Das OLG Hamburg hat in einer aktuellen Entscheidung ebenso zutreffend wie treffend betont, dass es auch im Vergaberecht kein Verbot gibt, dem Auftragnehmer im Vertrag Wagnisse, auch erhebliche Wagnisse, aufzuerlegen. Insbesondere ist es nicht unzulässig, dem Auftragnehmer auch solche Risiken aufzubürden, die nach dem gesetzlichen Leitbild grundsätzlich den Auftraggeber treffen.

HINWEISE:
Nach dem BGH gibt es auch keinen allgemeinen Grundsatz, dass der Auftraggeber sich stets vergaberechtskonform verhält. Maßgeblich für das Zustandekommen des auf der Grundlage einer öffentlichen Ausschreibung zu schließenden Vertrags sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Und nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie ist es den Vertragsparteien im Allgemeinen freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen.

Dass die Parteien bei der Frage, welche Leistungen und Gegenleistungen vereinbart wurden, verschiedener Auffassung sein können und es daher nötig werden kann, die Angemessenheit einer Lösung streitig zu klären, stellt nach der ebenso treffenden Feststellung des OLG Hamburg kein unzumutbares Risiko dar, sondern ist jedem Austauschvertrag immanent.

Für einen solchen Streitfall hat nun der BGH nochmals klargestellt, worauf es ankommt und dass Auftragnehmer auch bei vertraglichen Risikoübernahmen vertrags- und prozessrechtlich nicht schutzlos sind:

  1. Für die Abgrenzung, welche Arbeiten von der vertraglich vereinbarten Leistung erfasst sind und welche Leistungen zusätzlich zu vergüten sind, kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung an.
  2. Welche Leistungen durch die Leistungsbeschreibung erfasst sind, ist durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB.
  3. Dabei sind das gesamte Vertragswerk und dessen Begleitumstände zugrunde zu legen.
  4. Dazu gehören auch im Rahmen einer Ausschreibung vorgelegte Planungen.

Die Gerichte sind vor allem verpflichtet, auch Vortrag und Beweisangebote zu Punkt 4 zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß der Gerichte gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt etwa dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben. Geht es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage, darf das Gericht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn es entsprechende
eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag.

Das Berufungsgericht hätte vielmehr auch die im Rahmen der Ausschreibung vorgelegten Unterlagen
bei der Auslegung des Vertrags berücksichtigen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es – wie erforderlich – ihren Vortrag zu diesen Unterlagen, namentlich zu der Phasenübersichtstabelle und den bauzeichnerischen Darstellungen, berücksichtigt und den angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben hätte.

BGH – VII ZR 59/20 (OLG München)

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