Das Landgericht Heidelberg hat kürzlich entschieden, dass Geschäftsraummieter, insbesondere die großen Handelsketten, auch während der wegen der Coronaverordnung erfolgten Anordnung der Schließung von Filialen in aller Regel verpflichtet sind, die vereinbarte Miete auch für die Zeit der Schließung zu zahlen (LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/20). Es hat damit (ebenso etwa das LG Zweibrücken, Urteil vom 19.08.2020 – HK O 17/20) die grundsätzliche Risikotragung des Mieters bestätigt und den Ausweg über die Geschäftsgrundlagenkonstruktion verneint.

Mit dem BGH aus einem Vor-Corona-Urteil vom 23. Oktober 2019 (XII ZR 125/18) kann die grundsätzliche Risikoverteilung im Mietvertrag wie folgt umrissen werden:

  • DER REGELFALL: Nach ständiger Rechtsprechung des Senats trägt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Hat sich nur das Verwendungsrisiko des Mieters verwirklicht, muss er zahlen und es steht ihm auch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags zu.
  • DER AUSNAHMEFALL: Allerdings können die Parteien die Risikoverteilung vertraglich ändern und vereinbaren, dass der Vermieter das Verwendungsrisiko des Mieters – ganz oder zum Teil – übernimmt. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen im Einzelfall zu ermitteln. Etwaige gemeinsame Vorstellungen der Parteien über die zukünftige Nutzung des Mietobjekts reichen ebenso wenig wie einseitige Erwartungen des Mieters aus, um abweichend vom gesetzlichen Leitbild des Mietvertrags, eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf den Vermieter zu rechtfertigen. 
    Siehe auch BGH, Urteil vom 29. April 2020 – VIII ZR 31/18: „Die bei einer Mietsache für eine konkludent getroffene Beschaffenheitsvereinbarung erforderliche Einigung kommt nicht schon dadurch zustande, dass dem Vermieter eine bestimmte Beschaffenheitsvorstellung des Mieters bekannt ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert.
  • AUSWEG GESCHÄFTSGRUNDLAGE? Ein Wegfall bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage kann grundsätzlich eine Anpassung des Vertrages, aber auch ein Kündigungsrecht rechtfertigen, soweit hierfür neben den mietrechtlichen Spezialregelungen überhaupt ein Anwendungsbereich bleibt, was der BGH kürzlich ausdrücklich offengelassen hat und was auch aufgrund von COVID-Sondergesetzen fraglich ist. Auch hier gilt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis (BGH a.a.O.): 
    • Regel: Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Liegt das Verwendungsrisiko also nach dem Vorstehenden beim Mieter, kann § 313 BGB hieran grundsätzlich nichts ändern. Eine vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen.
    • Ausnahme: Bei extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt, kann aber gleichwohl das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eingreifen.

Das LG München I (Urteil vom 22.09.2020 – 3 O 4495/20) dagegen hat mit Verweis auf vier Entscheidungen des Reichsgerichts und mit nicht einem Wort zur geltenden BGH-Rechtsprechung entschieden, dass bei einer COVID-bedingten Schließungsanordnung ein Mangel der Mietsache mit der Folge einer Minderung der Miete um bis zu 100 % vorliegen kann. Es kann in der Argumentationstiefe gegenüber dem Urteil des LG Heidelberg nicht mithalten und lässt die vom LG Heidelberg angeführten, sehr differenzierten und ausführlich begründeten Argumente (v.a. aus der BGH-Rechtsprechung) weitestgehend unbeachtet.

Siehe auch: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Die Pflicht von Gewerbemietern zur Mietzahlung während der COVID-19-Pandemie, WD 7 – 3000 – 062/20: „Ob Gewerbemieter, die aufgrund der COVID-19-Pandemie von Schließungsmaßnahmen betroffen sind und daher ihr Geschäft nicht betreiben können, unter Berufung auf §§ 134, 275, 326 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 536 BGB oder § 313 BGB Mietzahlungen verweigern dürfen, bleibt fraglich.


Diese Unsicherheit greift auch ein aktueller Antrag vom 29.09.2020 im Bundestag auf (BT-Drucksache 19/22898: Risikoverteilung bei Gewerbemieten klarstellen – Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen in der Corona-Krise unterstützen):

  • Die Frage der Risikoverteilung zwischen Vermietern / Verpächterinnen und gewerblichen Mieterinnen / Pächtern sei bisher nicht vom COVID-Gesetzgeber adressiert worden, auch in der Erwartung, dass die Marktteilnehmer hier ohne gesetzgeberische Initiative zu einvernehmlichen Lösungen zwischen Vermieterinnen und Vermietern und Gewerbetreibenden angesichts der außergewöhnlichen Situation der Corona-Pandemie kommen werden (siehe auch Miete in der Corona-Krise: Rechtslage, staatliche Soforthilfe und gesetzliche Neuregelung von Stundung und Kündigungsschutz).
  • Mittlerweile sollen Rückmeldungen aus der Praxis zeigen, dass diese Einigungsbereitschaft auf Seiten von Verpächtern und Vermieterinnen überwiegend nicht vorhanden sei. 
  • In der Praxis bestehe erhebliche Unsicherheit darüber, ob überhaupt ein Anspruch auf Vertragsanpassung für Mieter und Pächterinnen bestehen kann. 
  • Wie das zivilrechtliche Risikoverteilungssystem auf die beispiellose Corona-Krise Anwendung findet und einwirkt, sei umstritten. Auch die vorgenannte Entscheidung des LG Heidelberg habe keine grundsätzliche Klärung der Rechtslage herbeigeführt.

ABER ACHTUNG:
Hier „trickst“ der Antrag im Bundestag etwas. Er behauptet, das LG Heidelberg habe seine Ablehnung einer Mietsenkung nach § 313 BGB insbesondere mit der im konkreten Fall vertraglich festgelegten Risikoverteilung in Form einer umsatzabhängigen Miete begründet. Das stimmt nicht. Das LG Heidelberg hatte lediglich über die umsatzunabhängige Mindestmiete zu entscheiden, auf die darüber hinausgehende Umsatzmiete kam es nicht an. Das LG Heidelberg stellt ausdrücklich heraus, dass sich aus einer Umsatzmiete die anteilige Übernahme des Verwendungsrisikos durch den Vermieter ergeben kann. Eine vereinbarte Mindestmiete aber, die unabhängig vom Mieterumsatz ist, zeigt jedenfalls, dass das Verwendungsrisiko beim Mieter bleibt, die Parteien sich der Umsatzschwankungen bewusst waren und eine relevante Geschäftsgrundlagenstörung regelmäßig nicht begründet ist. Insbesondere verbietet es sich daher, der Entscheidung des LG Heidelberg für Fälle die Relevanz abzusprechen, in denen keine Umsatzmiete vereinbart ist – zumal das LG sich weitgehend auf bereits bestehende BGH-Rechtsprechung beruft.

  • Mit den erheblichen Beschränkungen gewerblicher Betätigung in der absoluten Ausnahmesituation der Corona- Pandemie sei die Rechtslage aber von elementarer Bedeutung für tausende von Gewerbemietverhältnissen geworden.

Angesichts dieser Ausnahmesituation sollte die Klärung der Frage, ob grundsätzlich aufgrund COVID-19- bedingter Betriebsverbote und Nutzungsbeschränkungen überhaupt ein Anspruch auf Vertragsanpassung bestehen kann, nicht – wie unter regulären Marktsituationen – der Einzelfallentscheidung der Gerichte überwiesen werden, die bis zur letzten Instanz viele Jahre dauern werden. Die außergerichtliche Einigung der Vertragsparteien auf eine angemessene Risikoverteilung in gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen im Zusammenhang mit den Betriebs- und Nutzungsbeschränkungen aus behördlichen Auflagen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sollte vielmehr dadurch gefördert werden, dass das Bestehen eines solchen Anpassungsanspruchs ausdrücklich gesetzlich klargestellt wird.

BT-Drucksache 19/22898

Da die Corona-Pandemie erhebliche Auswirkungen auf den Einzelhandel, das Gastgewerbe, das Handwerk und viele weitere kleine und mittlere Unternehmen und damit auch auf deren Miet- und Pachtverhältnisse habe, soll bezogen auf diese Mieter / Pächter der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der

  • Fälle von Betriebsschließungen und Nutzungsbeschränkungen aufgrund behördlicher Allgemeinverfügungen zur COVID-19-Bekämpfung als schwerwiegende Veränderung der die Vertragsgrundlagen bildenden Umstände im Sinne des § 313 Absatz 1 BGB definiert, sodass auf diese Weise klargestellt ist, dass im Falle des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen des § 313 BGB ein Anspruch auf Vertragsanpassung besteht,
  • und ergänzend dazu Vermieterinnen und Vermietern, die ihre vermietete Immobilie mit einem Darlehen finanziert haben, im Fall der Vertragsanpassung das Recht einräumt, damit einhergehend eine Anpassung der Darlehensverträge vorzunehmen.

Das soll sich nach dem Antrag nicht nur auf vollständige behördliche Betriebsverbote, sondern auch auf behördliche Betriebsauflagen (Abstandsgebote, Begrenzungen der Kundenzahl, die gleichzeitig anwesend sein dürfen) beziehen.

Durch Hygieneauflagen, veränderte Abstandsregeln, Begrenzung der Kundenzahl und auch verändertes Verhalten der Kundinnen und Kunden ist für viele Unternehmerinnen und Unternehmer bei auch vor der Krise wirtschaftlich erfolgreichen Geschäftsmodellen der Fortbestand in Frage gestellt. Die behördlichen Einschränkungen bei gleichzeitig hohen Pachtverpflichtungen sind ein wesentlicher Grund dafür.

BT-Drucksache 19/22898

Dass der Antrag im Bundestag weniger rechtlich als vielmehr politisch motiviert ist, zeigt sich letztlich besonders deutlich an der zentralen Begründung: „Nach dem Immobilienboom der vergangenen Jahre“ sei es fair, das Risiko von Corona für Einzelhandel und Gastronomie nicht allein auf die Gewerbetreibenden abzuwälzen, sondern zwischen den Vertragsparteien zu verteilen. Was aber hat der Immobilienboom von gestern mit der Corona-Pandemie von heute zu tun? Das ist offenbar ein Gedanke, der weder mit § 313 BGB noch mit dem geltenden Mietrecht vereinbar ist.

Tatsächlich ist die Sache sehr viel komplizierter. Und so ist es wiederum das LG Heidelberg, das überzeugend darlegt, auf was es wirklich ankommt: Liegt beim Mieter im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Existenzgefährdung bzw. unzumutbare wirtschaftliche Beeinträchtigung vor? Relevant ist dabei natürlich auch, wie das LG Heidelberg überzeugend herausarbeitet, welche staatlichen Hilfen (Steuererleichterungen, staatliche Zuschüsse und Finanzierungshilfen, Kurzarbeit etc.) der Mieter erhalten hat oder erhalten kann.

Was sich kein Vermieter anhören muss, Immobilienboom hin oder her, und was Mieter dringend vermeiden sollten, hat das LG Heidelberg sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht:

Hieraus ergibt sich nicht, ob ein Anspruch auf staatliche Leistungen bestand oder ob diese aus anderen Gründen nicht bezogen wurden; jedenfalls wäre ein ernsthaftes Bemühen der Beklagten um die Erlangung staatlicher Hilfen vorauszusetzen, welches vorliegend weder ersichtlich noch dargetan ist. Entsprechend verhält es sich mit den Verhandlungen der Beklagten mit ihren Lieferanten und Vermietern, auch insoweit wäre von der Beklagten zu verlangen, dass sie alles ihr Zumutbare unternimmt, um ihre laufenden Kosten zu decken; allein die Beauftragung einer Unternehmensberatung und das Führen von Verhandlungen genügt insoweit nicht. Unbehelflich ist insoweit auch die pauschale Behauptung des – auch im Übrigen nur unzureichend informierten – und entgegen der gerichtlichen Anordnung nicht von einem Geschäftsführer der Beklagten begleiteten Sitzungsvertreters, die 3.000 Betriebe der Beklagten im gesamten Bundesgebiet seien vollständig zum Erliegen gekommen.

LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/20

An dieser Stelle kommen auch Versicherungsleistungen ins Spiel – und erneut das Landgericht München I. Dieses hat mit Urteil vom 01.10.2020 (Az. 12 O 5895/20) der Klage eines Gastwirts auf Zahlung einer Entschädigung aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung gegen seine Versicherung stattgegeben:

  • Im vorliegenden Fall bestehe eine Leistungspflicht der Versicherung.
  • Auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Infektionsschutz-Anordnung komme es nicht an.
  • Der Versicherungsnehmer habe auch nicht gegen die Anordnungen vorgehen müssen.
  • Zudem sei es nicht erforderlich, dass das Coronavirus im Betrieb des Versicherungsnehmers auftrete, denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb des Betroffenen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei.
  • Ein in den AVB vereinbarter Versicherungsausschluss für Krankheiten und Erreger stand dem nach der Ansicht des Gerichts nicht entgegen, da
    • die Parteien den Versicherungsvertrag während der Pandemie und im Hinblick darauf abgeschlossen haben und
    • die einschränkende AVB-Klausel intransparent und daher unwirksam sei.
      Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe. Das sei im konkreten Fall nicht gegeben gewesen. Der Versicherer war nach den AVB zur Entschädigung verpflichtet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger etwa den versicherten Betrieb schließt. Der Versicherungsnehmer durfte daher davon ausgehen, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decke.
  • Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung seien weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für Betriebsschließungen handele.

Siehe auch:
Handel, Gewerbe und Gastro in der Corona-Pandemie: Wie Hausrecht und Hausverbote gegen sog. „Covidioten“ helfen


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HINWEISE:

  • Der Autor war an keinem der vorgenannten Urteile beteiligt.
  • Die LG-Urteile sind nicht rechtskräftig.