Windkraft: Mit Wissenschaftlichkeit gegen Angstszenarien
Das OVG Nordrhein-Westfalen hat in einem Beschluss vom 29.03.2023 Grundsätzliches zur Windkraft entschieden.
- Es hat zum einen inhaltlich das bei Windkraftgegnern beliebte Angst- und Schreckensszenario widerlegt.
- Und es hat dem ebenso beliebten Vorgehen eine klare Absage erteilt, die geltende Rechtslage einfach zu ignorieren, sich mit Genehmigungs- und Planugsunterlagen nicht einmal im Ansatz auseinanderzusetzen, jeden konkreten Vortrag vermissen zu lassen und sich statt dessen in pauschalen bis hin zu schlicht falschen Behauptungen zu verlieren.
Das OVG hat vom Ende her die gesetzliche Wertung des neuen § 2 Satz 1 EEG 2023 herangezogen, der auf unionsrechtlicher Ebene inzwischen seine Entsprechung und Verstärkung in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) 2022/2577 (VO zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien) findet (siehe nebenstehend), und das Vorgehen des gegen Windenergieanlagen vorgehenden Nachbarn zurückgewiesen:
„Dieser verordnungsrechtlich und gesetzlich typisierten Dringlichkeit der Errichtung und des Betriebs von Windenergieanlagen stehen auf Seiten des Antragstellers keine auch nur im Ansatz vergleichbar schwer wiegende Interessen gegenüber. Er hat unter Berücksichtigung obiger Ausführungen keinerlei Rechtsverletzungen substanziiert vorgetragen, die, selbst wenn ihr Eintritt im Fall der Errichtung und des Betriebs der genehmigten Windenergieanlagen nicht völlig auszuschließen wäre, ein diese gewichtigen Belange überwiegendes Aussetzungsinteresse begründen könnten.“
OVG Nordrhein-Westfalen – 22 B 176/23

Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.
§ 2 EEG 2023
Für die Zwecke des … wird bei der Abwägung rechtlicher Interessen im Einzelfall angenommen, dass die Planung, der Bau und der Betrieb von Anlagen und Einrichtungen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen sowie ihr Netzanschluss, das betreffende Netz selbst und die Speicheranlagen im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen.
Art. 3 Abs. 1 der VERORDNUNG (EU) 2022/2577 DES RATES vom 22. Dezember 2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien
Das Vorgehen des Windenergiegegners hatte nach dem OVG aber schon aus anderen Gründen keinerlei Erfolgsaussichten.
Der Nachbar hatte schon die geltende Rechtslage schlicht vollständig ignoriert. Zur neuen Rechtslage gehörte auch schon in diesem Fall, dass das Vorhaben auch unter dem Aspekt des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme zulässig ist, wenn gemäß § 249 Abs. 10 BauGB der Abstand zwischen der Windenergieanlage und dem betroffenen Wohngebäude mehr als das Zweifache der Anlagenhöhe beträgt.
Insbesondere war der (mehr als 750 m von den Vorhabenstandorten entfernt wohnende) Nachbar auch mit dem bei Gegnern der Erneuerbaren Energien so beliebten Versuch gescheitert, ein großes Angstszenario aufzubauen. Er bemühte schädliche Umwelteinwirkungen, unzumutbare Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG – offenkundig erfolglos, so das OVG:
BRANDSCHUTZ:
„Dass bei einem nie ganz auszuschließenden Brandereignis Geruchsbelästigungen möglich sind, begründet unabhängig davon offensichtlich keine (potenzielle) Rechtsverletzung des Antragstellers. Ebenso bleibt unerfindlich, was die in freier Feldflur genehmigten Windenergieanlagen mit der Zahl der Waldbrände in Deutschland und deren aus seiner Sicht unzureichenden Bekämpfung zu tun haben sollten, geschweige denn, wie sich hier daraus ein subjektives Abwehrrecht des Antragstellers ergeben sollte. Gleiches gilt für die Anforderung der Verfügbarkeit ausreichender Löschwassermengen. Eine solche besteht nach dem – wie gesagt nicht ansatzweise in Frage gestellten – genehmigten Brandschutzkonzept und im Übrigen ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern nicht ausreichende Löschwassermengen einem Übergreifen des Feuers auf das – weit entfernt liegende – Grundstück des Antragstellers Vorschub leisten sollten.“
EINSATZ VON KOHLEFASERWERKSTOFFEN:
„Der Antragsteller wird auch durch den Einsatz von Kohlefaserwerkstoffen keiner unzumutbaren, weil über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden, Gefahr ausgesetzt. Er kann nicht die Abwehr jeder theoretisch denkbaren Gefahr beanspruchen, sondern nur den Schutz vor einer konkreten Gefahr. Eine solche über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefahr bedeutet der Einsatz von Kohlefaserwerkstoffen für den Antragsteller nicht.“
HAVARIEGEFAHR:
„Auch die von einer nicht völlig auszuschließenden Havarie der Windkraftanlagen ausgehenden Gefahren übersteigen das allgemeine Lebensrisiko des Antragstellers nicht.“
SCHALLIMMISSIONEN:
„Die Schallimmissionsprognose liegt vor diesem Hintergrund auch „auf der sicheren Seite“. Die vom Antragsteller erhobenen, überwiegend pauschalen und unsubstanziierten Einwände gegen ihre Verwertbarkeit greifen – zumal im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes – nicht durch. (…) Warum statt des in der Prognose eingehend erläuterten und, wie dem Senat aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle bekannt ist, fachlich anerkannten Zuschlags für die Gesamtunsicherheit im Sinne einer oberen Vertrauensbereichsgrenze von 2,1 dB(A) hier ein solcher in Höhe von 2,5 dB(A) hätte angesetzt werden müssen, stellt der Antragsteller erneut nur in den Raum, ohne sich der (erforderlichen) Mühe einer Begründung zu unterziehen. Unabhängig davon führte aber auch ein solcher Zuschlag in Anbetracht der örtlichen Verhältnisse offensichtlich nicht zu einer Richtwertüberschreitung am Wohnhaus des Antragstellers. Auch waren keine Zuschläge für Ton- und Impulshaltigkeit der Anlagen geboten. Sind – wie hier nach der Nebenbestimmung III.B.2.6 des Bescheides vom 30. März 2022 – ton- oder impulshaltige Geräusche nach der Genehmigung unzulässig, bedarf es bei der Schallimmissionsprognose auch keiner gesonderten Zuschläge für solche Geräusche. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Vorbelastungen im Rahmen der Begutachtung zu niedrig angesetzt worden sein könnten, bestehen ebenfalls nicht. Der Antragsteller belässt es auch in diesem Zusammenhang bei bloßen Behauptungen, ohne auch nur einen einzigen konkreten Emittenten zu benennen, der zu Unrecht unberücksichtigt geblieben sein könnte. Solches ist auch nicht, jedenfalls nicht mit einer potenziellen Entscheidungsrelevanz, zu erkennen. Demgegenüber ist die Unterstellung der Antragsbegründung, die vorhandenen Windenergieanlagen seien unberücksichtigt geblieben, ausweislich des vorliegenden Gutachtens schlicht falsch.“
SCHATTENWURF:
„Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Antragstellers durch Schattenwurfimmissionen aufgrund des Betriebs der drei genehmigten Windenergieanlagen ist nicht zu erwarten. Nach gefestigter Rechtsprechung sind entsprechende Immissionen – von hier nicht erkennbaren Sondersituationen abgesehen – regelmäßig zumutbar, wenn die astronomisch maximal mögliche Einwirkungsdauer am jeweiligen Immissionsort unter kumulativer Berücksichtigung aller Beiträge sonst auf diesen einwirkender Windenergieanlagen nicht mehr als 30 Stunden pro Kalenderjahr und darüber hinaus nicht mehr als 30 Minuten pro Tag beträgt. Die Einhaltung dieser Werte ist durch die Nebenbestimmungen II.B.3.1 – 3.5 der angegriffenen Genehmigung hinreichend sichergestellt. Dem tritt auch der Antragsteller nicht entgegen. Sein pauschales Vorbringen zu angeblich massiven Gesundheitsschäden auch bei unterhalb dieser Werte verbleibendem periodischem Schattenschlag gibt keine Veranlassung, die seit mehr als zwei Jahrzehnten etablierten Parameter zu modifizieren.“
INFRASCHALL:
„Ebenso wenig hat der Antragsteller unzumutbare Infraschallimmissionen zu gewärtigen. Die Rechtsprechung des beschließenden Gerichts und – soweit ersichtlich – aller anderen Obergerichte geht davon aus, dass Infraschall – wie auch tieffrequenter Schall – durch Windenergieanlagen im Allgemeinen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des menschlichen Gehörs liegt und nach dem bisherigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse grundsätzlich nicht zu Gesundheitsgefahren führt. Sämtliche Studien, die der Antragsteller vorgelegt hat oder die dem Senat anderweitig bekannt sind, sind lediglich Teil des wissenschaftlichen Diskurses, ergeben allerdings bisher keinen begründeten Ansatz für relevante tieffrequente Immissionen oder Infraschall durch Windenergieanlagen oder nachweisbare gesundheitsschädliche Auswirkungen. Neuere Erkenntnisse, die eine andere Bewertung rechtfertigen könnten, enthält der Vortrag des Antragstellers nicht (vgl. in diesem Zusammenhang vielmehr Asendorpf, „Den gefürchteten Infraschall von Windrädern gibt es gar nicht„, Die ZEIT Nr. 34 vom 18. August 2022). (…). Können demnach Risiken, die allenfalls theoretisch denkbar sind, im Rahmen der Prognoseentscheidung außer Betracht bleiben, obliegt es auch nicht dem Anlagenbetreiber im Genehmigungsverfahren, den Nachweis ihres Nichtvorliegens zu erbringen. Es ist vielmehr Sache desjenigen, der die Realisierung eines lediglich als entfernt anzusehenden Risikos geltend macht, hierfür hinreichend konkrete Anknüpfungstatsachen zu benennen. Solche hat der Antragsteller in Bezug auf den von ihm geltend gemachten Infraschall – wie ausgeführt – indes nicht dargelegt.“
Am Ende verhallte der Angriff des Anti-Windkraft-Nachbarn also im Nichts seines Infraschalls. Vom eigenen Schattenwurf erschlagen blieb ihm nur eine vollständig havarierte Prozesstaktik. Immerhin aber hat er dazu beigetragen, dass wir die dankenswert klaren Worte des OVG Nordrhein-Westfalen bekommen haben, die auch für weitere und zukünftige Fälle wertvoll sind. Dies zeigen die weiteren Gerichtsentscheidungen:
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