Das Bundesministerium für Wirtschaft und Kliamschutz (BMWK) hat die „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ vorgelegt. Sie soll der Auftakt zur Erarbeitung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Klimaschutz-Sofortprogramms sein. Ziel des Klimaschutz-Sofortprogramms ist, alle Sektoren auf den Zielpfad zu bringen und die erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann.

  • Alle dafür notwendigen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen sollen bis Ende 2022 abgeschlossen werden.
  • Ein erstes Paket mit besonders eilbedürftigen Gesetzen und Vorhaben soll im Frühjahr 2022 im Bundeskabinett beschlossen werden.
  • Ziel ist es, bis zum Frühjahr 2022 auch die Ressortabstimmung zum Gesamtprogramm abzuschließen, sodass anschließend Länder, Verbände und der Expertenrat für Klimafragen beteiligt werden können.
  • Was bis zum Frühjahr 2022 nicht abgeschlossen werden kann, muss spätestens im Sommer 2022 vom Kabinett beschlossen werden.

Da ein großer Teil des Jahres 2022 durch die Ausarbeitung und gesetzliche Verankerung der Maßnahmen des Sofortprogramms geprägt sein soll, werden viele Neuregelungen erst ab 2023 vollumfänglich in Kraft sein. Auch aus anderen Gründen kann nach dem BMWK eine deutlich erkennbare Wirkung auf die Emissionstrends der jeweiligen Sektoren für 2023 realistischerweise noch nicht erwartet werden:

  • In einer Reihe von Schlüsselbereichen, wie etwa der Ausweisung zusätzlicher Flächen für die Windenergie oder der kommunalen Wärmeplanung, ist ein zeitlicher Vorlauf für Planung und Umsetzung erforderlich.
  • In anderen Fällen, wie etwa dem Hochlauf der Elektromobilität, der seriellen Sanierung oder der Marktdurchdringung bei Wärmepumpen, ist ebenfalls ein gewisser Zeitraum für die deutliche Erhöhung der Marktanteile notwendig.
  • Schließlich wird der klimafreundliche Umbau des Anlagenparks in der Industrie Zeit beanspruchen.

Nach der BMWK-Eröffnungsbilanz Klimaschutz sind die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen in allen Sektoren unzureichend. Der Gebäudesektor verfehlt demnach 2021 zum zweiten Mal in Folge sein Sektorziel. Projektionen zeigen nach der Eröffnungsbilanz, dass ohne schnell wirkende, zusätzliche Klima-Maßnahmen die 2030-Ziele in allen Sektoren deutlich verfehlt werden.

„Given the complexities of technological, economic
and societal change at this scale, and the insufficient nature of current commitments, it is likely that any transition that achieves the net zero goal by 2050 will be disorderly.“

World Economic Forum, The Global Risks Report 2022, 17th Edition, p. 9

Die BMWK-Eröffnungsbilanz Klimaschutz fordert angesichts der Ziele des Bundes-Klimaschutz- gesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Tempo der Emissionsminderungen gegenüber dem Status quo in den kommenden Jahren insgesamt mehr als zu verdoppeln und dann bis 2030 nahezu zu verdreifachen.

„Wir können es uns angesichts der enormen Herausforderungen und der Dringlichkeit nicht länger leisten, Klimaschutz, Wirtschaftspolitik und Sozialverträglichkeit gegeneinander auszuspielen.“
BMWK, Eröffnungsbilanz Klimaschutz, Januar 2022

BMWK, Eröffnungsbilanz Klimaschutz, Januar 2022, S. 4

Im Gebäudesektor ist nach der BMWK-Eröffnungsbilanz Klimaschutz eine deutliche Steigerung der Minderungsrate auf etwa 44 Prozent angezeigt, um das Ziel für 2030 (maximal 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente) einhalten zu können. Es besteht nach dem BMWK dringender Handlungsbedarf, um Standards und Förderpolitik sinnvoll neu auszurichten, da im Gebäudebereich

  • in den letzten Jahren versäumt worden sei, die rechtlichen Standards für Sanierung und Neubau an den technischen Fortschritt anzupassen, und
  • insbesondere im Neubau hohe Fördersummen ausgegeben wurden, die nur geringe CO2-Minderungseffekte gehabt haben sollen.

Der Handlungsbedarf im Gebäudebereich ist erheblich, der Sektor ist vor große Herausforderungen gestellt. Der Endenergiebedarf in Wohngebäuden ist in den letzten Jahren sogar noch gestiegen anstatt zu fallen. Zudem steigt der Anteil von Erneuerbaren Energien und Wärmepumpen am Heizungsbestand nur sehr langsam. Wesentliche Gründe für die geringe Reduktion der Energieverbräuche sind die stagnierende Sanierungsrate in Verbindung mit einem zunehmenden spezifischen Wärmebedarf. Darüber hinaus spielen Rebound-Effekte nach Sanierung eine Rolle. Besondere Herausforderung ist hier, dass der Gebäudebestand – anders als etwa Automobile oder Kraftwerke – nicht ersetzt werden kann, sondern trotz bestehender Restriktionen energetisch ertüchtigt werden muss.
BMWK, Eröffnungsbilanz Klimaschutz, Januar 2022

BMWK, Eröffnungsbilanz Klimaschutz, Januar 2022, S. 7

Für den Gebäudesektor definiert die BMWK-Eröffnungsbilanz Klimaschutz im Sinne des Koalitionsvertrages eine ganze Reihe an Zielen und Maßnahmen:

  • Bis 2030 sollen 50 Prozent der Wärme klimaneutral erzeugt werden.
  • Mittel sind u.a.
    • eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung,
    • die Dekarbonisierung und der Ausbau der Wärmenetze,
    • die energetische Sanierung zur Senkung des Energieverbrauchs und
    • der Ausbau von dezentralen erneuerbaren Heizungen.
  • Das Ziel der EU-Renovierungswelle, die Sanierungsrate in der EU bis 2030 zu verdoppeln, soll erreicht werden.
  • Öffentliche Gebäude sollen in Sanierungsgeschwindigkeit und -tiefe eine Vorbildfunktion einnehmen.
  • Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wird novelliert, um den Neubau sowie die Sanierungen von bestehenden Gebäuden auf das Ziel der Klimaneutralität 2045 sowie einen deutlich reduzierten Energiebedarf auszurichten.
  • Ab 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent Erneuerbarer Energien betrieben werden.
  • Ab 1. Januar 2025 sollen alle Neubauten den Effizienzhaus (EH)-40-Standard einhalten.
  • Bereits ab 1. Januar 2024 sollen die auszutauschenden Teile bei wesentlichen Ausbauten, Umbauten und Erweiterungen von Bestandsgebäuden einem EH-70-Standard entsprechen.
  • Die vorstehenden Vorgaben sollen im Rahmen des Klimaschutz-Sofortprogramms noch 2022 umgesetzt werden. Im Zuge einer großen Novelle soll das Gebäude-Energie-Gesetz dann im Lauf der Legislaturperiode grundlegend überarbeitet und die Vorgaben der europäischen Gebäuderichtlinie, der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Energieeffizienzrichtlinie mit Blick auf das Ziel des klimaneutralen Gebäudebestands 2045 umgesetzt werden.
  • Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) soll die neuen Vorgaben des GEG flankieren und den Markt durch Anreize an diese Schritte heranführen.
    • Heizungstausch und energetische Ertüchtigung der Hülle sollen idealerweise gemeinsam durchdacht werden, um klimaneutrale Gebäude zu erreichen.
    • Es sollen bessere Anreize für Sanierungen, optimierte Verknüpfung mit dem Sanierungsfahrplan, Umsetzungsqualität (Einsparwirkungen), die Stärkung von Quartiersansätzen, die Berücksichtigung von Sektorkopplung, Nachhaltigkeitsaspekten sowie der zur Herstellung und Verwendung von Baumaterialien benötigten Energie (graue Energie) etc. gesetzt werden.
    • Der Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten sollen verstärkt betrachtet werden können. Dazu wird u. a. ein digitaler Gebäuderessourcenpass eingeführt.
    • Die Gebäudeförderung wird mit der kommunalen Wärmeplanung verknüpft.
  • Künftig soll neben der haushaltsfinanzierten Unterstützung von energetischen Gebäudesanierungen zusätzlich deutlich mehr privates Kapital in diesen Bereich gelenkt werden, z. B. durch die Bündelung energetischer Sanierungen und klimaneutraler Energieversorgung – im Quartier, bei Einzelgebäuden und über Grundstücksgrenzen hinweg – durch Eigentümer, Wohnungsgesellschaften selbst oder durch Dritte (Contractinganbieter, Quartierssanierungen oder Ähnliches).
  • Um in der kommenden Legislatur deutlich mehr Sanierungen im Bestand zu erreichen, setzt das BMWK auch auf die Etablierung neuer Geschäftsmodelle im Gebäudesektor. Die serielle Sanierung wird als ein solches zentrales neues Geschäftsmodell verstanden, das energetische Sanierungen schneller, billiger und hochwertiger machen könne.

Eine erste Auswahl an geplanten Projekten hat das BMWK in Form von zeitnah vorzulegenden Sofortmaßnahmen in der Eröffnungsbilanz schon selbst benannt:

Gebäudestandards und -förderung:
Überarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes mit der Neuausrichtung von Neubauten und Gebäudesanierungen auf das Ziel der Klimaneutralität 2045 sowie einen deutlich reduzierten Energiebedarf. Ab 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von mindestens 65 Prozent Erneuerbarer Energien betrieben werden.
Die Bundesförderung für effiziente Gebäude soll parallel angepasst werden und die neuen Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes flankieren. Bis 2025 soll der Markt durch effiziente Anreize an diese Schritte herangeführt werden.

EEG-Novelle:
Es wird der Grundsatz verankert, dass der EE-Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse ist und der öffentlichen Sicherheit dient. Die Ausschreibungsmengen werden erhöht. Im EEG sollen die Weichen für 80 Prozent erneuerbare Stromerzeugung bis 2030 gestellt werden.

Solarenergie:
Mit einem „Solarbeschleunigungspaket“ soll ein breites Bündel an Einzelmaßnahmen „entfesselt“ werden, um die Solarenergie deutlich voranzubringen, etwa:
– Verbesserung beim Mieterstrom,
– Anhebung der Ausschreibungsschwellen,
– Öffnung der Flächenkulisse für Freiflächenanlagen unter Beachtung von Naturschutzkriterien und
– Nutzbarmachung aller geeigneten Dachflächen für die Solarenergie: Bei gewerblichen Neubauten wird Solarenergie verpflichtend, bei privaten Neubauten die Regel.

Windenergie:
Durch eine bessere Vereinbarkeit des Windausbaus mit militärischen Interessen werden kurzfristig Flächenpotentiale erschloßen und mit dem Wind-an-Land-Gesetz sollen zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie reserviert, der Windenergieausbau mit dem Artenschutz versöhnt und die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren geschaffen werden.

Senkung des Strompreises:
Vor allem im Vergleich zu fossilen Energieträgern soll Strom günstiger werden. So sollen Wärmepumpen und E-Mobilität attraktiver werden und die Sektorkopplung vorangebracht werden. Deshalb wird ab 2023 die EEG-Umlage über den Bundeshaushalt finanziert. Mit der Abschaffung der EEG-Umlage werden die an die Besondere Ausgleichsregelung gekoppelten Umlagen (KWKG-, Offshore-Netzumlage) in ein eigenes Gesetz überführt, um der Industrie bei den übrigen Umlagen eine verlässliche und planbare Rechtsgrundlage zu schaffen.

Klimaschutzverträge mit der Industrie:
Die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Bereitstellung von Klimaschutzdifferenzverträgen (Carbon Contracts for Difference) als zentrales Instrument zur Unterstützung der Transformation in der Industrie werden geschaffen.

Wärmestrategie:
Bis 2030 soll 50 Prozent der Wärme klimaneutral erzeugt werden. Die Energieeffizienz wird als zweite Säule angesehen. Für das optimale Zusammenspiel beider Instrumente soll eine neue Gebäudestrategie Klimaneutralität erarbeitet werden (inkl. Klimaschutz im Gebäude, flächendeckende kommunale Wärmeplanung, Dekarbonisierung und den Ausbau der Wärmenetze). Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) soll unmittelbar nach der beihilferechtlichen Genehmigung in Kraft gesetzt und ihre Finanzierung aufgestockt werden.

Wasserstoffstrategie:
Um die Produktion an grünem Wasserstoff gegenüber den bisherigen Plänen zu verdoppeln, sollen die Maßnahmen zum Markthochlauf der Wasserstofftechnologie angepasst werden (die Nationale Wasserstoffstrategie wird überarbeitet, zusätzliche Förderprogramme werden auf den Weg gebracht).

Gute Klimapolitik modernisiert das Land und sichert den Industriestandort Deutschland. Die wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt haben sich der Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts verschrieben, jetzt beginnt der globale Wettlauf um die besten Technologien. Um unseren Wohlstand zu sichern, muss Deutschland vorn dabei sein und wieder zum Zugpferd werden.

BMWK, Eröffnungsbilanz Klimaschutz, Januar 2022

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