Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung vom 14. September 2017, obwohl das neue Werk- und Bauvertragsrecht erst ab 2018 gilt, bereits auf Neuregelungen der Reform Bezug genommen. Das Urteil ist daher besonders geeignet, sich im Wege eines Vorher-Nachher-Vergleiches einem Teilbereich der Reform zu nähern.


Die Risikolage bei der Insolvenz der Bauunternehmers

  1. Wird über das Vermögen des Bauunternehmers nach Abschluss und vor Erfüllung des Bauvertrages das Insolvenzverfahren eröffnet,  hat dies auf den Bestand und den Inhalt des Bauvertrages zunächst keinen Einfluss. Er bleibt vielmehr in der Lage bestehen, in welcher er sich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befindet.
  2. Die wechselseitigen Ansprüche aus dem Bauvertrag verlieren allerdings ihre Durchsetzbarkeit: Der Auftraggeber kann seinen Herstellungsanspruch nicht durchsetzen. Der Insolvenzverwalter auf Auftragnehmerseite kann, solange er nicht die Erfüllung des Vertrages wählt, weder die Abnahme noch die Zahlung von Werklohn verlangen. Die Verträge müssen grundsätzlich insolvenzrechtlich abgewickelt werden.
  3. Gemäß § 103 InsO kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren geschlossenen, beidseits nicht vollständig erfüllten Vertrages verlangen oder die Erfü̈llung des Vertrages ablehnen. Er ist nicht berechtigt, den Vertrag inhaltlich zu ändern. Es gibt grundsätzlich keine den ursprünglichen Vertrag modifizierende oder nur einzelne Ansprüche oder Rechte betreffende Erfüllungswahl.
  4. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bauunternehmers hat der Auftraggeber damit zunächst keine Sicherheit mehr darüber, ob der Verwalter die Verträge erfüllen wird oder nicht. Der Auftraggeber hat nur die Mö̈glichkeit den Verwalter gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO zur Ausübung des Wahlrechts aufzufordern. Der Verwalter hat unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) seine Entscheidung mitzuteilen. Welche Überlegungsfrist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Falles.

Der BGH bestätigt in seiner aktuellen Entscheidung die in dieser Situation für den Auftraggeber bestehende Risikolage: Sowohl das Risiko der verzögerten Entscheidung über die Erfüllung der Verträge als auch dasjenige der Betriebsfortführung des Auftragnehmers im Insolvenzverfahren hat der Vertragspartner des Insolvenzschuldners nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich hinzunehmen.

Der BGH weist aber zugleich den Weg, wie sich der Auftraggeber aus dieser Situation befreien kann – und wie nicht:


Die Kündigungsmöglichkeiten

Die freie Kündigung

Der BGH hatte die Frage der Zulässigkeit einer Kündigung nach § 649 BGB in der Insolvenz des Unternehmers bislang noch nicht entschieden. Nun hat er entschieden, dass das in § 649 BGB geregelte Kündigungsrecht des Bestellers auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermö̈gen des Unternehmers fortbesteht.

  • Die Vorschrift des § 649 Satz 1 BGB gestattet es dem Besteller, den Werkvertrag jederzeit zu kündigen.
  • Dem in erster Linie auf die Vergütung gerichteten Interesse des Werkunternehmers trägt § 649 Satz 2 BGB dadurch Rechnung, dass ihm der Anspruch auf die Gegenleistung im Ausgangspunkt auch für diejenigen Leistungen verbleibt, die er wegen der Kündigung des Vertrages nicht mehr erbringen muss.
  • Die Insolvenzordnung enthält keine Vorschrift, welche das Kündigungsrecht des Bestellers in der Insolvenz des Unternehmers ausschließt. Der Schutz der Masse verlangt keine derartige Einschränkung des Kündigungsrechts.

Der große Nachteil einer solchen Kündigung besteht für den Auftraggeber darin, dass er nach § 649 Satz 2 BGB eine vergütungsähnliche Entschädigung schuldet: Gemäß § 649 Satz 2 BGB kann der Auftragnehmer bzw. dessen Insolvenzverwalter Zahlung der vereinbarten Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs verlangen. Insbesondere setzt der Anspruch des Auftragnehmers aus § 649 Satz 2 BGB keine Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters voraus. 


Kündigung aus wichtigem Grund?

Eine Kündigung aus wichtigem Grund sieht § 649 BGB in seiner derzeit noch geltenden Fassung nicht vor. Die Vorschrift des § 314 BGB aus dem allgemeinen Schuldrecht greift nach dem BGH nicht ein.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Auftraggeber eines Werkvertrages jedoch berechtigt, den Vertrag zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.

Im Bauvertragsrecht ist ein wichtiger Grund unter anderem dann anzunehmen, wenn der Auftragnehmer das für den Bauvertrag als eines auf Kooperation der Vertragspartner angelegten Langzeitvertrags vorauszusetzende Vertrauensverhältnis durch sein schuldhaftes Verhalten derart empfindlich stört, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet und dem Auftraggeber die Vertragsfortsetzung nicht mehr zumutbar ist.

Kündigt der Auftraggeber in dieser Art, bleibt ihm der Nachteil der vorgenannten freien Kündigung erspart. Denn kündigt der Auftraggeber aus wichtigem Grund, entfällt der Vergütungsanspruch des Auftragnehmers aus § 649 Satz 2 BGB für noch nicht erbrachte Leistungen.


In der aktuellen Entscheidung verneint der IX. Senat des BGH das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Kündigung:

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers stellt für sich genommen keinen wichtigen, die Vergütungsansprüche des Unternehmers ausschließenden Grund für die Kündigung eines nach dem Eröffnungsantrag geschlossenen Werklieferungsvertrages dar.

Der IX. Senat grenzt sich damit von einer Entscheidung des VII. Senats des BGH ab.


Exkurs: Die Entscheidung des VII. Senats des BGH

In der letzteren Entscheidung hatte der VII. Senat des BGH das Folgende entschieden (siehe zu dieser Rechtsprechung schon ausführlich hier: Insolvenzbedingte Kündigung: Wieso beim Bauvertrag der Auftraggeber das letzte Wort hat):

  • Der Auftragnehmer, der einen Eigeninsolvenzantrag stellt, bringt aus Sicht des Auftraggebers zum Ausdruck, dass ihm die finanziellen Mittel zur vertragsgemäßen Erfüllung des Bauvertrags fehlen. Er bringt aus Sicht des Auftraggebers zum Ausdruck, eine Gewähr für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung nicht mehr geben zu können.
  • Damit zerstört er in der Regel das für die Fortführung des Bauvertragsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis.
  • Der Auftraggeber ist daher berechtigt, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen.
  • Der Auftraggeber ist in diesem Fall nicht gemäß § 649 Satz 2 BGB verpflichtet, eine Vergütung für noch nicht erbrachte Leistungen zu zahlen.
  • Zugleich steht dem Auftraggeber regelmäßig auch ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, 3, § 282 BGB gegen den Auftragnehmer zu, da dieser mit seinem Eigeninsolvenzantrag seine aus dem Bauvertrag resultierende Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Auftraggebers verletzt.

Der IX. Senat des BGH sieht seinen Fall anders gelagert:

Auf den hier vorliegenden Fall der Kündigung einzelner Werklieferungsverträge lässt sich diese Rechtsprechung nicht übertragen. Die Beklagte hat ihre Kündigung nicht auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom Oktober 2012 gestützt. Die Kündigung betraf vielmehr Verträge, die erst nach dem Insolvenzantrag und in dessen Kenntnis geschlossen worden waren.

Der IX. Senat des BGH betont in der aktuellen Entscheidung, dass das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 InsO durch eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht unterlaufen werden kann.

Die Insolvenzordnung räumt dem Verwalter die Möglichkeit ein, sich unverzüglich – also innerhalb angemessener, den Interessen beider Vertragsparteien Rechnung tragender Frist – für oder gegen eine Erfüllung vor der Eröffnung geschlossener und beidseitig nicht vollständig erfüllter Verträge zu entscheiden. Entscheidet er sich für die Erfüllung eines Vertrages, ist der Vertrag wie vereinbart durchzuführen. Diese Rechte des Verwalters hält die Insolvenzordnung für so bedeutend, dass sie im Voraus nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden dürfen (§ 119 InsO). Dann können sie aber auch nicht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Begründung einer Kündigung aus wichtigem Grund wegen einer typischerweise mit ihnen verbundenen Gefährdung des Vertragszwecks herangezogen werden.


Der VII. Senat des BGH dagegen hatte die insolvenzbedingte Kündigungsklausel des § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B für wirksam erachtet, obwohl sie grundsätzlich unter die Verbotsregelung der §§ 103, 119 InsO fällt – und dies mit den Besonderheiten des Bauvertrags  begründet (siehe schon ausführlich hier: Insolvenzbedingte Kündigung: Wieso beim Bauvertrag der Auftraggeber das letzte Wort hat):

Die in einen Bauvertrag einbezogenen Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) sind nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam. Die von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) sind nicht gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers unwirksam.


Was gilt nach dem neuen Werk- und Bauvertragsrecht ab 2018?

Der BGH verweist in seiner aktuellen Entscheidung ausdrücklich auf die ab dem 01. Januar 2018 geltende Neuregelung in § 648a Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach eine fristlose Kündigung des Bauvertrages aus wichtigem Grund zulässig ist, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann. Er verweist weiter auf die Neuregelung des § 648a Abs. 5 BGB, wonach der Vergütungsanspruch des Unternehmers im Fall einer berechtigten Kündigung aus wichtigem Grund nicht insgesamt entfällt.

Was nun ab dem Jahr 2018 gilt, lesen Sie hier: Die freie Kündigung und die Kündigung aus wichtigem Grund im neuen Werkvertragsrecht.


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