Die Verbände der Wohnungswirtschaft haben Ende Juli ihre Stellungnahmen zum Berliner Mietendeckel nach § 27a BVerfGG und § 22 Abs. 5 GOBVerfG beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie belegen nochmals ihre Bedenken an der Vereinbarkeit des MietenWoG Bln mit dem Grundgesetz, letztlich auf allen Ebenen der Wirksamkeitsprüfung.

Hierzu gehört auch die Frage nach den zutreffenden Grundannahmen und der Eignung des Gesetzes für die Lösung der Mieten- und Wohnraumfrage.

Weitere Bewegung in die Diskussion bringt zudem eine aktuelle Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft.

Analysts say the Berlin experience indicates how rental caps can in fact hurt tenants, with smaller landlords selling off properties to bigger buyers who can afford to take risks. This could lead to fewer rental properties being available, or higher stakes for renters if the Mietendeckel failed.“

Financial Times, Big buyers eye Berlin properties despite rent freeze, July 14 2020


Ist Wohnen die neue soziale Frage?

Die IW-Analyse 136 mit dem Titel „Wohnen – die neue soziale Frage?“ von Pekka Sagner, Maximilian Stockhausen und Michael Voigtländer, 2020, kommt zu dem Ergebnis, dass sich die sozialpolitische Lage weniger bedenklich darstellt, als dies manche Medienberichte suggerieren. Wohnen könne damit nicht als die soziale Frage unserer Zeit bezeichnet werden:

  • Insgesamt zeige sich, dass die starke Arbeitsmarktentwicklung in Kombination mit einer Reduktion der Wohnflächen die Wohnkostenbelastung bei vielen Haushalten konstant gehalten hat.
  • Nur bei wenigen Haushalten gebe es tatsächlich einen merklichen Anstieg der Belastung, jedoch bei gleichzeitig gestiegener Zufriedenheit mit der Wohnsituation.

Ist Wohnen die soziale Frage unserer Zeit? Nach der Durchsicht der zahlreichen Statistiken und Analysen muss man dies wohl verneinen. Zwar gibt es Haushalte, die einen merklichen Anstieg der Wohnkostenbelastung verzeichnen. Zahlenmäßig ist diese Gruppe allerdings zu klein, um daraus eine gesamtgesellschaftliche soziale Frage abzuleiten.

IW-Analyse 136, „Wohnen – die neue soziale Frage?“ von Pekka Sagner, Maximilian Stockhausen und Michael Voigtländer, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2020, S. 76

Zugleich wird aber festgestellt, dass zahlreiche Haushalte Unterstützung brauchen, nochmals verstärkt durch die virusbedingte Wirtschaftskrise. Hierbei gehe es darum, diese Haushalte sozialpolitisch zielgenau zu unterstützen.

Die dafür zur Verfügung stehenden Instrumente wie das Wohngeld und Sozialwohnungen sollten gestärkt werden, aber gerade bei Sozialwohnungen sollte darauf geachtet werden, die soziale Treffsicherheit zu verbessern.

IW-Analyse 136, „Wohnen – die neue soziale Frage?“ von Pekka Sagner, Maximilian Stockhausen und Michael Voigtländer, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2020, S. 5

Die Studie versteht sich als Beitrag, um die soziale Wohnungspolitik zielführender zu gestalten, im Sinne einer klugen Ausgestaltung der Instrumente sowie die Identifikation der tatsächlich hilfebedürftigen Haushalte, bei denen die Hilfe tatsächlich auch ankommen muss.

Dies bedeutet, dass es noch mehr als bisher darauf ankommt, die sozialpolitischen Instrumente so einzusetzen, dass sie tatsächlich den bedürftigen Haushalten zugutekommen. Dazu ist es notwendig, vor allem die soziale Wohnraumförderung anders zu gestalten und etwa über eine zeitliche Befristung der Mietverträge die Treffsicherheit zu erhöhen. Darüber hinaus könnten über eine Aufstockung des Wohngelds mehr Haushalte vor einem Abrutschen in die Grundsicherung bewahrt werden.

IW-Analyse 136, „Wohnen – die neue soziale Frage?“ von Pekka Sagner, Maximilian Stockhausen und Michael Voigtländer, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2020, S. 76 f.

Bemerkenswert und für den Berliner Mietendeckel ebenso wie für andere landesrechtliche Mietpreisregulierungsideen bedeutsam ist, was man aus der IW-Studie schlussfolgern kann, und zwar das Anliegen

  • mehr Sorgfalt auf die Datengrundlagen statt Augenmerk auf die PR-Wirkung zu legen und
  • bestehende Instrumente zu nutzen, sie zielgenau und klug nach Maßgabe der tatsächlich bedürftigen Haushalte einzusetzen, anstatt nach dem „Gießkannenprinzip“ zwar populäre, aber möglicherweise für die bedürftigen Haushalte ungeeignete, wenn nicht gar für Mieter schädliche Pauschaldeckel einzuführen.

Mehr feingliedriges Operationsbesteck, weniger Vorschlaghammer. So kann man es wohl zusammenfassen. Und der Berliner Gesetzgeber dürfte sich demnach beim Mietendeckel im Werkzeugkasten vergriffen haben, wie nicht nur das Eingangszitat aus der FT andeutet, sondern auch in den Stellungnahmen der Verbände nochmals verdeutlicht wurde (siehe auch FAZ: Mietendeckel in Berlin – Der Deckel wird zum Mieter-Horror).


Was ist überhaupt bezahlbares Wohnen?

Der vorstehende Ansatz ist generell auch bei der Bildung und Verwendung von (politischen) Begriffen zu beachten. Und so nimmt sich die IW-Studie in bemerkenswerter Weise der bislang uneinheitlichen Definition des Begriffs „bezahlbares Wohnen“ an.

Nach der Feststellung der Studie steht demnach außer Frage, dass eine starre, dichotome Unterscheidung zwischen „bezahlbar“ und „unbezahlbar“ auf Basis der Wohnkostenbelastung zu kurz greift, um die Wohnsituation vollständig zu erfassen.

Auch beim Konzept vom bezahlbaren Wohnraum bildet neben den Wohnkosten das Einkommen und letztlich vor allem die Kombination der beiden nur einen Teilaspekt bezahlbaren Wohnraums ab.

IW-Analyse 136, „Wohnen – die neue soziale Frage?“ von Pekka Sagner, Maximilian Stockhausen und Michael Voigtländer, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2020, S. 18

Also schlägt die IW-Studie eine differenzierte und ganzheitliche Definition bezahlbaren Wohnens entlang von zwei deskriptiven Dimensionen mit jeweils zwei Ebenen (objektiv, subjektiv) vor:

  • Die erste Dimension ist der „Bezahlbarkeit“ im Sinne der finanziellen Faktoren gewidmet: 
    • Objektive Ebene: Kostenseite sowie Einkommensseite (Budgetrestriktionen) der Haushalte.
    • Subjektive Ebene: Aspekte, die über die objektiven Faktoren hinaus Informationsgehalt für die Bezahlbarkeit von Wohnen haben.
  • Die zweite Dimension des bezahlbaren Wohnens beinhaltet die physischen Attribute der Wohnung selbst:
    • Objektive Ebene: Die Ausstattungsmerkmale der Wohnung sowie das Wohnumfeld (Größe der Wohnung, Qualität der Innenausstattung, Wärmedämmung, Nähe zum ÖPNV und zu anderen Infrastruktureinrichtungen).
    • Subjektive Ebene: Subjektive Bewertung der physischen Attribute des Wohnens, Zufriedenheit mit der Wohnung und Wohnlage.

Und was ist angemessener Wohnraum?

Das stützt jenen rechtlichen Ansatz, der den Erfindern und Befürwortern des Berliner Mietendeckels oder des Bayerischen Mietenstopps vorwirft, den etwa in Landesverfassungen verwendeten Begriff vom „angemessenen Wohnraum“ unzulässig auf ein reines Preisargument zu reduzieren.

Das greift zu kurz. Denn angemessener Wohnraum ist mehr als preisgünstiger Wohnraum. Gerade bei der Deutung solcher Begriffe wie „angemessener Wohnraum“ zeigt sich die Gefahr einer verkürzten Diskussion, in welcher Billigbauten oder auch unsanierte Gebäude als die Lösung angepriesen und die sozialen Belange gegen die ökologischen Belange ausgespielt werden und damit sowohl ökologische wie auch ökonomische Risiken begründet und Gefahren für die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Bau- und Immobilienbranche in Kauf genommen werden.“ 
Ein Klimadeckel für den Mietendeckel? Zur Nachhaltigkeit landesrechtlicher Mietpreisregulierung am Beispiel des MietenWoG Bln, Dr. Elmar Bickert, ZfIR 2020, 321

Zum Verständnis eines angemessenen Wohnraums gehört auch die Optimierung von gesundheits-, sicherheits-, nutzwert- und behaglichkeitsfördernden Aspekten, die zu hochwertigen Nutzungsbedingungen, einem hohen Nutzkomfort und zu einer Erhöhung der Lebensqualität der Nutzer führen ebenso wie die Sicherung der gestalterischen und städtebaulichen Qualität.

Dies sind wiederum soziale, sozio-kulturelle und funktionale Qualitäten und Gesichtspunkte, die im ureigenen Interesse der Mieter liegen und Eingang finden müssen in das Verständnis von dem, was „angemessener Wohnraum“ ist. 


Oder um es mit der von der Bundesregierung beschlossenen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und mit den Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen zu sagen (SDG 11): Es geht um angemessenen, sicheren und bezahlbaren Wohnraum, eine Verkürzung auf ein reines Preisargument greift auch insoweit zu kurz.


© Copyright by Dr. Elmar Bickert