Mit Update 18.12.2020
Es gilt, entschlossen und solidarisch zu handeln.
Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften – Stellungnahme vom 08.12.2020, Coronavirus-Pandemie: Die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown nutzen
So hatte die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften – schon am 08.12.2020 in Ihrer Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie: Die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown nutzen“ eindringlich appelliert. Es sei aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendig, die weiterhin deutlich zu hohe Anzahl von Neuinfektionen durch einen harten Lockdown schnell und drastisch zu verringern. Dieser harte Lockdown kommt nun – und wenig überraschend schon ab heute.
Wenig überraschend aufgrund der rasanten Infektionsentwicklung der letzten Tage. Am 11.11.2020 etwa appellierten die deutschen Intensivmediziner (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, DIVI) an die Politik, unverzüglich zu handeln. Jeder weitere Tag ohne durchgreifende und nachhaltige Lockdown-Maßnahmen würde angesichts 30.000 Neuinfektionen am Tag und fast 600 Corona-Toten täglich Menschenleben kosten, zumal selbst ein sofortiger Lockdown die Zahlen erst in zwei bis drei Wochen deutlich sinken lasse. „Ein Zögern und Warten auf Weihnachten ist schier unverantwortlich“ – so der Präsident der DIVI.
Auch die Rechtsprechung greift dies auf und übernimmt Verantwortung. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht etwa, welches vor einigen Wochen noch mit einer vielfach kritisierten Entscheidung den Weg frei gemacht hatte für eine Veranstaltung von u.a. rücksichtslosen Gesellschaftsverächtern in Leipzig, hat am 11.12.2020 (6 B 432/20) eine solche in Dresden verboten und dabei nicht nur auf den durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Anspruch Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit verwiesen, sondern auch auf den Höchststand an Neuinfektionen von 29.875 Personen und auf die an/mit dem Corona-Virus gestorbenen Personen von 598 im Vergleich zum Vortag. Es stellt auf eine stark ansteigende Übersterblichkeit und auf eine angesichts weiterhin stark steigender Infektionszahlen unzweifelhaften Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems ab.
Dabei ließ das Gericht auch nicht das Argument gelten, dass die Infektionsgefahr unter freiem Himmel zu vernachlässigen sei. Dem stehe gegenwärtig die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts entgegen.

HINWEIS:
Auch der Verwaltungsgerichtshof Hessen hat in einer aktuellen Entscheidung (2 B 3080/20) dem Lebens- und Gesundheitsschutz den Vorrang eingeräumt. Unter Verweis auf die Forschung der Gesellschaft für Aerosolforschung und des Robert-Koch-Instituts stellte auch dieses Gericht darauf ab, dass auch bei Menschenansammlungen im Freien eine Infektionsgefahr bestehe. In der Folgenabwägung rechtfertige der Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Allgemeinheit hier einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon am 05.12.2020 (1 BvQ 145/20) eine dem Lebens- und Gesundheitsschutz den Vorrang einräumende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen wegen grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützter Interessen einer großen Anzahl Dritter von hohem Gewicht aufrechterhalten (siehe auch schon HIER).
Dies hat selbstredend gravierende Auswirkungen auf die Immobilienbranche. Ausgerechnet deren Spitzenverband aber, der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA, hat mit mit seinem Appell an die Politik vom 09.12.2020 gegen eine harten Lockdown vor Weihnachten und dessen Begründung (es seien dramatisch gesunkene und weiter stark sinkende Frequenzen in den Fußgängerzonen und Geschäften zu beobachten und die Menschen seien vorsichtig und zurückhaltend unterwegs, u.a.) angesichts der tatsächlichen Entwicklungen einige Fragen im politischen Berlin aufgeworfen. Dabei bräuchte es gerade jetzt einer überzeugenden Stimme für die Immobilienwirtschaft, wie der Beschluss der Bundesregierung und der Länder vom 13.12.2020 zeigt (auszugsweise):
- Der Einzelhandel mit Ausnahme des Einzelhandels für Lebensmittel, der Wochenmärkte für Lebensmittel, Direktvermarktern von Lebensmitteln, der Abhol- und Lieferdienste, der Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, derApotheken, der Sanitätshäuser, der Drogerien, der Optiker, der Hörgeräteakustiker, der Tankstellen, der Kfz-Werkstätten, der Fahrradwerkstätten, der Banken und Sparkassen, der Poststellen, der Reinigungen, der Waschsalons, des Zeitungsverkaufs, der Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte, des Weihnachtsbaumverkaufs und des Großhandels wird ab dem 16. Dezember 2020 bis zum 10. Januar 2021 geschlossen.
- Der Verkauf von non-food Produkten im Lebensmitteleinzelhandel, die nicht dem täglichen Bedarf zuzuordnen sind, kann ebenfalls eingeschränkt werden und darf keinesfalls ausgeweitet werden.
- Der Verkauf von Pyrotechnik vor Silvester wird in diesem Jahr generell verboten.
- Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Friseursalons, Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe werden geschlossen, weil in diesem Bereich eine körperliche Nähe unabdingbar ist. Medizinisch notwendige Behandlungen, zum Beispiel Physio-, Ergo und Logotherapien sowie Podologie/Fußpflege, bleiben weiter möglich.
- Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden dringend gebeten zu prüfen, ob die Betriebsstätten entweder durch Betriebsferien oder großzügige Home-Office- Lösungen vom 16. Dezember 2020 bis 10. Januar 2021 geschlossen werden können, um bundesweit den Grundsatz „Wir bleiben zuhause“ umsetzen zu können.
- Die Lieferung und Abholung mitnahmefähiger Speisen für den Verzehr zu Hause durch Gastronomiebetriebe sowie der Betrieb von Kantinen bleiben weiter möglich. Der Verzehr vor Ort wird untersagt.
- Der Verzehr von alkoholischen Getränken im öffentlichen Raum wird vom 16. Dezember bis 10. Januar untersagt. Verstöße werden mit einem Bußgeld belegt.
- Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder werden im Lichte der weiteren Infektionsentwicklung am 5. Januar 2021 erneut beraten und über die Maßnahmen ab 11. Januar 2021 beschließen.
Wichtig sind sodann die folgenden beschlossenen Folgefragen:
- Der Bund wird die betroffenen Unternehmen, Soloselbständigen und selbständigen Angehörigen der Freien Berufe auch weiterhin finanziell unterstützen.
- Dafür steht die verbesserte Überbrückungshilfe III bereit, die Zuschüsse zu den Fixkosten vorsieht.
- Mit verbesserten Konditionen, insbesondere einem höheren monatlichen Zuschuss in Höhe von maximal 500.000 Euro für die direkt und indirekt von den Schließungen betroffenen Unternehmen, leistet der Bund seinen Beitrag, Unternehmen und Beschäftigung zu sichern.
- Für die von der Schließung betroffenen Unternehmen soll es Abschlagszahlungen ähnlich wie bei den außerordentlichen Wirtschaftshilfen geben.
- Der mit den Schließungsanordnungen verbundene Wertverlust von Waren und anderen Wirtschaftsgütern im Einzelhandel und anderen Branchen soll aufgefangen werden, indem Teilabschreibungen unbürokratisch und schnell möglich gemacht werden.
- Zu inventarisierende Güter können ausgebucht werden.
- Damit kann der Handel die insoweit entstehenden Verluste unmittelbar verrechnen und steuermindernd ansetzen. Das sichert Liquidität.
- Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19 Maßnahmen betroffen sind, soll gesetzlich vermutet werden, dass erhebliche (Nutzungs- ) Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Damit sollen Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht werden.
Ziffer 2 nimmt Bezug auf die Arbeit des Bundesjustizministeriums, welche schon am 18.11.2020 im Bundestag vorgestellt worden ist und eine gesetzliche „Klarstellung“ verfolgt, dass pandemiebedingte Einbußen regelmäßig die Störung der Geschäftsgrundlage für ein Mietverhältnis bedeuten würde. Das BMJ will hierdurch eine Stärkung der Position der Gewerbemieter erreichen, erkennt aber selbst an, dass weiterhin eine Prüfung im Einzelfall und im Streitfall eine gerichtliche Entscheidung erforderlich sein wird (siehe auch schon: COVID-19-Pandemie im Mietrecht und in der Stadtentwicklung: Kommen Mieterhöhungsverbot, Mietsenkungsgebot und Gewerbe-Mietpreisbremse?).
Unterstützt wird dies etwa durch den Handelsverband Deutschland (HDE), welcher fordert, der Gesetzgeber müsse „die Blockadehaltung der Immobilieneigentümer endlich aufbrechen“ und auf HDE-Umfragen verweist, wonach anders als von den Verbänden der Immobilienwirtschaft behauptet, große Teile der Vermieter nicht bereit seien, die Pandemierisiken zu teilen, obwohl es doch HDE und ZIA waren, die einen Kodex zum Umgang mit der Pandemie vereinbart hatten. Just am gleichen Tag, dem 04.12.2020, ließ die Bundesjustizministerin wissen, Umfragen und Rückmeldungen aus der Praxis würden zeigen, dass einige Vermieter weiterhin die komplette Miete fordern würden, weshalb für Gewerbemiete- und Pachtverhältnisse gesetzlich klargestellt werde, dass Beschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie regelmäßig eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen.
Wenn Verbände behaupten, man müsse eine „Blockadehaltung der Immobilieneigentümer“ aufbrechen, und wenn die Politik nach der Gesetzgebung ruft weil einige Vermieter weiterhin die komplette Miete fordern würden, so klingt das nach einem nicht zielführenden Schwarz-Weiß-Denken. Zum einen kann die pauschale Behauptung einer „Blockadehaltung der Immobilieneigentümer“ so sicherlich nicht bestätigt werden. Zum anderen mag man Vermietern keinen Vorwurf machen, wenn sie sich nach dem richten, was ihnen die Rechtsprechung als geltendes Recht vorgibt. Sicher, unsolidarische Marktteilnehmer gibt es auf allen Seiten. Der Vermieter als pauschales Feindbild taugt hier aber nicht. Ebenso wenig taugt der Mieter pauschal als gegenüber dem Vermieter stets schutzwürdiger oder schutzbedürftiger Marktteilnehmer.
Die Neuregelung
Bundestag und Bundesrat haben nun mit dem Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht dreierlei (Inkrafttreten am Tag nach Bekanntmachung des Gesetzes) beschlossen:
- Verfahren
- Klarstellung
- Vermutungswirkung
Verfahren
Neu geregelt wird ein prozessrechtliches Vorrang- und Beschleunigungsgebot im Gerichtsverfahren:
- Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht für Grundstücke und Räume, die keine Wohnräume sind, wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sind vorrangig und beschleunigt zu behandeln.
- Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot ist während der gesamten Dauer des Verfahrens zu beachten und gilt in allen Rechtszügen.
- Das Gebot gilt nicht nur für Verfahren, in denen der Mieter eine Anpassung der Miete nach § 313 BGB einklagt, sondern findet auch dann Anwendung, wenn der Mieter die Anpassung der Miete als Einrede gegen die Zahlungsklage des Vermieters erhebt oder andere Anspruchsgrundlagen wie etwa die Mietminderung für die An- passung der Miete im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie herangezogen werden.
- In solchen Verfahren soll ein früher erster Termin spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift stattfinden. Es steht aber weiterhin grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden, ob er zur Vorbereitung des Haupttermins einen frühen ersten Termin oder ein schriftliches Vorverfahren wählt.
Klarstellung
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine Immobilie, die zum Betreiben des Gewerbes gemietet / gepachtet wird, aufgrund staatlicher Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung häufig gar nicht mehr oder nur eingeschränkt genutzt werden kann und dass die Zahlung der Miete für eine Gewerbefläche eine erhebliche wirtschaftliche Belastung bedeuten kann, die bei fehlenden oder erheblich reduzierten Einnahmen zu einer wirtschaftlichen Schieflage führen kann. Zunächst sieht der Gesetzgebung in der Neuregelung daher eine Klarstellung:
- Es wird klargestellt, dass die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in der besonderen Situation der COVID-19-Pandemie grundsätzlich anwendbar sind.
- In der Praxis des gewerblichen Miet- und Pachtrechts soll nach dem Gesetzgeber eine Unsicherheit über die Anwendbarkeit zu beobachten gewesen sein, die teilweise dazu geführt habe, dass Vermieter sich nicht auf Verhandlungen über eine Anpassung der Miete oder Pacht einlassen. Zur Beseitigung der Unsicherheiten, zur Stärkung der Verhandlungsposition von Gewerbemietern/Pächtern und als Appell an die Verhandlungsbereitschaft der Vertragsparteien soll diese Klarstellung erfolgen.
- Tatsächlich war die Ansicht einer grundsätzlichen Nichtanwendbarkeit des § 313 BGB auch schon bislang eine nicht überzeugende Mindermeinung. Insoweit ändert sich mithin richtigerweise nichts.
Vermutungswirkung
Neu geregelt ist zudem die folgende tatsächliche Vermutung:
- Sind vermietete / verpachtete Grundstücke oder vermietete / verpachtete Räume, die keine Wohnräume sind,
- infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie
- für den Betrieb des Mieters /Pächters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar,
- so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
ANWENDUNGSHILFE:
Zu Ziff. 1:
Die Regelung gilt für Gewerbemietverhältnisse, aber auch für die Anmietung von zu Freizeitzwecken genutzten Räumen und für Kultureinrichtungen. Auch die nicht-gewerbliche Nutzung ist also erfasst, zum Beispiel die private Nutzung oder die Nutzung von Räumen durch Idealvereine zur Verwirklichung ihres ideellen Zwecks. Die Regelung gilt auch für Pachtverhältnisse einschließlich Landpachtverhältnisse und insbesondere auch für Pächter von Hotel- und Gaststättenbetrieben.
Zu Ziff. 2:
Im Ausgangspunkt wird an eine staatliche Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeknüpft. Bei den staatlichen Maßnahmen wird es sich regelmäßig um Verordnungen, Allgemeinverfügungen oder konkret-individuelle Verwaltungsakte handeln, die insbesondere auf das Infektionsschutzgesetz gestützt sind. Es können Maßnahmen von Behörden des Bundes sowie Maßnahmen der Länder, Kreise und Gemeinden zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 sein.
Zu Ziff. 3:
Erforderlich ist, dass die staatliche Maßnahme die Verwendbarkeit des Grundstücks oder der Räume für den Betrieb des Mieters/Pächters durch hoheitliches Handeln erheblich einschränkt oder aufhebt.
Ein typisches Beispiel für die vollständige Aufhebung ist eine Schließungsverfügung.
Eine erhebliche Einschränkung liegt zum Beispiel regelmäßig in einer staatlichen Vorgabe, nur einen bestimmten Teil der Ladenfläche für Publikumsverkehr zu nutzen oder die Anzahl der Personen zu beschränken, die sich auf einer bestimmten Fläche aufhalten dürfen.
Die staatliche Maßnahme muss die Verwendbarkeit des Betriebs des Mieters einschränken/aufheben und sich dafür auf die Mietsache selbst oder den in der Mietsache ausgeübten Betrieb des Mieters beziehen (unter Betrieb ist die tatsächliche Nutzung im Rahmen des vertraglich vereinbarten Zwecks zu verstehen). Die Regelung greift z.B. nicht (1.) wenn bei einem Betrieb mit Publikumsverkehr die Kundschaft allein wegen sinkender Konsumbereitschaft ausbleibt oder (2.) bei Maßnahmen, die sich allein gegen die Person des Mieters/Pächters oder seine Beschäftigten richten, wie etwa Quarantäneanordnungen gegen einzelne Personen.
Zu Ziff. 4:
Als Rechtsfolge schafft die Regelung eine tatsächliche Vermutung, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. Es handelt sich weder um eine Fiktion noch um eine unwiderlegliche Vermutung. Die Vermutung ist widerleglich. Das ist zum Beispiel in Fällen gegeben, in denen der Mietvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem eine pandemieartige Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der breiten Öffentlichkeit bereits absehbar war. Dann ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein solcher Mietvertrag in Kenntnis einer möglicherweise bevorstehenden tiefgreifenden Veränderung des Wirtschaftslebens geschlossen wurde. Hierbei wird verbreitet auf die Bekanntmachung der Covid-Pandemie durch die WHO im März 2020 abgestellt.
Was bedeutet das nun konkret für die Praxis?
Es bleibt komplex. Denn die Neuregelung betrifft nur einen einzelnen Teil der Regelung des § 313 Abs. 1 BGB. Einzig Ziff. 1 (sog. reales Merkmal) der folgenden Regelungsbestandteile ist betroffen:
- Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und
- hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten,
- so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden,
- soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
WICHTIG:
Die weiteren Merkmale des § 313 Absatz 1 BGB bleiben unberührt! Im Streitfall ist ihr Vorliegen also durch die Partei, die sich auf die Regelung beruft, hier also durch den Mieter/Pächter darzulegen und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen.
Wichtig ist weiterhin, dass auch nach dem Willen des Gesetzgebers
- entscheidend die Umstände des Einzelfalls bleiben,
- § 313 BGB weiterhin keine Überkompensation gewährt und
- auch die Rechtsfolgen des § 313 BGB unberührt bleiben, insbesondere eine Vertragsanpassung nur im an- gemessenen Umfang begehrt werden kann.
Insbesondere bleibt das sog. normative Merkmal (Ziff. 4) unberührt und wird nicht von der Vermutungsregelung erfasst. Insbesondere bleibt auch nach dem Willen des Gesetzgebers von Bedeutung
- wie stark sich die staatlichen Beschränkungen auf den Betrieb des Mieters/Pächters auswirken und
- ob der Mieter/Pächter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkungen jedenfalls teilweise kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat, weil er etwa Kurzarbeit angemeldet hat oder der Wareneinkauf weggefallen ist.
Es bleibt also geboten, auf die bislang überwiegende Rechtsprechung zurückzugreifen: Diese verlangt, angeführt vom LG Heidelberg (ebenso etwa: LG Zweibrücken, LG Frankfurt, LG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 – 11 O 215/20: Ohne Darlegung existentiell bedeutsamer Folgen der Schließung ist auch eine Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen), für eine Mietabsenkung wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), dass es beim Mieter im konkreten Einzelfall tatsächlich zu einer Existenzgefährdung bzw. unzumutbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung kommt, eben so wie es der BGH bislang forderte.
Münchener Zwist:
Zwar möchte das LG München I bei einer vollständigen Schließung durch Allgemeinverfügung von einem Anspruch auf Miethalbierung ausgehen, da schon die Schließung zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebs des Mieters führe, ohne dass danach zu unterscheiden sei, ob einem mietenden Unternehmen infolge der Schließung die Insolvenz droht oder nicht. Das LG München II dagegen (Urteil vom 06.10.2020 – 13 O 2044/20, nicht rechtskräftig -> OLG München – 32 U 6358/20 / LG München II, Urteil vom 22.09.2020 – 13 O 1657/20, nicht rechtskräftig -> OLG München – 32 U 5946/20) widerspricht:
„Vor dem Hintergrund der hier vorliegenden langfristigen Vermietung ist es aber geboten, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Äquivalenz der vertraglichen Leistung und Gegenleistung ebenfalls längerfristig zu betrachten. Danach ist festzustellen, dass ein Umsatzausfall über fünf Wochen bei der Betrachtung der mehrjährigen wirtschaftlichen Entwicklung, die von der konjunkturellen Entwicklung, der Entwicklung des Kundenzuspruchs, der Entwicklung der Wettbewerbssituation und der Entwicklung des Stadtteils, in dem sich das Geschäft befindet, abhängig ist, nicht erheblich ins Gewicht fällt.“
Weiterhin darf es sich der Mieter/Pächter nicht zu einfach machen. Und weiterhin muss die staatliche Hilfe einerseits und die Anpassung der Miete/Pacht andererseits immer im Zusammenhang gesehen werden.
Das LG Heidelberg etwa hatte anschaulich zum Ausdruck gebracht, dass der Vermieter sich nicht auf alles einlassen muss und der Mieter es sich nicht zu einfach machen darf. Unbehelflich war demnach die pauschale Behauptung, Betriebe seien vollständig zum Erliegen gekommen. Verlangt werden muss jedenfalls ein ernsthaftes Bemühen um die Erlangung von (staatlicher) Hilfe. Der Mieter muss alles ihm Zumutbare unternehmen, um seine laufenden Kosten zu decken.
Auch für das LG Stuttgart ist etwa die Frage maßgeblich, inwieweit es der betroffenen Partei zumutbar oder überhaupt möglich gewesen wäre, entsprechende Vorkehrungen zu treffen oder sich im Zeitraum der Schließung anderweitige Einnahmequellen zu verschaffen.
Nicht nur nach dem LG Heidelberg ist relevant, welche staatlichen Hilfen (Steuererleichterungen, staatliche Zuschüsse und Finanzierungshilfen, Kurzarbeit etc.) der Mieter erhalten hat oder erhalten kann. Auch nach dem LG München II war von zentraler Bedeutung, dass durch die gesetzlichen Regelungen zum Kurzarbeitergeld die Lohnkosten des Mieters in erheblichem Umfang ausgeglichen werden.
Liquiditätsengpässe des Mieters müssen nach dem LG Stuttgart und dem LG Frankfurt auch stets mit weiteren gesetzlichen Schutzmechanismen abgeglichen werden und rechtfertigen nicht ohne Weiteres eine Mietsenkung (so zu Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB, der den Mieter vor der Kündigung schützt, soweit er, bedingt durch die Corona-Pandemie, seine Miete vorübergehend nicht pünktlich zu leisten im Stande war).
Wenngleich das LG Mönchengladbach (Urteil vom 02.11.2020 – 12 O 154/20) für den Fall der vollständigen Schließung eines Geschäfts einen Anspruch auf Vertragsanpassung auf die Hälfte des Mietzinses wegen Störung der Geschäftsgrundlage bejahte, hat es letztlich doch sehr anschaulich das unternehmerische Risiko des Mieters nach Maßgabe der konkreten Umstände des Einzelfalls herausgestellt:
„Es obliegt dem Mieter, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Betrieb auch während der Pandemie soweit wie möglich aufrecht zu erhalten bzw. durch zumutbare Anpassungen seines Geschäftsmodells drohende Verluste abzuwenden. Denn der Mieter trägt das unternehmerische Risiko seines Betriebs und kann eine Vertragsanpassung nur dann verlangen, wenn und soweit eine verlustfreie Verwendung der Mieträume unternehmerisch objektiv ausgeschlossen ist. […] Unternehmer haben hier große Kreativität bewiesen. Sofern ein Gewerbemieter nicht hinreichend einfallsreich war, zeigt sich ein mangelndes unternehmerisches Talent, dessen Risiko nicht auf die Pandemie zurückzuführen und deshalb von ihm zu tragen ist.“
© Copyright by Dr. Elmar Bickert
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