Die Bundesregierung betreibt auch unter Verweis auf ihre Nachhaltigkeitstrategie eine Reform der HOAI, indem diese zur Planungs- und Rechtssicherheit im Bau- und Planungssektor beitragen soll. Die Reform kann nach dem Verständnis der Bundesregierung zu einem sichereren Investitionsumfeld und somit zu besseren Investitionsbedingungen im Sinne der nationalen Postulate zu SDG 8 beitragen.
Also hat sie am 31. August 2020 ihren Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen und anderer Gesetze in den Bundestag eingebracht (siehe ausführlich: Reform des Architekten- und Ingenieurrechts 2020/21: Neue HOAI-Grundlagen und neues BGB-Nachtragsrecht) und hat am 16.09.2020 dem Bundesrat die Erste Verordnung zur Änderung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure mit der Bitte überlassen, die Zustimmung nach Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes zu erteilen.
Die Zustimmung zur HOAI steht aus. Derweil hat der Bundesrat sich aber zum Entwurf zur Änderung des ArchLG geäußert. Der Bundesrat hatte in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
„Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob in der künftigen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Honorarordnung für Ingenieur- und Architektenleistungen ausdrücklich klargestellt werden sollte, dass die Grundlagen und Maßstäbe zur Berechnung von Honoraren sich im Rahmen des Angemessenen bewegen müssen.“
Eine ausdrückliche Angemessenheitsregelung bezüglich der Honorare könne nach dem Bundesrat die gerichtliche Überprüfung von Honorarforderungen erleichtern und langwierige Streitigkeiten zu vermeiden helfen.
Das wirft vor allem vor dem Hintergrund der mit der Reform verfolgten Planungs- und Rechtssicherheit im Bau- und Planungssektor Fragen auf. Der Gesetzgeber möchte und muss mit der Reform von ArchLG und HOAI das Urteil des Europäische Gerichtshof umsetzen, wonach die verbindlichen Mindest- und Höchsthonorarsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) europarechtswidrig sind (ausführlich: EuGH zur HOAI: Mindest- und Höchstsätze der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure sind europarechtswidrig!). Folglich werden mit der aktuellen Reform die Regelungen der HOAI und deren Grundlage in der Weise geändert, dass die Honorare für alle von der HOAI erfassten Leistungen künftig frei vereinbart werden können und es keine verbindlichen Mindest- und Höchsthonorarsätze mehr geben wird.
Und jetzt soll es über die Normierung eines „Angemessenheit-Postulats“ doch wieder – denkbar unbestimmte – Preisvorgaben geben? Und wie soll dies geeignet sein, Streitigkeiten zu vermeiden? Wo doch gerade das gesetzliche Leitbild des Architekten- und Ingenieurvertrages aufgrund seiner Vielgestaltigkeit von einer privatautonomen Bestimmung von Leistung und Gegenleistung geprägt ist (ausführlich: Urteil zum neuen Architektenrecht: BGH bestätigt Baukostensicherheit durch wirksame Baukostenobergrenze).
Dementsprechend tritt die Bundesregierung in ihrer Erwiderung dem Ansinnen des Bundesrates entgegen (BT-Drucksache 19/22810):
- Die Bundesregierung stützt sich hierbei ebenso auf die Verträge mit Architekten und Ingenieuren als Werkverträge über Planungen für ein Bauprojekt:
- Bei solchen Verträgen über singuläre Projekte sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine Regelung, die abstrakt vorgibt, dass Honorare angemessen sein müssen, zu einer deutlichen Zunahme gerichtlicher Überprüfungen von Honorarforderungen führt.
- In Vergabeverfahren müsste die Angemessenheit der angebotenen Honorare detailliert geprüft werden, und unterlegene Bieter könnten vermehrt Nachprüfungsverfahren wegen der Honorarhöhe anstrengen. Dies hätte höhere Kosten und zeitliche Verzögerungen bei Bauprojekten zur Folge.
- Zudem möchte die Bundesregierung vermeiden, dass die Neuregelung erneut zur Rechtsunsicherheit führt, insbesondere hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Europarecht. Ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren soll unter allen Umständen ausgeschlossen werden. Enthielte hingegen die neue Fassung des ArchLG eine vor Gericht durchsetzbare Regelung, die allgemein vorgäbe, dass die Honorare nach der HOAI auch im konkreten Einzelfall angemessen sein müssen, also eine bestimmte Grenze nicht unterschreiten dürfen, bestünde die Gefahr, dass eine auf dieser Grundlage formulierte HOAI (gleiches gilt für die gesetzliche Ermächtigung) nicht den Vorgaben des Europarechts entspräche. Es bestünde die erhebliche Gefahr, dass dies als faktische Wiedereinführung von Mindesthonorarsätzen bewertet werden könnte.
- Folglich verweist die Bundesregierung darauf, dass die HOAI mit ihren Honorartafeln den Vertragsparteien von Verträgen über Ingenieur- und Architektenleistungen künftig „nur“ eine Honorarorientierung zur Verfügung stellt:
- Bei der Bestimmung dieser Orientierungswerte ist den berechtigten Interessen der Ingenieure und Architekten und der zur Zahlung Verpflichteten Rechnung zu tragen. Die Honorartafeln sind dabei an der Art und dem Umfang der Aufgabe sowie an der Leistung des Ingenieurs oder Architekten auszurichten.
- Damit nimmt der Gesetzentwurf nach der Vorstellung der Bundesregierung ausdrücklich diejenigen Parameter in Bezug, die für die Ermittlung eines angemessenen Honorars ausschlaggebend sind.
- Die Honorartafeln sollen mithin eine Orientierung für eine angemessene Honorarhöhe bieten, nicht mehr, aber auch nicht weniger. So zumindest die Ansicht der Bundesregierung. Am 08.10.2020 steht der Entwurf zur Änderung des ArchLG auf der Tagesordnung des Bundestages.
HINWEIS: Ungeachtet der Reform des ArchLG und der HOAI sind die Grenzen, die sich aus dem sonstigen Recht, etwa dem Zivilrecht oder – soweit es sich um öffentliche Aufträge handelt – dem Vergaberecht (insbesondere aus § 60 Vergabeverordnung (VgV) zu ungewöhnlich niedrigen Angeboten) ergeben, einzuhalten. Hierauf weist der Entwurfverfasser ausdrücklich hin.
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