Nach § 648a BGB können im Bauvertrag beide Vertragsparteien den Vertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt demnach vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann.

Der BGH hat die Voraussetzung eines wichtigen Grundes für den Fall einer Kündigug durch den Auftraggeber dahingehend konkretisiert, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Nach §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen, kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vertrag kündigen werde und kann der Auftraggeber den Vertrag bei fruchtlosem Fristablauf kündigen.

Nach der Lesart des BGH könnte der Auftraggeber demnach die Kündigung losgelöst von den Kriterien des wichtigen Grundes und bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs selbst bei Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel während der Ausführungsphase aussprechen. Der Auftraggeber könnte dem Auftragnehmer den Auftrag demnach schon dann entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Diese Möglichkeit bestünde losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt.

  • Die VOB/B-Klausel differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.
  • Die Fristsetzung und die Auftragsentziehungsandrohung sind lediglich als einzuhaltende Förmlichkeiten formuliert, so dass der Auftraggeber den Vertrag auch dann aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn der Fristsetzung kein anerkennenswertes eigenes Interesse an der fristgerechten Beseitigung der vertragswidrigen oder mangelhaften Leistung zugrunde liegt oder die Auftragsentziehung angedroht wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung besteht.
  • Die Sanktion der Kündigung aus wichtigem Grund kann danach einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden.

Nach dem BGH weicht diese VOB/B-Klausel von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im BGB ab, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen und ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam – zumindest wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden ist.

In der Ausführungsphase kann der Bauvertrag aus wichtigem Grund folglich nur unter besonderen Voraussetzungen vom Auftraggeber gekündigt werden:

  • Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen.
  • Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben.
  • Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.

Zu den Mängelrechten vor Abnahme siehe schon hier.
Zur Kündigung des Auftraggebers bei Insolvenz des Bauunternehmers siehe schon hier.


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