Der Klimawandel und der Kampf dagegen bringt mitunter neue Themen in die Nachbarverhältnisse (vgl. BGH zur Wärmedämmung im Nachbarrecht: Gesetzgeber darf Klimaschutz als Gemeinwohlbelang mit Verfassungsrang effektiv regeln). Das Oberlandesgericht Braunschweig (8 U 166/21) hat sich nun in einer Entscheidung vom 14.07.2022 mit einer Photovoltaikanlage beschäftigt: Ein Nachbar verklagte den anderen Nachbarn wegen Reflexionen durch Sonneneinstrahlung auf die Paneele einer Photovoltaikanlage, welche auf dem Hausdach des „störenden“ Nachbarn montiert waren.

Zunächst ist die Entscheidung relativ klar:

  • Das Eigentum des Nachbarn wird durch die Reflexionen beeinträchtigt.
  • Denn eine Eigentumsbeeinträchtigung meint jeden dem Inhalt des Eigentums widersprechenden Zustand bzw. jede von außen kommende Einwirkung auf die Sache.
  • Lichtreflexe beeinträchtigen die Nutzung des Eigentums.

Es handelt sich auch nicht um „Natureinwirkungen“, die keine Haftung des Zustandsstörers begründen können. Denn ursächlich für die Einwirkungen ist zwar auch das Sonnenlicht, aber nur im Zusammenhang mit den Reflexionswirkungen, die durch die Solaranlage und das streitgegenständliche Fenster auf dem Hausdach der Beklagten verursacht werden.
OLG Braunschweig – 8 U 166/21

Damit ist aber noch nichts entschieden. Denn nach § 906 Abs.1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkung insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.

  • Bei der Frage, wann Immissionen im Einzelfall die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten, sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Blendungen, die Intensität der Lichtreflexe und die konkreten Auswirkungen auf die Nutzung des Nachbargrundstücks.
  • Nach § 906 Abs. 1 S. 2 und S. 3 BGB liegt eine unwesentliche Beeinträchtigung in der Regel bei Einhaltung von Grenz- und Richtwerten vor, die in Gesetzen, Rechtsverordnungen und bestimmten Verwaltungsvorschriften festgelegt sind.

Und an dieser Stelle beginnen die Herausforderungen für das Gericht:

  • In Gesetzen oder Verordnungen festgelegte verbindliche Richtwerte, deren Überschreitung eine wesentliche Beeinträchtigung indizieren würde, bestehen für Reflexionen durch Sonneneinstrahlung nicht.
  • Das BImschG selbst enthält keine Regelungen zu derartigen Lichtimmissionen.
  • Auch sind nach § 48 BImschG keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften bezogen auf die Grenzwerte für die Zumutbarkeit von Lichtimmissionen erlassen worden.
  • Derartige Werte sind auch nicht in DIN EN 12665 „Licht und Beleuchtung – Grundlegende Begriffe und Kriterien für die Festlegung von Anforderungen an die Beleuchtung“ aufgeführt.
  • Auch der Sachverstände im Verfahren bestätigte, dass es Grenzwerte für Sonnenlichtreflexionen oder sonstige Tageslichtimmissionen nicht gibt.
  • Die „Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen“ der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI)“ haben weder normativen noch quasi-normativen Charakter und enthalten keine Grenz- oder Richtwerte im Sinne von § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB. Sie können nurl als Entscheidungshilfe herangezogen werden und können (nur) ein Anhalt bzw. eine Orientierung für unzumutbare Lichtimmission durch Reflexionen von Sonnenlicht sein.

Im Ergebnis hat das Gericht eine nicht wesentliche Beeinträchtigung festgestellt und die Klage auf „Verhinderung der von der Solaranlage ausgehenden unzumutbaren Sonnenblendwirkung“ abgewiesen.

Denn nach den schriftlichen und mündlichen gutachterlichen Angaben des Sachverständigen im Verfahren ist davon auszugehen, dass Sonneneinwirkungen durch Reflexionen in den Wohnräumlichkeiten der Klägerin lediglich über ca. 30 Tage im April/Mai und ca. 30 Tage im August/September an unter 20 Stunden pro Jahr zu Tageszeiten zwischen 16 und 18 Uhr möglich sind. In dieser Zeit können kurzzeitig einige Reflexionen auftreten. Rein rechnerisch ist die jeweilige Reflexion innerhalb von Minuten (ca. 10- 15 Minuten) beendet.
OLG Braunschweig – 8 U 166/21

Das Gericht bestätigt hierbei, dass für die Berechnung der Sonnenzeiten nicht die astronomisch maximal möglichen Immissionszeiträume zugrunde gelegt werden müssen, auch wenn das in der LAI empfohlen wird. Denn nach § 906 Abs.1 S.1 BGB kommt es darauf an, wie sich die tatsächliche Beeinträchtigung des Grundstücks im Rahmen der konkreten örtlichen Gegebenheiten darstellt. Das aber erfordert, die wetterbedingte Bewölkung mit einzubeziehen.

„Die rein astronomisch mögliche Blendung spiegelt nicht die konkreten Verhältnisse wieder und ist ein rein theoretischer Wert, der mit der tatsächlich vorhandenen Beeinträchtigung nicht übereinstimmt.“
OLG Braunschweig – 8 U 166/21

Die konkreten Verhältnisse vor Ort sind auch der Grund, weshalb es nach dem Gericht im Ergebnis nicht darauf ankam, ob die von dem Sachverständigen vorgenommenen Messungen rechnerisch Werte erreicht haben, die nach der LAI bzw. den von der Strahlenschutzkommission angesetzten Grenzwerten als Absolutblendungen bezeichnet werden. Tatsächlich hatte eine Absolutblendung in dem Prüfungszeitraum nicht vorgelegen. Zudem war bei den Werten zu berücksichtigen, dass die in Bezug genommenen Grenzwerte von Kunstlicht mit guter wissenschaftlichen Grundlagen ausgingen. Diese betreffen nach desn sachverständigen Feststellungen aber nicht speziell Sonnenreflexionen, für die auch keine augenmedizinischen Untersuchungen vorliegen. Wegen der Lichtstreuung und sich daraus ergebender Beiwerte war davon auszugehen, dass weniger als 1 % des Lichts reflektiert würden.

HINWEIS:
In einem Fall, in welchem die Eigentümer eines Wohnhauses von dem Betreiber einer Windenergieanalage gestützt auf die Behauptung, ihr Grundstück werde durch den Betrieb der Windenergieanlage im Wert gemindert, und sie litten unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die auf den Betrieb zurückzuführen seien, das Unterlassen des Betriebs forderten, hatte der BGH, Beschluss vom 07. Mai 2020 – V ZR 187/19 auf die höchstrichterlich noch ungeklärte Frage hingewiesen, ob nachbarrechtliche Ansprüche wegen Gesundheitsbeeinträchtigungen nach § 14 Satz 1 Halbsatz 1 BImSchG ausgeschlossen sind, wonach auf Grund privatrechtlicher Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück nicht die Einstellung des Betriebs einer Anlage verlangt werden kann, deren Genehmigung unanfechtbar ist. Die Kläger hatten – Überraschung, Überraschung – ihre Behauptungen nicht aufrechterhalten, so dass die Frage auch im weiteren Verlauf unentschieden blieb.


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