Einleitung
Die in Deutschland geltenden Landesnachbarrechtsgesetze ordnen das Nachbarverhältnis bezogen auf grenznahen Baumbestand in der Regel so, dass
- ein bestimmter Grenzabstand gefordert wird,
- im Fall der Überschreitung des Grenzabstandes ein Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung bzw. auf Zurückschneiden besteht,
- der Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung/Zurückschneiden aber nach Ablauf einer bestimmten Ausschlussfrist ausgeschlossen ist, soweit er nicht wie vorgeschrieben geltend gemacht worden ist,
- der Nachbar nach Ablauf der Ausschlussfrist das Höhenwachstum der Bäume ebenso wie das Abfallen von Laub und ähnlichem auf sein Grundstück dulden muss.
Diese Landesnachbarrechtsgesetze beruhen nach Ansicht des BGH auf einer detaillierten gesetzgeberischen Abwägung der widerstreitenden nachbarlichen Interessen, nämlich der Bepflanzung einerseits und der Zufuhr von Luft und Licht andererseits. Sie bringen diese im Regelfall zu einem vernünftigen Ausgleich, indem etwa Abstandsregelungen nach Art und Höhe der jeweiligen Pflanzen abgestuft werden, und berücksichtigen das öffentliche Interesse an einer Begrünung (siehe schon ausführlich: Anpflanzungen im Nachbarrecht: Grün gewinnt).
Was aber ist mit dem Reinigungsaufwand des beeinträchtigten Nachbarn infolge des Abfallens von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen dieser zu duldenden Bäume?
Der Ausgleichsanspruch
Der BGH bestätigt nun in einer aktuellen Entscheidung, dass auch dem Nachbarn, der von dem Eigentümer von Bäumen, die den landesrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, deren Beseitigung oder Zurückschneiden wegen des Ablaufs der dafür in dem Landesnachbarrecht vorgesehenen Ausschlussfrist nicht mehr verlangen kann, für den erhöhten Reinigungsaufwand infolge des Abfallens von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen dieser Bäume ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog zustehen kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog) gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bzw. § 862 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen.
Zur Verantwortlichkeit des Nachbarn
Ein solcher nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Grundstückseigentümer für die Eigentumsbeeinträchtigung durch Laubabwurf der Bäume verantwortlich ist. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn
- die Bäume unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen über den Grenzabstand unterhalten werden und
- sich die Nutzung des störenden Grundstücks deshalb nicht mehr im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält.
Dass wegen Fristablaufs nicht mehr die Beseitigung oder das Zurückschneiden der Bäume auf die zulässige Höhe verlangt werden kann, hat nicht zur Folge, dass der Bewuchs nunmehr ordnungsgemäßer Bewirtschaftung entspricht.
Zur wesentlichen Beeinträchtigung
Der Laubabwurf muss eine wesentliche Beeinträchtigung i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB des Nachbarn darstellen. Eine wesentliche Beeinträchtigung liegt jedenfalls dann vor, wenn das von den Bäumen abfallende Laub dazu führt, dass die Dachrinnen und die Abläufe am beeinträchtigten Nachbarhaus häufiger als es sonst nötig wäre gereinigt werden müssten.
Zu den unzumutbaren Nachteilen
Der Laubabwurf muss der beeinträchtigte Grundstückseigentümer zudem Nachteile erleiden, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen:
- Bei der hierbei gebotenen Abwägung kommt es auch darauf an, in welchem Verhältnis der von dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer behauptete zusätzliche Reinigungsaufwand zu dem Aufwand steht, den er für die Reinigung seines Grundstücks von Laub und ähnlichem sowieso hat.
- Es empfiehlt sich daher eine Differenzierung zwischen den sowieso anfallenden und den zusätzlichen Aufwendungen, soweit weiterer Baumbestand vorhanden ist, vom dem ebenfalls ein Laubeintrag auf das Grundstück des beeinträchtigten Eigentümers zu erwarten ist. Im Fall eines Gerichtsverfahrens bleibt dem beeinträchtigten Eigentümer der Sachverständigenbeweis.
Kein Anspruchsausschluss wegen Ablauf der Ausschlussfrist
Der BGH weist jene Einwände zurück, die meinen, der Eigentümer habe es selbst in der Hand gehabt, den Baumwuchs als Ursache der Beeinträchtigungen zu verhindern, und habe daher die Beeinträchtigung entschädigungslos zu dulden. Denn dies würde zu Wertungswidersprüchen führen:
- Wer durch Laubabfall von Bäumen des Nachbarn, die den Grenzabstand einhalten, wesentlich beeinträchtigt wird, kann unter Umständen einen Ausgleich in Geld verlangen, obwohl er keinen Anspruch auf Beseitigung der Bäume hat. Dies folgt aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer, der eine wesentliche Beeinträchtigung i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB zu dulden hat, weil sie durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind, von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
- Warum dies bei Einwirkungen von Bäumen, die den Grenzabstand verletzen, anders sein soll, erschließt sich nicht.
In beiden Fällen ist der Nachbar aus Rechtsgründen gehindert, den ihm eigentlich zustehenden Anspruch auf Beseitigung der Störung seines Eigentums durch Laubabfall und ähnliches gemäß § 1004 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Ebenso wie im unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift hat der Grundstückseigentümer wesentliche Beeinträchtigungen seines Eigentums durch von einem Nachbargrundstück ausgehende Immissionen zu dulden. Diese Duldung soll nach der Wertung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht entschädigungslos erfolgen und rechtfertigt eine entsprechende Anwendung der Vorschrift.
Zu den Grenzen des Ausgleichsanspruchs
Luft & Licht
Ein solcher Ausgleichsanspruch kann nicht damit begründet werden, dass es infolge des Baumbestandes auf dem Nachbargrundstück zu einer Verschattung des eigenen Grundstückes kommt. Während für das Abfallen von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Sträuchern und Bäumen ein Ausgleichsanspruch begründet sein kann, ist ein solcher bei einem Entzug von Luft und Licht durch Anpflanzungen auf dem Nachbargrundstück nicht gegeben.
Naturschutzrecht
Stellen wir uns abschließend noch einen Nachbarn vor, dessen Baumbestand in dem vorstehend beschriebenen Sinne das Nachbargrundstück stört und der gewillt ist, die störenden Bäume zu fällen, hierfür aber keine Baumfällgenehmigung von der zuständigen Behörde erhält. Muss auch dieser eine Entschädigung zahlen?
Der BGH vereint das für den Fall, dass das Naturschutzrecht es dem störenden Nachbarn verbietet, die Einwirkung auf das Grundstück des beeinträchtigten Nachbarn zu unterlassen oder abzustellen, er also für die Beseitigung der störenden Bäume aus naturschutzrechtlichen Gründen eine erforderliche Genehmigung nicht erhält.
Hätte der Störer gleichwohl an den Gestörten einen Ausgleich zu leisten, müsste er eine Entschädigung für die Folgen einer gesetzlichen Regelung bezahlen, die der Gesetzgeber nicht im Interesse des Störers, sondern im Allgemeininteresse für notwendig hält. Hierfür gibt es keine Grundlage.
Siehe auch: Sturmschaden, Astbruch & Verkehrssicherungspflicht von Baum- und Grundstückseigentümern
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