In Berlin erzählt man sich den Scherz, über diversen Bundesministerien seien kürzlich rushaltige Staubwolken aufgestiegen, ausgelöst von einer Schockwelle, die durch diverse Amtsstuben ging. Ursache war dem Vernehmen nach eine Äußerung von VW-Konzerchef Matthias Müller. Er hatte sich im Handelsblatt für einen schrittweisen Abbau der Dieselsubventionen zu Gunsten von Elektroautos ausgesprochen. Das hatte den einen oder anderen Verantwortlichen in den Ministerien auf dem falschen Fuß erwischt – eine solche Aussage, sicher nicht neu, aber ausgerechnet vom VW-Chef!?
Eine FDP-Politikerin soll den VW-Chef daraufhin gar öffentlich als „Diesel-Judas“ beschimpft haben. Das Statement von VW ließ nicht lange auf sich warten. Und es war nach Art und Inhalt bemerkenswert. Zunächst sah sich der Autokonzern veranlasst, der wütenden Politikerin aufgrund deren Wortwahl entgegenzutreten
Wobei sich schon die Frage stellt, ob das die politische Diskussionskultur ist, die Deutschland voran bringt.
und an ihre Aufgabe als Politikerin zu erinnern:
Nichts tun ist keine Option.
Desweiteren spricht sich der Konzern gegen die Errichtung von „Denkblockaden“ aus und fordert die Beteiligten zum Handeln auf:
Wenn wir überzeugt sind, dass der E-Mobilität die Zukunft gehört, dann müssen wir aber gleichzeitig die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie aus der Nische fahren kann.
Und wie antwortet die Bundesregierung? Auf eine kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten ließ die geschäftsführende Bundesregierung nun mitteilen (BT-Drucksache 19/378):
Die Bundesregierung hat die Äußerungen von Vertretern der Volkswagen AG in Zusammenhang mit einer am realen Schadstoffausstoß orientierenden Plakette zur Kenntnis genommen, jedoch keine Gespräche dazu geführt oder geplant.
Einer der größten Autokonzerne der Welt ist also veranlasst, sich um die Diskussionskultur zu sorgen, eine offene Debatte einzufordern und an den Gestaltungsauftrag der Politik zu erinnern. Wer bislang das Bild vor Augen hatte, dass eine sich gegen Änderungen und Neuerungen sträubende Industrie von der Politik erst zu vermeintlichen oder tatsächlichen Zukunftstechnologien getragen bzw. gestoßen werden muss, dürfte über das sich hier zeigende Bild verwundert sein: Hier der proaktive Konzern mit Diskussions- und Gestaltungswillen, dort die gleichsam unter Schockstarre stehende Bundesregierung.
Was aber hat das nun mit der WEG- und Mietrechtsreform zu tun? Wenn man so will, hatte der Bundesrat im Rahmen seines Reformvorhabens einen „Müller-Moment“. Der Bundesrat hatte letztlich das gemacht, was die Wolfsburger forderten. Nach dem Credo „nichts tun ist keine Option“ wollte der Bundesrat bereits 2016 mit seinem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Förderung der Barrierefreiheit und Elektromobilität die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die E-Mobilität, mit den Worten des VW-Statements, „aus der Nische fahren kann“ – nur eben bezogen auf den Immobilienbereich.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf Verbesserungen bei der Installation von Ladestationen an privaten Kfz-Stellplätzen vor. Auch sie soll nicht mehr von der Zustimmung anderer Wohnungseigentümer bzw. des Vermieters abhängen. Die Länder sehen in dieser Privilegierung einen notwendigen Schritt, um mehr Elektroautos auf die Straße zu bringen. Dass eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur eine der entscheidenden Bedingungen für die Nutzung von Elektromobilität sei, zeigten Vergleiche mit Ländern wie Norwegen oder die Niederlande. Bundesrat
Um eine flächendeckende Versorgung mit Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge unter Einschluss von privaten Kfz-Stellplätzen zu gewährleisten, bedarf es nach der Vorstellung des Gesetzentwurfes des Bundesrates einer Reform des Wohnungseigentumsrecht und des Mietrechts. Zur Erleichterung des Ausbaus der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge im privaten Raum soll
- in das WEG eine Regelung aufgenommen werden, wonach die Zustimmung der Miteigentümer dann entbehrlich ist, wenn die Maßnahme für die Installation einer Ladestation für Elektrofahrzeuge erforderlich ist, und
- im Mietrecht eine § 554a BGB entsprechende Regelung für bauliche Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität eingeführt werden, so dass der Mieter vom Vermieter die Zustimmung für bauliche Veränderungen verlangen kann, die für die Installation einer Ladeeinrichtung für ein Elektrofahrzeug erforderlich sind.
Einzelheiten der Reform sind bereits ausführlich dargestellt worden: WEG- und Mietrechtsreform: Bauliche Maßnahmen zur Barrierefreiheit und Errichtung von Stellplatz-Ladestationen für Elektromobilität.
Am 09. November 2016 hatte die Bundesregierung den Gesetzentwurf des Bundesrates dem Bundestag zur Beratung übermittelt (BT-Drs. 18/10256), versehen mit einer kritischen Stellungnahme, worin sie für den Beginn der nächsten Legislaturperiode (also jetzt) eigene Vorschläge zur Schaffung von Ladeinfrastruktur ankündigte (ausführlich: Mietrecht & Wohnungseigentumsrecht: Bundesregierung kündigt eigenen Reform-Entwurf an).
Infolge dieses Bremsmanövers war weiter nichts geschehen. Insbesondere wurde vom 18. Deutschen Bundestag der Gesetzentwurf des Bundesrates bis zum Ende der letzten Wahlperiode nicht aufgegriffen. Er unterfiel somit der Diskontinuität. Der Bundesrat sah sich daher nun veranlasst, gemäß Beschluss vom 15. Dezember 2017 seinen Gesetzentwurf erneut über die geschäftsführende Bundesregierung dem 19. Bundestag vorzulegen.
Dies ist am 10. Januar 2018 (BT-Drucksache 19/401) geschehen. Die darin enthaltene Stellungnahme der Bundesregierung erinnert in gewisser Weise an ihre Antwort auf den VW-Vorschlag:
Die Bundesregierung nimmt Bezug auf ihre Stellungnahme [zu dem ersten Entwurf des Bundesrates]. Die darin angekündigten Vorschläge zur Änderung des Miet- sowie Wohnungseigentumsrechts werden nach Bildung einer neuen Bundesregierung von dieser geprüft.
Schaut man in das Ergebnispapier der Sondierung von Union und SPD zur Regierungsbildung vom 12. Januar 2018, so findet man zum Thema „Mieten“ das Folgende:
Tatsächlich kündigt sich da also eine Mietrechtsreform an, jedoch ohne dass der Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen wird. Nicht auszuschließen ist daher, dass der Gesetzentwurf des Bundesrates das Schicksal des VW-Statemants teilt: Zur Kenntnis genommen und nicht weiter aufgegriffen. Anlass genug, die Überarbeitung der EU-Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden und zu Ladestationen für E-Autos im Blick zu behalten – und sich dem Plädoyer gegen die Errichtung von Denkblockaden und für eine offene und zivilierte Diskussionskultur anzuschließen.
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