Dass das BMWi und das BMUB unterschiedliche Vorstellungen von Umwelt- und Energiepolitik haben, ist spätestens seit den Diskussionen um den Klimaschutzplan 2050 bekannt. Diese gehen jetzt in die nächste Runde. So hatte das BMWi im August 2016 das Grünbuch Energieeffizienz vorgelegt. Hieran hatte sich ein Konsultationsprozess angeschlossen und Ende 2016 will das BMWi nun einen Bericht zum Dialogprozess vorlegen, auf dessen Basis Schlussfolgerungen und Handelsempfehlungen für eine mittel- und langfristige Effizienz-Strategie erarbeitet und in einem „Weißbuch Energieeffizienz“ des BMWi gebündelt werden sollen. Auch das BMUB hat mit seiner Stellungnahme vom 31. Oktober 2016 zum Grünbuch Energieeffizienz des BMWi Stellung genommen.
Bei dem Dreiklang aus Energieeffizienz, direkt genutzten erneuerbaren Energien und Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien ist die gesamt- und betriebswirtschaftliche Kosteneffizienz zu berücksichtigen. BMWi, Grünbuch Energieeffizienz S. 4
Dieser Beitrag soll ein Überblick geben über die Thesen und Gegenthesen der beiden Bundesministerien.
Die Thesen des BMWi
Zentrale Herausforderungen im Bereich Energieeffizienz:
Efficiency First
Wie kann das Grundprinzip des Vorrangs der Vermeidung und Verringerung des Energieverbrauchs konkret in Planungs- und Steuerungsprozessen der Energiepolitik und des Energiemarktes angewandt werden?
These 1: Efficiency First führt zu einer Kostenoptimierung der Energiewende und verstärkt den Dekarbonisierungseffekt der erneuerbaren Energien.
These 2: Das Leitprinzip Efficiency First wird zum strategischen Planungsinstrument für unser Energiesystem.
These 3: Die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsrahmens für Energieeffizienz erleichtert eine gesetzliche Verankerung des Prinzips Efficiency First.
Weiterentwicklung des Instrumentariums der Energieeffizienzpolitik
Wie kann das heutige Instrumentarium weiterentwickelt werden, um das Ziel einer Halbierung des Primärenergieverbrauchs bis 2050 zu erreichen? Wie kann grundlegenden Herausforderungen (z. B. Rebound-Effekten) und aktuellen Entwicklungen (z. B. sinkenden Energiepreisen) begegnet werden?
These 4: Das bisherige Instrumentarium der Energieeffizienzpolitik hat Steigerungen der Energieeffizienz ermöglicht, muss jedoch zur Erreichung der langfristigen Zielsetzungen weiterentwickelt und ergänzt werden.
These 5: Marktlösungen und neue Dienstleistungen werden die Steigerung der Energieeffizienz beschleunigen und einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende leisten.
Energieeffizienzpolitik auf europäischer Ebene
Wie entwickelt sich der europäische Rahmen für die Effizienzpolitik und wie kann eine effektive Aufgabenteilung zwischen europäischer und nationaler Ebene erreicht werden?
These 6: Eine effektive Energieeinsparpolitik auf europäischer Ebene funktioniert am besten mit klaren Zielvorgaben.
These 7: Die verstärkte Nutzung von EU-Gemeinschaftsinstrumenten unterstützt und verstärkt die nationalen Energieeffizienz-Instrumente.
Sektorkopplung
Wenn wachsende Anteile von erneuerbaren Energien im Stromsektor für die weitgehende Dekarbonisierung in anderen Sektoren genutzt werden: Welche Anforderungen sind für einen energieeffizienten Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien in Abwägung mit anderen Dekarbonisierungsoptionen zu formulieren?
These 8: Die Dekarbonisierung der Sektoren Privathaushalte, GHD, Industrie und Verkehr erfordert den Einsatz von Strom aus CO2-freien, erneuerbaren Quellen.
These 9: Bei der Sektorkopplung werden vorrangig solche Technologien verwendet, die Strom effizient in Wärme, Kälte oder Antrieb umwandeln und somit mit wenig erneuerbarem Strom möglichst viele Brennstoffe ersetzen
These 10: Sektorkopplung bietet günstige nachfrageseitige Flexibilität zum Ausgleich des fluktuierenden Stromangebots aus erneuerbaren Energien.
These 11: Jeder Sektor leistet einen angemessenen Beitrag zu den Kosten der Dekarbonisierung.
Digitalisierung
Welche Herausforderungen und Chancen bietet der Einsatz digitaler Technologien für die Steuerung von Energieverbrauch und -erzeugung? Wie werden „digitale Geschäftsmodelle“ den Energiemarkt verändern und was bedeutet dies für die Energieeffizienzpolitik?
These 12: Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für Mehrwertdienste und Effizienzdienstleistungen.
These 13: Digitalisierung und der Einsatz von erneuerbaren Energien verändern die Kostenstruktur der Energieerzeugung – eine langfristig angelegte Effizienzstrategie muss dies berücksichtigen.
These 14: Die Digitalisierung trägt zum Ausgleich von Energienachfrage mit einer dezentralen und volatilen Energieerzeugung bei.
Die von der Bundesregierung im November 2015 verabschiedete Energieeffizienzstrategie Gebäude (ESG) zeigt auf, wie die beiden Optionen Energieeinsparung und Einsatz erneuerbarer Energien systematisch analysiert und in einen integrierten Handlungsansatz eingebunden werden können. Dazu wurden zwei Zielszenarien erarbeitet, die das Ziel des nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050 abbilden und damit einen Korridor aufspannen, innerhalb dessen die angestrebte Reduktion des Primärenergiebedarfs erreicht werden kann: (1.) Zielszenario „Energieeffizienz“: Dieses Szenario setzt auf eine maximale Steigerung der Energieeffizienz bis 2050 durch Energieeinsparung bis zur aus heutiger Sicht maximal erreichbaren Grenze von -54 Prozent gegenüber 2008. Dadurch ergibt sich ein geringerer Bedarf an erneuerbaren Energien. (2.) Zielszenario „Erneuerbare Energien“: Dieses Szenario setzt stärker auf den Ausbau erneuerbarer Energien und eine etwas geringere Effizienzsteigerung. Grünbuch Energieeffizienz, S. 17
Die Thesen des BMUB
Das BMUB unterstützt insbesondere die folgende Ansätze im Grünbuch:
- „Efficiency First“ als Grundprinzip in den Planungs- und Steuerungsprozessen der Energiepolitik und des Energiemarktes,
- die Entwicklung neuer Instrumente, um die Lücke zwischen den derzeitigen Einsparungen und der Zielerreichung zu schließen und dabei sowohl Rebound-Effekte als auch Preisschwankungen zu adressieren,
- eine effektive Energieeinsparpolitik auf europäischer Ebene mit klaren Zielvorgaben sowie verstärkter Nutzung von EU-Gemeinschaftsinstrumenten,
- große Chancen, Herausforderungen aber auch weiterer Forschungsbedarf in den Bereichen Sektorkopplung und Digitalisierung.
Aus Sicht des BMUB ist es jedoch erforderlich, diese Ansätze zu erweitern und zu konkretisieren. Energieeffizienzstrategien müssen als kohärenter Teil sowohl der Klima- und Umweltpolitik als auch einer nachhaltigen Entwicklung gestaltet werden.
Das BMUB befürwortet die folgenden Thesen und Handlungsansätze:
These 1: Eine deutliche Reduktion des Energieverbrauchs ist eine zentrale Voraussetzung, um das Ziel der Treibhausgasneutralität bis Mitte des Jahrhunderts zu erreichen – darum brauchen wir noch vor 2020 eine ambitionierte Energieeffizienzstrategie der Bundesregierung.
These 2: Die Energieeffizienzpolitik muss stärker mit anderen Politikbereichen wie der Umwelt- und Klimapolitik sowie einer sozialverträglichen Wohnungspolitik verzahnt, Synergiepotenziale müssen genutzt und Zielkonflikte gelöst werden – darum setzt sich BMUB beispielsweise für eine stärkere Verknüpfung von Energie- und Materialeffizienz und damit zugleich auch für die Schonung unserer natürlichen Ressourcen ein.
These 3: Effizientere Energienutzung durch Innovation ist ein Treiber für die gesellschaftliche Modernisierung in Richtung Nachhaltigkeit und Treibhausgasneutralität – Energieeffizienzpolitik muss sich daher stärker an den Prinzipien des nachhaltigen Wirtschaftens orientieren.
Energieeffizienzstrategien müssen in den klima- und umweltpolitischen Kontext eingebettet werden und zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der 2015 beschlossenen VN-Nachhaltigkeitsagenda (Agenda 2030) sowie der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie beitragen. Darüber hinaus muss die Steigerung der Energieeffizienz als Teil einer gesellschaftlichen Modernisierungsstrategie verstanden werden, die auf technologische und soziale Innovation setzt, um die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft zu bewältigen. Mit dem „Integrierten Umweltprogramm 2030“ sowie dem Entwurf des Klimaschutzplans 2050 hat BMUB umweltpolitische Strategien vorgelegt, die einen solchen transformativen Ansatz verfolgt.
Ebenso wichtig ist es, Energieeffizienzmaßnahmen sozialverträglich auszugestalten. Dazu zählt für BMUB beispielsweise die Sicherstellung bezahlbaren Wohnraums.
These 4: Energieeffizienzmaßnahmen führen nicht „automatisch“ auch zur Einsparung von Treibhausgasemissionen – darum muss es heißen: „Energy and Greenhouse-Gas-Efficiency First“!
These 5: Die Klimaziele lassen sich nur erreichen, wenn mit der Steigerung der Energieeffizienz zugleich der absolute Energieverbrauch gesenkt wird und zu dessen Deckung erneuerbare Energien eingesetzt werden; Lock-In und Rebound-Effekte müssen vermieden werden – deshalb brauchen wir eine kluge Weiterentwicklung unseres Instrumentenmixes, der auch neue Ansätze und ökonomische Instrumente einbezieht.
These 6: Zum Erreichen der EU-Klimaziele ist auch eine starke EU-Energieeffizienzpolitik notwendig – dafür brauchen wir klare Zielvorgaben und eine verstärkte Nutzung von EU-Gemeinschaftsinstrumenten einschließlich der Weiterentwicklung von Artikel 7 der Europäischen Energieeffizienz-Richtlinie.
These 7: Durch Sektorkopplung, insbesondere beim Einsatz erneuerbaren Stroms, bestehen zusätzliche Effizienz- und Klimaschutzpotenziale u.a. durch Flexibilisierung, Lastmanagement und moderne Speichertechnologien – deshalb müssen wir frühzeitig den notwendigen Rahmen für deren Anwendung schaffen.
These 8: In der Digitalisierung stecken große Chancen für die Energieeffizienz – insbesondere zur Etablierung dezentraler und lokaler Strukturen.
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