Der BGH, Urteil vom 18. Oktober 2016 – XI ZR 145/14, hatte über die Klage des Käufers einer überteuerten Immobilie zu entscheiden, deren Kaufpreis die beklagte Bank finanziert hatte.
Hat die finanzierende Bank gegenüber dem Käufer eine Aufklärungspflicht?
Überhöhter Kaufpreis
Eine Bank trifft ausnahmsweise eine Aufklärungspflicht über die Unangemessenheit des von ihr finanzierten Kaufpreises, wenn eine so wesentliche Verschiebung der Relation zwischen Kaufpreis und Verkehrswert vorliegt, dass die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen muss.
Das ist anzunehmen, wenn der Verkaufspreis knapp doppelt so hoch ist wie der Verkehrswert der Immobilie, wobei die im Kaufpreis enthaltenen Nebenkosten nicht in den Vergleich einzubeziehen sind.
Grundsatz: Positive Kenntnis ist erforderlich
Die Bank muss aber nur präsentes Wissen von einer sittenwidrigen Überteuerung offenbaren. Das erfordert grundsätzlich positive Kenntnis der Bank von der sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises für das finanzierte Objekt.
Die Bank ist mithin nicht verpflichtet, sich durch eigene Nachforschungen hinsichtlich etwaiger Risiken des zu finanzierenden Vorhabens einen Wissensvorsprung zu verschaffen.
Da eine finanzierende Bank keine Nachforschungen zu einem von ihr finanzierten Vorhaben anstellen muss, ist sie auch nicht zur Ermittlung des exakten oder überschlägigen Ertragswerts einer Immobilie verpflichtet.
Kann bereits Erkennbarkeit eine Aufklärungspflicht begründen?
Ausnahmsweise steht die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen wie hier der sittenwidrigen Überteuerung eines Kaufpreises der positiven Kenntnis dann gleich, wenn sich diese einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste; er ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen.
Besteht eine Pflicht zur Kontrolle bankinterner Bewertungen?
Nach dem BGH betreffen Wertermittlungen, die Banken im eigenen Interesse vornehmen, den Beleihungswert, den die Bank klärt, um die Realisierung ihrer Ansprüche im Falle einer künftigen Zwangsvollstreckung abzuschätzen.
Eine Kontrolle dieser internen Bewertung anhand der prognostizierten Erträge des Darlehensnehmers aus der finanzierten Immobilie schuldet weder der Verkäufer noch die finanzierende Bank.
Zur Bestimmung der geeigneten Wertermittlungsmethode
Ganz grundlegend stellt der BGH zunächst für das Gerichtswesen fest, dass die Auswahl der geeigneten Wertermittlungsmethode zur Feststellung des tatsächlichen Wertes einer Immobilie, wenn das Gesetz nicht die Anwendung eines bestimmten Verfahrens anordnet, im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters steht. Die Methodenwahl ist unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und sonstiger Umstände des Einzelfalles zu treffen und zu begründen.
Sodann äußert er sich zur Geeignetheit der Vergleichswertmethode und zur Ungeeignetheit eines auf schlichter Vervielfältigung der Nettomiete mit einem frei gegriffenen Faktor beruhenden „vereinfachten Ertragswertverfahrens“:
Vergleichswertmethode
Lässt sich eine aussagekräftige Menge von Vergleichspreisen verlässlich ermitteln, wird die Vergleichswertmethode als die einfachste und zuverlässigste Methode angesehen; sie steht deshalb bei Wohnungseigentum im Vordergrund.
Vereinfachtes Ertragswertverfahren
Die Multiplikation der für die Immobilie vertraglich vereinbarten Miete mit einem frei gegriffenen Faktor ist nicht geeignet, eine Aussage zum Verkehrswert der Immobilie zu treffen.
Beispielhaft hat die Stiftung Warentest im Jahr 2016 abhängig von der jeweiligen Region, der konkreten Lage und der jeweiligen Ausstattung der Immobilie Multiplikatoren zwischen 7,5 und 37,9 ermittelt (Finanztest 7/2016). Das bestätigt ein Blick auf Mietspiegel und Verkaufsanzeigen zu Wohnimmobilien deutscher Großstädte.
Nach dem BGH zeigt das, dass einfache Überschlagsrechnungen, die die konkreten wertbestimmenden Faktoren einer Immobilie nicht nachvollziehbar berücksichtigen, nicht für die Ermittlung des Wertes einer Immobilie und folglich auch nicht für die Feststellung einer sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises für deren Erwerb geeignet sind. Folglich ist eine solche Bewertung auch nicht geeignet, eine Kenntnis der Bank von einem erheblich überteuerten Kaufpreis zu begründen.
Die Kenntnis einer Bank von einem groben Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert einer von ihr finanzierten Immobilie ergibt sich nicht aus ihrer Kenntnis von der für die Immobilie erzielten Jahresnettomiete im Wege eines auf schlichter Vervielfältigung der Nettomiete mit einem frei gegriffenen Faktor beruhenden „vereinfachten Ertragswertverfahrens“.
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