In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH (Urt. v. 10.07.2015 – V ZR 229/14) erneut (siehe schon hier) den Begriff der Situationsgebundenheit des Grundstücks angeführt, um Grundstückseigentümer (und zuvor Mieter, die hieran ebenfalls  teilhaben) bei dem Versuch in die Schranken zu weisen, wegen als störend empfundene Nutzungen oder Zustände auf Nachbargrundstücken zu klagen.

Die Situationsgebundenheit des Grundstücks

Letztlich bedeutet der Begriff der Situationsgebundenheit des Grundstücks, dass

  • die konkrete örtliche Umgebung das Eigentum am Grundstück wesentlich prägt
  • und dass nicht umgekehrt das Eigentum an dem Grundstück das Recht begründet, die örtliche Umgebung des Grundstücks umzugestalten.

Denn abgesehen davon, dass es sich bei einem Grundstück um eine Immobilie handelt, wird die Umgebung, in der diese dauerhaft eingebunden ist, zum einen wesentlich geprägt von den Eigentums- und Nutzungsrechten der Nachbarn und zum anderen durch gesellschaftliche Allgemeinwohlbelange. So ist z.B. im Rahmen des Toleransgebots „Kinderlärm“ (siehe hier) und nach der nun vorliegenden Entscheidung auch das öffentliche Interesse an einer Begrünung zu akzeptieren.


Um was ging es?

Die Eigentümer eines mit einem Reihenhausbungalow bebauten Grundstücks mit kleinem Garten in Nordrhein-Westfalen verlangten die Beseitigung von  zwei Bäumen, die mit einem Abstand von 9m bzw. 10,30m zur Grundstücksgrenze auf dem benachbarten Grundstück stehen – einer öffentlichen Grünanlage der Stadt. Sie sind in allen Instanzen mit ihrer Klage gescheitert, letztlich bestätigt vom BGH.


Und warum?

Zur Begründung führt der BGH aus, dass ein Anspruch auf Beseitigung von Bäumen nach § 1004 BGB u.a. eine Beeinträchtigung des Eigentums voraussetzt (vgl. § 903 BGB). Dies ist der Fall, wenn die in den landesrechtlichen Nachbargesetzten für die Bepflanzung des Grundstücks vorgegebenen Abstände verletzt werden. Im entschiedenen Fall wurde der geforderte Abstand von 4m um mehr als das Doppelte erfüllt.


Diese Landesnachbarrechtsgesetze beruhen nach Ansicht des BGH auf einer detaillierten gesetzgeberischen Abwägung der widerstreitenden nachbarlichen Interessen, nämlich der Bepflanzung einerseits und der Zufuhr von Luft und Licht andererseits. Sie bringen diese im Regelfall zu einem vernünftigen Ausgleich, indem etwa Abstandsregelungen nach Art und Höhe der jeweiligen Pflanzen abgestuft werden, und berücksichtigen das öffentliche Interesse an einer Begrünung.


Aufgrund der Vorrangingkeit des über die Landesnachbargesetze geregelten Interessenausgleichs kann ein Beseitigungsanspruch auch nicht mit § 906 BGB begründet werden, nach welchem der Eigentümer bestimmte Einwirkungen abwehren kann, sofern eine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung seines Grundstücks durch eine ortsunübliche Benutzung des benachbarten Grundstücks herbeigeführt wird. Hierunter können

  • positiv die Grundstücksgrenze überschreitende, sinnlich wahrnehmbare Wirkungen fallen,
  • nicht jedoch der Entzug von Luft und Licht durch Anpflanzungen auf dem Nachbargrundstück (sog. negative Einwirkung).

Im Verhältnis untereinander können Nachbarn grundsätzlich darauf vertrauen, dass sie ihr Grundstück nach freier Wahl bepflanzen dürfen, sofern sie den landesrechtlich vorgeschriebenen Abstand wahren.


Sollte sich nach den vorstehenden Maßstäben ein grob unbilliges Ergebnis für den Grundstückseigentümer ergeben, so kann dem über das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis Rechnung getragen werden. Damit lässt sich aber nur im absoluten Ausnahmefall ein Beseitigungsanspruch begründen. Voraussetzung ist,

  • dass ein über die gesetzlichen Regelungen hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint, was etwa voraussetzen würde,
  • dass der Eigentümer wegen der Baumhöhe ungewöhnlich schweren und und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen ausgesetzt wäre.

Jedenfalls aber wenn wie im vorliegenden Fall der gebotene Abstand großzügig gewahrt wird und keine ganzjährige vollständige Verschattung der Gartenfläche bzw. der gesamten Grundstücksfläche vorliegt, setzt sich das Interesse des bepflanzenden Nachbarn und im vorliegenden Fall das Interesse an öffentlichen Grünanlagen durch, welche

  • zum Zweck der Luftverbesserung,
  • zur Schaffung von Naherholungsräumen und
  • als Rückzugsort für Tiere

gerade auch große Bäume enthalten sollen, für deren Anpflanzung auf vielen privaten Grundstücken kein Raum ist. Die damit einhergehende Verschattung des Nachbargrundstücks ist Ausdruck der eingangs beschriebenen Situationsgebundenheit.

 


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