The Court notes that it is the duty of the State to ensure that proceedings are conducted within a reasonable time.

Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu einem Asbest-Fall entschieden. Hat das was mit Deutschland zu tun, wo das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach März 2022 nun seit März 2023 schon den zweiten Referentenentwurf für die Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen vorliegen hat, ohne dass er den Weg ins Bundeskabinett gefunden hätte?

Nein, hat es nicht. Es ging nicht um ein Gesetzgebungsverfahren, sondern um ein Gerichtsverfahren. Und es ging nicht um Deutschland. Das Gericht in Strasbourg hat am 13.02.2024 den Fall JANN-ZWICKER AND JANN v. SWITZERLAND (4976/20) entschieden, gegen die Schweiz und zugunsten des Klägers. Der war durch Asbest an Krebs erkrankt – und daran mit 53 Jahren verstorben.

Und doch zeigt der entschiedene Fall, wie hinterhältig und tödlich eine Abestexpodition wirken kann, auch noch nach vielen Jahren. Die Reform der Gefahrstoffverordnung verfolgte auch deshalb auf Grundlage des abgeschlossenen nationalen Asbestdialogs und der EU-Krebsrichtlinie sowie der EU-Asbestrichtlinie das Ziel einer verbesserten Prävention von berufsbedingten Krebserkrankungen infolge Asbestexpodition, insbesondere im Bauwesen. Besondere Berücksichtigung sollten Tätigkeiten mit Asbest finden, die beim Bauen im Bestand älterer Gebäude auch heute noch auftreten können. Erfolgen sollte eine Anpassung an neuere Erkenntnisse und auf ein neues Risikokonzept für krebserzeugende Gefahrstoffe.

Das Rechtsetzungsvorhaben wird von den betroffenen Kreisen als erforderlich angesehen, um Rechtssicherheit zu schaffen und um den Schutz der Beschäftigten entsprechend dem Stand der Technik sicher zu stellen. Dies gilt insbesondere für die Prävention berufsbedingter Krebserkrankungen. Dem trägt die Umsetzung des Risikokonzeptes Rechnung. Dieses Konzept zielt darauf ab, berufsbedingte Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit zu erkennen und möglichst zu vermeiden, zumindest aber zu minimieren.

Referentenentwurf für die Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen – Nachhaltigkeitsaspekte

Nach der Verordnungsbegründung ist die Anpassung der Gefahrstoffverordnung an die aktuellen Erkenntnisse und den Stand der Technik umso dringender vor dem Hintergrund der aktuellen Wohnraumfrage und der angestrebten Sanierungswelle im Wohnungsbestand:

Durch den derzeitigen hohen Bedarf im Wohnungsbau, beispielsweise aufgrund energetischer Sanierungen oder der barrierefreien Gestaltung von Wohnungen, werden diese Probleme deutlich verstärkt, was zusätzlich zu Vollzugsproblemen führt. Mit den angepassten Regelungen, zu denen auch klare Aussagen zu den Ausnahmen vom generellen Tätigkeitsverbot gehören, wird dem Rechnung getragen und gleichzeitig dem Anliegen der Länder entsprochen, die Vorschriften eindeutiger und somit besser vollziehbar zu gestalten.

Referentenentwurf für die Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen

Ausgerechnet aus den angesprochenen Ländern kam nun aber Widerstand. Auf der 142. Bauministerkonferenz am 23./24. November 2023 wurde beschlossen, die Bundesregierung zu bitten

  • von dem Erlass der vorgeschlagenen Neufassung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen Abstand zu nehmen und
  • auf die Europäische Kommission einzuwirken, um dafür Sorge zu tragen, dass deren Vorhaben, ein nationales digitales Asbestregister für den Gebäudebestand einzuführen, nicht umgesetzt wird.

Ist damit Deutschland doch bald ein Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? Oder für das Bundesverfassungsgericht?

Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit sind als solche bereits Rechtsgüter von überragender Bedeutung, zu deren Schutz der Gesetzgeber nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist.

BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21, 1 BvR 889/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 798/21 – Rn. 231; ebenso BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21 – Rn. 158

Der Reformentwurf selbst hatte schon im Rahmen einer Gesetzesfolgenabschätzung die Beibehaltung des Status quo geprüft. Diese Alternative habe zur Folge, dass die erforderliche Anpassung an den Stand der Technik nicht möglich sei. Gleiches gelte für das allgemeine Ziel, die Prävention bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen – unter besonderer Berücksichtigung von Asbest – zu stärken und grundsätzlich die Arbeitsschutzregelungen mit den Regelungen zum Inverkehrbringen aufeinander abzustimmen.

Ganz so einfach ist aber nicht. Die Bauministerkonferenz spricht ein Spannungsfeld zwischen der Gebäudesanierung im Zuge der Energie- und Klimapolitik und dem möglichen Freisetzen von Asbestfasern an. Was die Bauministerkonferenz ablehnt ist die im Verordnungsentwurf enthaltene Regelvermutung, dass Gebäude, die vor dem 31.10.1993 errichtet worden sind, insbesondere mit Asbest belastet sind. Hierbei geht es um den neu vorgeschlagenen § 5a GefStoffV – Besondere Mitwirkungs- und Informationspflichten für Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen:

  1. Derjenige, der Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen veranlasst, hat vor Aufnahme der Tätigkeiten zu erkunden, ob entsprechend der Bau- oder Nutzungsgeschichte des Objekts Gefahrstoffe, insbesondere Asbest, vorhanden oder zu vermuten sind, die durch die Tätigkeiten freigesetzt werden können und zu einer besonderen Gesundheitsgefährdung führen können.
  2. Das Vorhandensein von Asbest wird in der Regel dann vermutet, wenn mit dem Bau des Objekts vor dem 31. Oktober 1993 begonnen wurde. Das Vorhandensein von Stoffen, Zubereitungen oder Erzeugnissen, die in Abschnitt 2 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung vom 14. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1720) enthalten waren und soweit relevant in Anhang I Nummer 3.8 aufgeführt sind, wird in der Regel dann vermutet, wenn der Baubeginn des Objekts vor dem Ende der dort genannten Übergangsfristen liegt. Die Vermutung nach Satz 1 kann durch eine historische oder technische Erkundung widerlegt werden.
  3. Der Veranlasser hat sämtliche Erkundungsergebnisse zu dokumentieren und vor Aufnahme der Tätigkeiten an das mit den Tätigkeiten beauftragte Unternehmen weiterzugeben.
  4. Informations-, Schutz- oder Überwachungspflichten, die sich für denjenigen, der die Arbeiten nach Absatz 1 veranlasst, nach anderen Rechtsvorschriften ergeben und die über die Absätze 1 bis 3 hinausgehen, bleiben unberührt.
  5. Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für private Haushalte.

Auf Ablehnung triftt also der Absatz 2, vorstehend im Fettdruck. Er kommt als gesetzlicher Generalverdacht daher, der einen großen Immobilienbestand in Deutschland betrifft. Und damit sprengt er nach den Kritikern womöglich das Gesamtkonzept.

Dabei ist der Ansatz des Reform plausibel:

  • Der Bauherr hat seine Bauunternehmer und Handwerker bzw. deren Beschäftigte dadurch zu schützen, dass er vor Aufnahme der Arbeiten die Gefährlichkeit seiner Immobilie prüft oder prüfen lässt, die sich im Zuge der auszuführenden Leistungen für die Auftragnehmer ergeben kann. Das ist zu dokumentieren und an den Auftragnehmer zu überlassen. Die Anforderungen, die an eine weitergehende technische Erkundung zu stellen sind, sollen im technischen Regelwerk konkretisiert werden.
  • Wenn man so will, wird hier im gesundheits- und arbeitsschutzrechtlichen Bereich eine Mitwirkungsverantwortung des Bauherrn begründet, die wir im privaten Baurecht von § 642 BGB kennen: Unabhängig davon, ob in der Person des Auftraggebers eine Pflichtverletzung oder ein Verschulden vorliegt, trifft ihn eine Verantwortung dafür, das Leistungsobjekt dem Auftragnehmer aufnahmebereit für dessen Leistungen zur Verfügung zu stellen. Aufnahmebereit für die Leistungen des Auftragnehmers hieße im Rahmen des § 5a GefStoffV frei von Gefahrstoffen, insbesondere Asbest, oder eben mit solchen Erkundungsergebnisse, die geeignet sind, die Grundlage zu bilden für die Gefährdungsbeurteilung des Auftragnehmers als Arbeitgeber für seine Beschäftigten und die Voraussetzung zu bilden für die Festlegung effektiver Schutzmaßnahmen.

Ebenso plausibel ist es, wenn die Entwurfsverfasser davon ausgehen, dass im Rahmen von Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten bei Gebäuden, die bis Ende 1993 errichtet wurden, mit Asbest gerechnet werden muss, da bis dahin in der Regel Asbest in vielfältiger Form verwendet wurde. Erst mit der Chemikalien-Verbotsverordnung vom 14. Oktober 1993 wurde ein generelles Verbot für das Inverkehrbringen und die Verwendung von Asbest erlassen (Verbot ab dem 31. Oktober 1993 mit Übergangsfristen für bestimmte Produkte).

Aber ist dafür die Regelvermutung in Absatz 2 erforderlich? Der Verordnungsentwurf beschwichtigt: Die Erkundigungspflicht beziehe sich nicht auf das Gesamtobjekt, sondern beschränke sich auf die Teile beziehungsweise Bereiche, an denen Tätigkeiten ausgeführt werden sollen, es gehe nur um eine anlassbezogene Erkundung. Aus baurechtlicher Sicht stimmt das: Nur bei einem baubedingten Anlass greift die Norm. Wer baulich nichts ändert, ist zunächst nicht im Anwendungsbereich des § 5a GefStoffV.

Nur kann eine solche gesetzliche Regelvermutung über den Bauzusammenhang hinauswirken. Die Formulierung ist dafür geeignet: „Das Vorhandensein von Asbest wird in der Regel dann vermutet, wenn mit dem Bau des Objekts vor dem 31. Oktober 1993 begonnen wurde.“

Nehmen wir den Mietbereich, der vom Entwurfsverfasser nicht in den Blick genommen wurde, obwohl Mietende im Rahmen von Bestandssanierungen eine große Rolle spielen. Wenn die Bauministerkonferenz von einem Spannungsfeld zwischen der Gebäudesanierung im Zuge der Energie- und Klimapolitik und dem möglichen Freisetzen von Asbestfasern spricht, dann meint das auch, dass die Gebäudesanierung im vermieteten Bestand ein Akzeptanzproblem bei den Mietern bekommen kann, wenn die Gefahrstoffverordnung für einen großen Teil des Wohnbestandes (widerleglich) annimmt, dass Asbest vorliegt. Und wie wirkt sich die gesetzliche Vermutungswirkung im Mietrecht sonst aus? Überträgt man den Anlassgedanken des Verordnungsentwurfs, muss erkannt werden, dass im Mietvertragsverhältnis der Mietende durch seine laufende Nutzung einer unter Vermutung stehenden Einheit dauernd einen Anlass setzt bzw. durch seinen Umgang mit der Mietsache einen Anlass setzen kann.

Auch wenn die neue Gefahrstoffverordnung mit ihrer Anpassung an neuere Erkenntnisse und auf ein neues Risikokonzept nicht kommen sollte, bleibt doch das schon geltende Recht zu beachten. Auch das geltende Zivilrecht ist dabei nicht zu unterschätzen:

Baurecht:

  • Den Besteller einer Werkleistung trifft die vertragliche Pflicht, alles ihm Zumutbare zu tun, um seinen Vertragspartner bei der Ausführung der Arbeiten vor Schaden zu bewahren. Stellt der Besteller das Grundstück oder Arbeitsgerät für die Werkleistung zur Verfügung, erstreckt sich seine vertragliche Pflicht darauf, im Rahmen des Zumutbaren hiervon ausgehende Gefahren für den Vertragspartner zu vermeiden.
  • Bei schuldhafter Verletzung der vertraglichen Schutzpflicht haftet der Besteller seinem Vertragspartner auf Schadensersatz.
  • Das Gleiche gilt, wenn infolge der Schutzpflichtverletzung Arbeitnehmer des Vertragspartners bei Ausführung der Arbeiten geschädigt werden. Denn es gehört bei Werkverträgen regelmäßig zum Vertragsinhalt, dass sich die vertraglichen Schutzpflichten des Bestellers auch auf die Arbeitnehmer des Vertragspartners erstrecken sollen. Der Vertrag entfaltet mithin Schutzwirkung auch zugunsten dieses abgrenzbaren und bestimmbaren Personenkreises.

Mietrecht:

  • Vermietende müssen bei der Wohnraumvermietung einen gewissen Gesundheitsstandard gewährleisten. Die Eignung der Mietsache zur gefahrlosne Nutzung wird von den Vertragsparteien in der Regel vorausgesetzt, und zwar über die gesamte Vertragslaufzeit hinweg unabhängig von dem Erkenntnisstand bei Errichtung oder Vertragsschluss (siehe auch das Sonderkündigungsrecht der Mietenden im Fall einer erheblichen Gesundheitsgefahr in § 569 Abs. 1 BGB). Insoweit geht es weniger um die Fortentwicklung des Wohn-, Qualitäts- und Komfortstandards, als um veränderte Risikobeurteilungen.
  • Vermietende sind zudem aufgrund vertraglicher Nebenpflicht verpflichtet, Mietende auf zwischenzeitlich entstandene oder bekannt gewordene Gesundheitsgefahren (inkl. Asbest) hinzuweisen.

Zumindest auf zivilrechtlicher Ebene sind neue Risikokonzepte und neue Erkenntnisse und ist eine Anpassung auf den aktuellen Stand der Technik mithin zum Zweck der Haftungsvermeidung auch ohne eine Reform der Gefahrstoffverordnung schon heute zu beachten.


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