In Zeiten, in denen der frühere „Agora Energiewende“-Mann Graichen in der Kritik steht, u.a. weil er als aktueller Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz an dem Verfahren beteiligt gewesen sein soll, in dem ausgerechnet sein Trauzeuge neuer Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (Dena) werden soll, ist die wohl wichtigste Aussage über ein neues Gutachten:
Das BMWK macht sich die Vorschläge nicht zu eigen.
Wir sprechen von einem Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mit der Selbstbezeichnung: „Hintergrundpapier zur Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045„, erstellt unter anderem von der Prognos AG, eben dieser Dena, adelphi, Becker Büttner Held und Ernst & Young (EY). Das Öko-Institut gehört auch zur Autorenschaft, wiederum mehrfach familiär verbunden mit dem Staatssekretär Graichen im BMWK. Man muss kein Freund des unschönen Habeck-Bashings sein, um jede Distanzierung des BMWK von dem Gutachten zu begrüßen. Auch inhaltlich.
Das Gutachten befürwortet Teilwarmmietenmodelle, ein Ansatz, der von Graichen 2020 noch als Agora Energiewende-Impuls (Warmmiete) beworben wurde und in einer Kurzstudie zur rechtlichen und praktischen Machbarkeit ausgerechnet unter Beteiligung des Öko-Instituts eine wohlwollende Würdigung erfahren hat. Hierauf bezieht sich das aktuelle Gutachten zentral und selbstreferenziell. Die Bearbeiter von Gutachten und Kurzstudie beim Öko-Institut sind in Teilen identisch. Man zitiert sich letztlich selbst.
Im Jahr 2020 war es ausgerechnet die FDP-Bundestagsfraktion, welche – damals noch in der Opposition – Teilwarmmietenmodelle auf die Agenda des Bundestages setzen wollte. Immerhin aber nannte deren Antrag die Studien, wonach sich solche Modelle schon wiederholt als nicht geeignet bzw. nicht erforderlich erwiesen hatten. Der Aufwand solcher (Teil-) Warmmietmodell ist enorm, ihre Eingriffe sind gravierend und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit ist nicht unerheblich. Zugleich sind ihre Praktikabilität, Eignung, Nachvollziehbarkeit und ihre Erfolgsaussichten fraglich. Folglich fanden sie auch am “Runden Tisch Neue Impulse beim nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich” keine Empfehlung, der vom Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. für das Bundesumweltministerium und mit fachlicher Begleitung durch das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) durchgeführt wurde.
Ausführlich schon:
Die Immobilien-, Bau- und Energiewirtschaft nach der Bundestagswahl 2021: Neue Bundesregierung – neue Impulse zum nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand?
Realitätscheck durch Preisschock: Steigende Energie- und CO2-Preise als Hemmnisse oder Treiber auf dem Klimapfad?
Berlin klimaneutral – oder Mietendeckel 2.0: Die Hauptstadt zwischen Paris-Konformität und Verfassungsverstoß
Hinweis: Der Autor war als Referent am Runden Tisch Neue Impulse beim nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich beteiligt.
Eine zentrale Erkenntnis des Runden Tisches:
Gerade Investierende, wie die Wohnungswirtschaft, private Eigentümer:innen und die Energiewirtschaft brauchen verlässliche Leitplanken, um ihre Investitionen über einen längeren Zeitraum zu planen. Zu viele Änderungen bei Vorgaben, Förderkonditionen etc. innerhalb kurzer Zeit verhindern langfristige Investitionen und damit ein koordiniertes Portfoliomanagement. Dies ist auch für den dringend notwendigen Ausbau der Kapazitäten und Qualitäten der Bauwirtschaft notwendig.
Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V.,
Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen des Runden Tisches „Neue Impulse zu nachhaltigem Klimaschutz im Gebäudebestand“, Juni 2021, S. 11.
Das aktuelle Gutachten ignoriert nicht nur den Umstand, dass (Teil-) Warmmietenmodelle wissenschaftlich schon für tot erklärt wurden. Es wird auch den vorstehenden Anforderungen nicht gerecht. Es verharrt zudem auf dem Koalitionsvertrag und lässt die zwischenzeitlichen gesetzlichen Neuerungen wie etwa im Gesetz zur Aufteilung der Kohlendioxidkosten oder die GEG-Reform außer Betracht. Es liest sich auch aus weiteren Gründen eher wie ein Geschenk für die Inkasso-Industrie und könnte ebenso ein Trojanisches Pferd der Klimaschutzgegner sein, das die Machbarkeit und Akzeptanz des Klimaschutzes von innen heraus angreift. Es greift mit weiteren Empfehlungen einseitig Vermietende an:
- Bei Nichterfüllung von energetischen Anforderungen sollen Verkaufs- und Vermietungsverbote für Gebäudeeigentümer und Mietminderungsrechte für Mietende eingeführt werden.
- Die Einführung von Sanierungspflichten soll einhergehen mit einer Abschaffung bzw. starken Absenkung der Modernisierungsumlage.
Das ist, man kann es nicht anders sagen, wirtschaftspolitisch, rechtsdogmatisch und verfassungsrechtlich nicht tragbar. Man könnte meinen, die Enteignungs- und Mietendeckelgeister wiederzuerkennen, die nach ihrem verfassungsrechtlichen und politischen Scheitern nun unter der Klimaschutzflagge die Wiederauferstehung proben.
Aufgrund der Graichen-Affäre sollte das Gutachten politisch erledigt sein. Ob es jemals wissenschaftlich mit Leben gefüllt war, ist nicht gesichert. Der fast schon familiäre Selbstbezug jedenfalls macht keinen guten Eindruck. Und er führt zu widersinnigen Ergebnissen, wie schon Stichproben zeigen. So wird etwa unter Bezugnahme auf eine wiederum vom BMWK geförderte Studie von adelphi (Energieeffizienzmaßnahmen für Mieter/-innen im Einzelhandel), die wiederum zu den Autoren des Gutachtens gehören, behauptet, Green Leases bzw. Grüne Mietverträge seien besonders erfolgreich dann, „wenn die entsprechenden Regelungen “weich” gestaltet sind und so nicht als festgelegte Verpflichtungen, eher als Empfehlungen verstanden werden.“ Zugleich möchte man aber ein Mietminderungsrecht von Mietenden bei Nichterfüllung energetischer Anforderungen einführen, was eine „harte“ Verpflichtung der Vermietenden auch gegenüber den Mietenden voraussetzt. Es ergibt rechtslogisch keinen Sinn, im privatautonomen Mietvertragsrecht „weiche Regelungen“ als erfolgfreich zu behaupten, im gesetzlichen Mietvertragsrecht aber „harte Regelungen“ zu fordern.
Das Gutachten soll als Hintergrund und Grundlage zur Erarbeitung einer Gebäudestrategie dienen. Zu hoffen bleibt, dass es vom BMWK und der Bundesregierung beerdigt bleibt. Denn mit den Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen des Runden Tisches „Neue Impulse zu nachhaltigem Klimaschutz im Gebäudebestand“ muss es der Bundesregierung um eine rechtssystematisch und organisatorisch umsetzbare und zielführende Systematik gehen, welche auch eine ganzheitliche Anreizsystematik zur Aufflösung des Vermieter-Mieter-Dilemmas beinhaltet. Dies muss konsistent, verlässlich und gemeinsam geschehen, wie es sich das BMWK richtigerweise schon selbst auf die Fahne geschrieben hat:
Politisch stehen wir als Bundesregierung in der Verantwortung, einen verbindlichen Rahmen und eine verlässliche Orientierung zu geben. Damit dieser Rahmen mit Leben gefüllt wird, braucht es aber ein Zusammenspiel aller Kräfte – von Bund, Ländern, Kommunen, Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch den Bürgerinnen und Bürgern selbst.
Werkstattbericht des BMWK, Wohlstand klimaneutral erneuern, 09.03.2023
Enteignungsgleiche Angriffe auf Vermietende, ein Ausblenden von Nutzungsverhalten von Mietenden und die Schaffung einer unverhältnismäßigen rechtlichen Komplexität unter Verstoß gegen die Anforderungen an eine konsistente und widerspruchsfreie Rechtsetzung dagegen werden nicht nur rechtlich scheitern, sondern auch die Akzeptanz und Lenkungswirkung von Klimaschutzmaßnahmen verfehlen.
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