen berechtigte Interessen der Vermieter beachten und gesetzlichen Modernisierungs-Anreiz respektieren
Zum Mietrecht hat das Kammergericht in Berlin nun den Versuch eines (Gerwerbe-) Mieters zurückgewiesen, eine fristlose Kündigung des Vermieters wegen Zahlungsverzugs als rechtsmissbräuchlich abzuwehren (Beschluss vom 16.03.2023 – 8 U 178/22).
- Allein eine langjährige pünktliche Mietzahlung macht, wenn sich dem Vermieter gleichwohl ein Versehen bei dem Mietrückstand nicht aufdrängen muss, eine Kündigung wegen Zahlungsverzuges nicht rechtsmissbräuchlich. Eine längere vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Vergangenheit auch in einem solchen Fall als Rechtsmissbrauchseinwand genügen zu lassen würde die gesetzliche Regelung in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB zu weitgehend unterlaufen.
- Eine Abmahnung ist nur dann ausnahmsweise nach Treu und Glauben geboten, wenn sich dem Vermieter die Erkenntnis aufdrängen muss, dass der Zahlungsrückstand nicht auf Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen bzw. auf einer bestehenden Unsicherheit bezüglich des Empfängers der Miete oder des Zahlungsweges.
- Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt es auch nicht, dass die Kündigungsbefugnis dem Vermieter gelegen kommt.
- Eine Nachzahlung der rückständigen Mieten kann den Rückschluss rechtfertigen, dass sie auf eine Abmahnung oder Nachfrage des Vermieters hin unverzüglich erfolgt wäre, spielt aber für ein Gewerberaumverhältnis grundsätzlich keine Rolle.
- Und da es nicht nur um einen Kündigung wegen Zahlungsverzugs ging, sondern auch um ein Schriftformdefizit: Auf eine Existenzgefährdung durch die Kündigung kann sich eine juristische Person von vornherein nicht berufen. Hierzu hatte das KG, Urteil vom 7.11.2022 – 8 U 157/21 schon entschieden: Der bloße Umstand einer im Fall der Räumung zu erwartenden Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer juristischen Person als Mieterin von Gewerberäumen genügt nicht, um dem Vermieter nach § 242 BGB eine Berufung auf einen Schriftformmangel unter dem Gesichtspunkt einer „Existenzgefährdung“ zu versagen.
Mit Beschluss vom 30.03.2023 (23 U 30/21) hat das Kammergericht zudem der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. widersprochen, die zu einem Liefervertrag einen Verstoß gegen AGB-Recht behauptete.
- Die AGB-Klausel „Unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind Bestandteil aller Verträge, die wir mit unseren Kunden über die von uns angebotenen Waren schließen“ hält demnach einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 309 BGB stand.
- Schon das Landgericht Berlin hatte zutreffend und entgegen der Behauptung der Verbraucherzentrale entschieden, dass der Wortlaut der Klausel keine ausdrückliche Erstreckung der AGB auf zukünftige Verträge ohne erneute Einbeziehung der AGB enthält. Die Lesart der Verbaucherzentrale, die AGB sollten nach dieser Klausel auch ohne ausdrücklichen Hinweis und ohne Möglichkeit der Kenntnisnahme des Kunden gelten, hat sich als haltlos erwiesen. Vor allem konnte die Verbraucherzentrale nicht damit durchdringen, die allgemeinen Auslegungsregeln von AGB-Klauseln außer Acht zu lassen und statt dessen etwa auf eine angebliche „Lebenserfahrung“ zu Lasten des Unternehmers abzustellen.
- Das Kammergericht bestätigt, dass die Klausel nach den geltenden Auslegungsregeln weder generell noch bezogen auf künftige Verträge die Geltung der AGB unabhängig von ihrer wirksamen Einbeziehung statuieren möchte. Die gegenteilige Ansicht der Verbraucherzentrale ist nach Wortlaut und Regelungszusammenhang nicht nur unmöglich, sondern fernliegend, so das KG.
HINWEIS:
Nachdem das KG dem Ansatz der Verbraucherzentrale attestiert hatte, dass dieser offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, nahm die Verbraucherzentrale ihre Berufung zurück. Die beklagte Unternehmerin wurde vom Autor vertreten.
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