Zwei bemerkenswerte Ereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel waren in dieser Woche zu verzeichnen.

Ein neues Papier „Was wir heute übers Klima wissen – Basisfakten zum Klimawandel, die in der Wissenschaft unumstritten sind“ von sechs Institutionen aus Klimaforschung und -kommunikation (Deutsches Klima-Konsortium, Deutsche Meteorologische Gesellschaft, Deutscher Wetterdienst, Extremwetterkongress Hamburg, Helmholtz-Klima-Initiative, klimafakten.de) stellt den aktuellen Wissensstand rund um die menschengemachte Erderhitzung eingängig auf kompakten 24 Seiten zusammen. Unter 26 Einzelpunkte werden unter vier Abschnitten unumstrittene Basisfakten dargestellt:

  • Grundlagen zum Klimawandel
  • Globaler Klimawandel
  • Klimawandel in Deutschland
  • Künftige Entwicklung

Das Bestechende daran: Das Papier liegt mit Stand September 2020 vor, wird aber nach den jeweils neuesten Erkenntnissen fortgeschrieben. Es leitet mit „fünf Kerninfos zum Klimawandel in nur 20 Worten“ ein: Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Wir können noch etwas tun.


Den letzteren Punkt scheint sich der Bundeswirtschaftsminister besonders auf die Agenda geschrieben zu haben. Das BMWi hat Ende der Woche einen Vorschlag für eine Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand vorgelegt. Nach eigener Aussage geht es dem Minister darum, Zuversicht zu vermittelt, insbesondere dadurch, dass

  • wirksamer Klimaschutz und wirtschaftlicher Wohlstand nicht als Gegensatz verstanden werden dürfen, sondern einander wechselseitig bedingen,
  • beide Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen und
  • eine Versöhnung von Klimaschutz und Wirtschaft erfolgen muss.

Auch anlässlich der Corona-Pandemie ist die erfolgsversprechende Losung demnach: Zeit für Gemeinsinn.

Wenn es nicht gelingt, die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen, wird dies existenzielle Folgen für unsere Ökosphäre und für die gesamte Menschheit haben. Diese Erkenntnis ist gesichert, sie wird von der übergroßen Mehrheit von Wissenschaftlern und Verantwortlichen weltweit geteilt und kann mit rationalen Argumenten nicht bestritten werden.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Klima schützen & Wirtschaft stärken, September 2020, S. 4

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Der Vorschlag des BMWi knüpft an den Green Deal der Europäischen Union an, der auf europäischer Ebene einen großen Neuanfang in der Klimapolitik wagt. Europa werde nicht länger warten, bis andere vergleichbare Industrieregionen sich dem eigenen Vorgehen anschließen.

Deshalb müssen wir bereit sein, Klimaschutz als die zentrale Herausforderung unserer Generation zu begreifen und entsprechend zu handeln. Transparent und nachvollziehbar.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Klima schützen & Wirtschaft stärken, September 2020, S. 4

Mit dem Green Deal stehe man vor einer riesigen Herausforderung:

  • Die Anhebung der europäischen Klimaziele von derzeit 80 Prozent bis 95 Prozent CO2-Reduktion bis 2050 auf das Ziel weitgehender Klimaneutralität, sei keine quantitative sondern eine qualitative Veränderung von enormer Tragweite.
  • Es dürfe nicht zugelassen werden, dass durch die fortdauernde Corona-Pandemie und den irgendwann beginnenden Wahlkampf für die Bundestagswahl im September 2021 sowie die daran anschließende Regierungsbildung erneut unwiederbringlich wichtige Zeit verloren wird.
  • Deshalb schlägt der Minister vor, dass noch vor Beginn des Bundestagswahlkampfes ein breiter parteiübergreifender Konsens über die klimapolitischen Handlungsnotwendigkeiten herbeigeführt wird. Daran sollen mitwirken
    • die im Bundestag vertretenen Parteien,
    • weite Teile der Klimabewegung,
    • Wirtschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Siehe auch: EU Green Deal: Wachstumsstrategie und Investitionsplan für den Gebäudesektor und die Bauwirtschaft

Eine konsequente Politik zur Erreichung von Klimaneutralität erfordert nach dem Vorschlag eine ebenso konsequente Politik zur Stärkung der Wirtschaftskraft. Denn eine grundlegende Wende in der Klimapolitik lasse sich nur mit einer starken und leistungsfähigen Volkswirtschaft in Deutschland umsetzen und weltweit zum Durchbruch bringen. Die Umsetzung des Green Deals etwa könne nur durch nachhaltiges Wachstum finanziert werden. Auch die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit im Hinblick auf die klimapolitischen Ziele gehöre hierher. Ein umfassendes Konzept über die Schritte zur Erreichung von Klimaneutralität bis zum Jahre 2050 sei dringend erforderlich. „Early movers“ sollen durch abgestufte Hilfen motiviert werden, ihre Anstrengungen zu beschleunigen. Und die unterschiedlichen Branchen sollten die Möglichkeit erhalten, gemeinsam mit den staatlichen Stellen konkrete Transformationskonzepte zu entwickeln.

Die Durchführung der künftigen Klimapolitik soll, wo immer möglich, marktwirtschaftlich erfolgen: Dies erspart Kosten und beschleunigt die Transformation. Mit dem Europäischen Emissionshandel und der nationalen CO2-Bepreisung stehen hervorragende Instrumente zur Verfügung, um CO2-Reduzierung technologieneutral und effizient zu erreichen. Sie können durch weitere marktwirtschaftliche Instrumente, wie z. B. CO2-Auktionen, wirksam ergänzt werden.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Klima schützen & Wirtschaft stärken, September 2020, S. 7

Wichtig sind demnach:

  • eine Stärkung des politischen und gesellschaftlichen Bewusstseins für die Größe der Herausforderung,
  • ein grundlegender politischer Konsens und ein starker gesellschaftlicher Konsens,
  • Erfahrungen und Erfolge weltweit erfahrbar und nachvollziehbar zu machen und Best Practices allgemein zugänglich zu machen.

Die 20 Vorschläge des BMWi zur Stärkung von Klimaschutz und Wirtschaftskraft:

Noch vor der Bundestagswahl soll partei- und fraktionsübergreifend eine „Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft“ von Bundestag und Bundesrat verbindlich beschlossen werden. Die Charta steht Ländern und Kommunen, aber auch gesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen zum Beitritt offen. Sie ist ein historischer Kompromiss zwischen Klima und Wirtschaft.

Zur Erreichung von Generationengerechtigkeit wird in der Charta das Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2050 festgeschrieben. Die Minderungsziele bis 2050 werden schon jetzt in konkrete Minderungsziele für jedes einzelne Jahr zwischen 2022 und 2050 aufgeteilt und festgelegt. Dabei werden die anstehenden Beschlüsse der Europäischen Union zu den Treibhausgaszielen 2030 berücksichtigt und umgesetzt.

Das Erreichen der Klima- und Wirtschaftsziele wird als vorrangige Aufgabe festgelegt. Die Charta enthält hierzu eine „Klima-Garantie“ und eine „Wirtschafts-Garantie“. Diese verpflichtet die staatlichen Stellen, alle notwenigen und geeigneten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele und zur Erhaltung der Wirtschaftskraft zügig zu ergreifen und umzusetzen. Dazu gehört das Prinzip, dass wettbewerblich relevante Belastungen der Wirtschaft durch Klimaschutz auszugleichen sind.

In der Charta wird festgelegt, dass ein bestimmter Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes (BIP) jedes Jahr für Klimaschutz und Wirtschaftsförderung zur Verfügung steht. Die Höhe des BIP-Anteils wird so festgelegt, dass das sichere Erreichen der Klimaziele ermöglicht und die vorrangige Bedeutung von Klima und Wirtschaft erkennbar wird.

Die öffentlichen Einrichtungen (Bund, Länder, Kommunen) werden durch die Charta verpflichtet, das Ziel der Klimaneutralität bereits bis 2035 sicher zu erreichen.

Es wird ein öffentliches Scoreboard eingerichtet, auf dem die tatsächlich erreichten Fortschritte beim Klimaschutz für jedermann einsichtbar und abrufbar sind. Dort wird auch dargestellt, welche Unternehmen oder Organisationen sich Selbstverpflichtungen beim Erreichen von Klimaschutz auferlegt haben. Sowie diejenigen Einrichtungen und Unternehmen genannt, die das Ziel der Treibhausgasneutralität bereits erreicht haben.

Es wird ein marktwirtschaftliches Zertifizierungssystem geschaffen, mit dem die Klimaneutralität einer Einrichtung zertifiziert werden kann, ohne dass zu hohe Kosten oder zu hoher Verwaltungsaufwand entstehen.

Branchen und Unternehmen, die dazu bereit sind, können sich in sogenannten „Carbon Contracts for Difference“ zu einem schnelleren Transformationsprozess verpflichten, als er durch die offiziellen Klimaziele vorgegeben ist. Grundsätzlich soll gelten, dass Unterstützungen und Investitionszuschüsse höher ausfallen, je schneller der Transformationsprozess bewältigt wird.

Zur Erreichung von Klimaneutralität benötigen Unternehmen und Wirtschaft enorme Mengen an Erneuerbarem Strom, Wärme und grünem Wasserstoff. Über einen „Matching Mechanismus“ wird sichergestellt, dass die erforderlichen Mengen zum festgelegten Transformationszeitpunkt effektiv verfügbar sind.

Das Erreichen der Klimaziele erfolgt vorrangig durch marktwirtschaftliche Maßnahmen. Hierzu werden der europäische Emissionshandel und die nationale CO2-Bepreisung entsprechend reformiert.

Es soll geprüft werden, inwieweit ergänzend hierzu das marktwirtschaftliche Instrument von CO2- Auktionen eingesetzt werden kann. Dabei können Unternehmen und andere Interessierte konkrete Gebote abgeben, zu welchem Preis sie eine bestimmte Menge CO2 nachweisbar reduzieren können.

Das EEG wird umfassend reformiert und an die neuen Zielsetzungen der EU angepasst und schrittweise zu einem europäischen Instrument ausgestaltet, das die Stromtransformation in ganz Europa entscheidend voranbringen kann.

Die EEG-Umlage wird schrittweise weiter abgesenkt und langfristig verlässlich stabilisiert. Es wird sichergestellt, dass die Sozialversicherungsbeiträge langfristig nicht über 40 Prozent steigen.

Bis Anfang 2021 soll entschieden werden, auf welche Weise Nachteile für grüne CO2-arme oder -neutrale Produkte auf dem Weltmarkt vermieden werden können. Hierzu werden die Vorteile von Grenzausgleichsmechanismen oder Ausgleichsabgaben geprüft und abgewogen.

Gemeinsam mit der Wirtschaft soll ein neues Label „Clean Products made in Germany“ kreiert und beworben werden.

Es wird eine parteiübergreifende bundesweite Stiftung „Klima & Wirtschaft“ eingerichtet, die auf allen Ebenen sicherstellt, dass die hohe Priorität der vorgesehenen Maßnahmen nicht gefährdet wird.

In Deutschland soll ein „Haus der Energiewende“ errichtet werden, das eine ganzheitliche Information über das Funktionieren der Energiewende für nationale und internationale Besucher ermöglicht.

Die Europäische Union soll eine internationale Agentur „Climate global“ gründen mit dem Ziel, erfolgreiche Klimaschutzmaßnahmen weltweit bekannt zu machen und umzusetzen.

Beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wird ein „Klima- und Wirtschaftsrat“ angesiedelt, der die Regierung bei Fragen der Transformation berät und eigene Vorschläge unterbreiten kann.

In Deutschland soll eine internationale „Klima-Universität“ entstehen, an der herausragende Forscher*innen und Lehrer*innen sowie Studenten*innen aus aller Welt zusammen arbeiten und lernen können.