Viel Erfreuliches kommt diese Tage vom Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe. Eben noch hat es Berlin vom Mietendeckel aus der linken Ecke befreit, schon befreit es mit Beschluss vom 15. April 2021 – 2 BvR 547/21 das Land vom Störfeuer einer Professorenclique aus der rechten Ecke rund um Herrn Lucke, der zunächst mit seinem Lebensunwerk afd das Land zurückwerfen wollte, bevor der von ihm entfachte Extremismus ihn selbst verschlang, und der nun aus dem Schoß staatlicher Universitätseinrichtungen heraus ausgerechnet mit einer selbsternannten „Professur für VWL, insbes. Wachstum und Konjunktur“ erneut versucht, den Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes auszubremsen. Er hatte sich mit einem Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht gewendet, um das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz (ERatG) zu verhindern, mit dem der Ermächtigung der Europäischen Kommission im Eigenmittelbeschluss vom 14. Dezember 2020, zur Finanzierung des temporären Aufbauinstruments „Next Generation EU“ (NGEU) Mittel bis zu einem Betrag von 750 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen, zugestimmt werden sollte.

  • Mit der Aufbau- und Resilienzfazilität soll eine wirksame und umfassende finanzielle Unterstützung für die schnellere Durchführung nachhaltiger Reformen und der damit verbundenen öffentlichen Investitionen in den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.
  • Die Fazilität soll insoweit ein spezielles Instrument zur Bekämpfung der negativen Auswirkungen und Folgen der COVID-19-Krise in der Europäischen Union sein.
  • Ziel der Fazilität im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise ist es, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt der Europäischen Union zu fördern, indem Resilienz, Krisenvorsorge, Anpassungsfähigkeit und Wachstumspotenzial der Mitgliedstaaten verbessert, die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise insbesondere auf Frauen abgemildert, zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte beigetragen, der ökologische Wandel unterstützt, die Verwirklichung der Klimaziele der Europäischen Union für 2030 gefördert und das Ziel der Klimaneutralität der Europäischen Union bis 2050 sowie das Ziel des digitalen Wandels unterstützt werden, um so zur wirtschaftlichen und sozialen Aufwärtskonvergenz, zur Wiederherstellung und Förderung des nachhaltigen Wachstums, zur Integration der Volkswirtschaften der Europäischen Union, zur Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen sowie zur strategischen Autonomie der Europäischen Union im Einklang mit einer offenen Wirtschaft beizutragen und einen europäischen Mehrwert zu schaffen.

The development of green economies offers an opportunity to increase employment while addressing the critical global risk of climate change. For this reason, the COVID-19 pandemic should not be used as a pretext to forego the inclusion of sustainable development elements in policies. Instead, measures that promote recovery, including extraordinary stimulus funding, should advance carbon-neutral products and practices and be undertaken in a way that is consistent with the 2030 Agenda for Sustainable Development.

World Economic Forum’s Global Action Group, Principles for Strengthening Global Cooperation, January 2021, Principle 5: Rebuild sustainably

Das bekannte Mittel des Ur-afdisten dagegen: Angst, hier mal wieder vor der übermächtigen EU, die sich durch den Eigenmittelbeschluss 2020 in eine Fiskalunion umwandle. Das BVerfG widerspricht. Die Ermächtigung der Europäischen Kommission, am Kapitalmarkt Mittel bis zu 750 Milliarden Euro aufzunehmen, führt nicht zu einer unmittelbaren Haftung der Bundesrepublik Deutschland und des Bundeshaushalts. Entscheidend aber für die ablehnende Entscheidung des BVerfG ist sein Blick auf die gravierenden Folgen, würde man Lucke & Co. folgen:

Ein solchermaßen verzögertes Inkrafttreten des Eigenmittelbeschlusses 2020 würde dessen wirtschaftliche Zielsetzung beeinträchtigen, wenn nicht verfehlen. Es zerstörte nicht nur die mit Blick auf das Aufbauinstrument NGEU schon vorweggenommenen Impulse für die Wirtschaftsentwicklung in der Europäischen Union, sondern löste nach der vom Bundesverfassungsgericht insoweit zu respektierenden Einschätzung der Bundesregierung auch erhebliche Zweifel an deren weiterer ökonomischer Entwicklung nach der COVID-19-Krise aus.“
„Ein verspätetes Inkrafttreten des Eigenmittelbeschlusses 2020 hätte nach Einschätzung der Bundesregierung zudem erhebliche außen- und europapolitische Verwerfungen zur Folge. Da der Eigenmittelbeschluss 2020 auf eine deutsch-französische Initiative zurückgeht, befürchtet sie erhebliche Spannungen im Verhältnis zu Frankreich, eine Erschütterung der außen- und europapolitischen Glaubwürdigkeit Deutschlands sowie eine weitere Gefährdung des Zusammenhalts unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Bei der Bewertung außen- und europapolitisch erheblicher Sachverhalte gewährt das Grundgesetz der Bundesregierung einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum. Dieser hat seinen Grund darin, dass die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden kann, sondern vielfach von Umständen abhängig ist, die sich ihrer Bestimmung entziehen.“

Klar gewonnen haben damit Bundesregierung und Bundestag, die beim BVerfG erfolgreich vor erheblichen ökonomischen Verwerfungen, negativen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft sowie für die Bürger, vor einem schweren wirtschaftlichen Schock, vor längerfristigen sozialen Folgen und vor einem schwerwiegenden Rückschlag für die Begrenzung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise warnten, sollte man dem Blockadeziel von Lucke & Co. zum Erfolg verhelfen.

Darüber hinaus sah man aufgrund des Angriffs der Antragsteller das Ansehen und die Stellung Deutschlands sowie die Handlungsfähigkeit der gesamten Europäischen Union auf internationaler Ebene stark in Zweifel gezogen. Denn global betrachtet stand mit dem Aufbauinstrument NGEU als zentralem Element für eine gemeinsame europäische Antwort die Rolle und das Gewicht der Europäischen Union als einer der wichtigsten Wirtschaftsräume der Welt auf dem Spiel. Das führt uns in die USA.

The formalization of Brexit, rising euro-scepticism and damage from subsequent waves of COVID-19 may weaken support among EU members for a coordinated green recovery and threaten the European Union’s consolidation as a balancing third power.

The Global Risks Report 2021, 16th Edition, published by the World Economic Forum

Die USA sind zurück. Unmittelbar nach der Vereidigung erklärte US-Präsident Biden, zum Pariser Klimaabkommen zurückzukehren. Gesagt getan.

America is back. We rejoined the Paris Agreement and are ready to rally the world to tackle the climate crisis. Let’s do this.

Joe Biden

Und wenn John Kerry zum US-Beauftragten für Klimaschutz (Special Presidential Envoy for Climate) mit dem Rang gleich eines Ministeramts und Sitz im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Haus wird, sind die Zeichen unter Biden klar gesetzt, welche Bedeutung dem Kampf gegen den Klimawandel für die nationale Sicherheit beigemessen wird. 

Am 23.04.2021 hatte das Weiße Haus den eigens einberufenen Virtual Leaders Summit on Climate mit 40 Staats- und Regierungschefs der Welt genutzt, um stolz zu verkünden, dass die USA wieder eine führende Rolle in der Mission Innovation unter dem Pakt zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt einnehmen werden.

Am ersten Tag des Gipfels kündigte Präsident Biden an, dass die Vereinigten Staaten das Ziel haben, die Emissionen bis 2030 um 50-52 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 zu reduzieren. Er unterstrich Amerikas Engagement, eine saubere Energierevolution anzuführen und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen – und merkte an, dass die Länder, die jetzt entschiedene Maßnahmen ergreifen, die wirtschaftlichen Vorteile der Zukunft ernten werden. Prompt folgten u.a. Kanada, China, Japan und Großbritannien mit Zielanhebungen und auch die EU hat sich geeinigt, dass die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden muss, bis 2030 sind mindestens 55 Prozent weniger Emissionen als 1990 angepeilt.

The signs are unmistakable. The science is undeniable. The costs of inaction keep mounting. The United States isn’t waiting – we are resolved to take action to combat climate change.

Joe Biden

Die USA setzen mit gewaltigen Investitionsprogrammen auf einen globalen „Wettlauf an die Spitze“ der staatlichen Bemühungen zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens. Damit einher geht aber selbstredend auch ein Wettlauf der jeweiligen Unternehmen, nicht zuletzt aus den USA und der EU.

Leveraging American investment and innovation toward the technologies of tomorrow will create jobs, drive growth, and strengthen U.S. competitiveness. Near-term climate actions can contribute significantly to our economic recovery. Recognizing these risks and opportunities, seeing the broad public support for clean energy and climate protection, and hearing the concerns of our investors, customers, communities, and employees, our companies view climate action as a business imperative. 

Statement of 47 leading U.S. companies following the 2020 US election organized by the Center for Climate and Energy Solutions

We firmly believe that the EU Green Deal and Next Generation EU will put Europe’s innovation and business ingenuity to the service of the global climate cause, will kick-start a wave of investments into sustainability and resilience and will create future-proof jobs across the EU.

CEO Alliance for Europe’s Recovery, Reform and Resilience, Position Paper, March 19, 2021

Was macht nun Deutschland, um im „Wettlauf an die Spitze“ mithalten zu können?

  • Im 8. Monitoringbericht zur Energiewende des BMWi, S. 7, konnte man von der Energiewende als eine Modernisierungsstrategie lesen, die umfangreiche Investitionen am Wirtschaftsstandort Deutschland auslöst – vor allem bei energetischen Gebäudesanierungen, in der Stromversorgung und bei der Umstellung auf E-Mobilität. Die Energiewende gebe damit Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und helfe, Innovations- und neue Marktpotenziale zu erschließen.
  • In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021 (BT-Drucksache 19/27530, S. 10) bekennt sich die Bundesregierung zum multilateralen Handeln und zu multilateralen Ansätzen, um die Agenda 2030 in ihrer Universalität gemeinsam mit internationalen Partnern umzusetzen. Internationale Organisationen und der Multilateralismus als Herangehensweise sowie der enge Austausch mit Partnern einer gemeinsamen Werte- und Interessengemeinschaft spielten eine wichtige Rolle, um global Fortschritte für Nachhaltigkeit zu erreichen.

Der Bundestag hat kürzlich gleich zwei Anträge an den Umweltausschuss zur weiteren Beratung überwiesen, welche die neue Biden-Agenda zum Anlass für Entschließungen nehmen:

  • Transatlantische Klimaschutzkooperation als Startschuss für ein globales Emissionshandelssystem (FDP, Drucksache 19/28686):
    „Deutschland und Europa haben ein vitales Interesse die transatlantische Klimaschutzkooperation zu verstärken und zum Erfolg zu führen, allein um einen nochmaligen Rückfall in die amerikanische Blockadehaltung in der internationalen Klimapolitik zu verhindern.“
  • US-Präsident Joe Bidens Klimagipfel als Chance ergreifen – Klimapartnerschaften als Kern einer strategischen Klimaaußenpolitik (GRÜNE, Drucksache 19/28785):
    „Die Neuausrichtung der Klimapolitik der USA unter neuen Präsident Biden und der Wiedereintritt in das Pariser Abkommen müssen jetzt von der Bundesregierung und der EU genutzt werden, um eine transatlantische Klimapartnerschaft zu begründen und gemeinsam internationale Impulse zu setzen.“

The problem is that global cooperation is not a luxury; it is the necessary ingredient for recovery today and resiliency tomorrow. Our interconnected public-health landscapes, globalized economy and single planetary environment can only be at their strongest when stakeholders work with, not against, one another.

The Davos Agenda

Als Klimaschutzgebot hat Art. 20a GG eine internationale Dimension. Der nationalen Klimaschutzverpflichtung steht nicht entgegen, dass der globale Charakter von Klima und Erderwärmung eine Lösung der Probleme des Klimawandels durch einen Staat allein ausschließt. Das Klimaschutzgebot verlangt vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken. Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen.

BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18; siehe hierzu: Was ist Klimaschutz? Nachhaltigkeit & Recht nach der KSG-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Vor allem aber hat die Bundesregierung am 27.04.2021 den Deut­schen Auf­bau- und Re­si­li­enz­plan (DARP) beschlossen. Er hat mit dem eingangs dargestellten Aufbauinstrument „Next Generation EU“ in Höhe von 750 Mrd. Euro und dessen größtem Ausgabeninstrument – der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) mit einem Volumen von 672,5 Mrd. Euro – zu tun. Deutschland stehen aus der ARF Mittel in Höhe von ca. 25 Milliarden Euro zu. Um die Mittel der ARF zu erhalten, müssen die Mitgliedstaaten Pläne für umfangreiche Investitionen und Reformen vorlegen, die die wirtschaftliche Erholung befördern und die soziale Resilienz stärken. Der Schwerpunkt des DARP liegt auf der Bewältigung der beiden großen Herausforderungen unserer Zeit, des Klimawandels und der digitalen Transformation.

Schwerpunkte des DARP:

  1. Klimapolitik und Energiewende
  2. Digitalisierung der Wirtschaft und Infrastruktur
  3. Digitalisierung der Bildung
  4. Stärkung der Sozialen Teilhabe
  5. Stärkung eines pandemieresilienten Gesundheitssystems
  6. Moderne Verwaltung und Abbau von Investitionshemmnissen

Der mit einem Anteil von rd. 40 % am finanziellen Gesamtvolumen des DARP quantitativ bedeutendste Schwerpunkt ist der Bereich Klimapolitik und Energiewende. Dieser hat wiederum drei Komponenten:

  1. Dekarbonisierung
  2. Klimafreundliche Mobilität
  3. Klimafreundliches Bauen und Sanieren

Sie unterstützen das Ziel der EU, bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden und stehen im Einklang mit dem European GreenDeal (siehe auch: Kommt die Modernisierungs- und Renovierungswelle im Gebäudesektor? Neue Impulse zum nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand).

Deutscher Aufbau- und Resilienzplan, S. 10

Die Bundesregierung ist überzeugt, dass mit diesen Projekten als Teil des DARP ein wichtiger Beitrag zu einer grenzüberschreitenden Technologiezusammenarbeit in für die Zukunft der EU zentralen Handlungsfeldern geleistet wird. Denn die gemeinsamen Innovationskräfte zu bündeln und die Weichen für zukunftsfähige Arbeitsplätze zu stellen, ist eine wichtige Voraussetzung, nachhaltiges Wachstum und soziale Sicherheit in Europa zu stärken.

Deutscher Aufbau- und Resilienzplan, S. 4

Dekarbonisierung, insbesondere durch

  • strukturelle Reformen für und massive Investitionen in den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoff-Wirtschaft,
  • sog. Carbon Contracts for Differences, die als marktwirtschaftliches Instrument in der Übergangsphase die höheren Betriebskosten von innovativen Klimaschutztechnologien ausgleichen und so den neuen Technologien zur Marktreife verhelfen sollen.

Klimafreundliche Mobilität, insbesondere durch 

  • Brennstoffzelle und Elektromobilität,
  • zusätzliche Kaufanreize und
  • Ausbau der Ladesäulen-Infrastruktur.

Klimafreundliches Bauen und Sanieren, insbesondere durch

  • Förderung des Um- und Neubaus privater und öffentlicher Bauten auf einem Energieeffizienz-Niveau, das deutlich über den gesetzlichen Mindeststandards liegt (davon werden 2,5 Mrd. EUR für die Sanierung von Wohngebäuden über den DARP gefördert, damit gehört das Gebäudesanierungsprogramm zu den größten Einzelmaßnahmen im DARP),
  • Holz als Baumaterial.

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