Bundesgerichtshof zum Nachbarrecht
Wasserstress / Wasserversorgung
In einer weiteren Entscheidung hatte sich der BGH mit einem Fall zu befassen, in dem ein Grundstücksnachbar sich weigerte, den anderen Grundstücksnachbar durch eine vorhandene Leitung mit Wasser zu versorgen.
Notleitungsrecht
Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege, so kann der Eigentümer von den Nachbarn nach §§ 917, 918 BGB verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden. Unmittelbar regeln die Vorschriften der §§ 917, 918 BGB nur das Notwegrecht, sie können aber analog auf ein Notleitungsrecht Anwendung finden, soweit nicht im jeweiligen Landesnachbarrecht ein Notleitungsrecht geregelt ist.
Entsprechend § 917 BGB kann sich daher zwar ein Recht ergeben, Versorgungsleitungen über ein anderes, fremdes Grundstück zu führen, um diese mit den öffentlichen Versorgungsnetzen zu verbinden, soweit entsprechende landesrechtliche Regelungen fehlen. Allerdings greift das Notleitungsrecht nicht, wenn das Grundstück des Nachbarn, der ein Notleitungsrecht geltend macht, an einer öffentlichen Straße liegt, so dass eine Verbindung zu dem öffentlichen Leitungsnetz möglich ist.
Dass das Gebrauchmachen von dieser Verbindungsmöglichkeit für den Grundstücksinhaber umständlicher, weniger bequem oder kostspieliger ist als die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks, rechtfertigt für sich allein noch nicht das Verlangen nach einer Notleitung. Solche Erschwernisse müssen vielmehr regelmäßig hingenommen werden. Nur wenn sie sich ausnahmsweise als derartig groß erweisen, dass durch sie die Wirtschaftlichkeit der Grundstücksbenutzung aufgehoben oder doch in unzumutbarer Weise geschmälert würde, ist der Nachbar verpflichtet, den Weg über sein eigenes Gelände freizumachen.
Bundesgerichtshof
Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis
In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es mithin zentral um die Frage, ob sich eine Pflicht des Grundstückseigentümers, das Grundstück des Nachbarn mit Wasser zu versorgen, aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergeben kann.
- Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren.
- Auch auf sie ist zwar der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden; daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammengefasst wird.
- In der Regel begründet der Gedanke von Treu und Glauben aber im Rahmen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses keine selbständigen Ansprüche, sondern wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus.
- Sie kann den Grundstückseigentümer im Einzelfall allerdings auch zu positivem Handeln verpflichten.
Eine aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis folgende selbstständige Verpflichtung ist mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen jedoch eine eng begrenzte Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten erscheint.
Bundesgerichtshof
Der BGH hatte im Jahr 2003 schon einmal aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis eine Duldungspflicht für eine nicht dinglich abgesicherte Abwasserleitung begründet.
Ein nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis kann auch durch spätere Parzellierung eines bebauten Gesamtgrundstücks entstehen, durch die vorhandene Gebäude rechtlich von ihrer bisherigen Abwasserentsorgung abgeschnitten werden.
Bundesgerichtshof – Abwasserleitung (2003)
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis kann in einem solchen Fall auch dann zur weiteren Duldung der Abwasserdurchleitung verpflichten, wenn das begünstigte Grundstück nicht an das belastete angrenzt.
Der BGH grenzt diesen „Abwasser“-Fall von dem vorliegenden „Frischwasser“-Fall ab: Während es beim Abwasserfall um die Duldung einer Abwasserleitung und deren Nutzung ging, ging es im vorliegenden Fall um die Verpflichtung eines Grundstückseigentümers, Wasser entgeltlich zu beziehen und die Lieferung gegenüber dem Nachbarn abzurechnen.
Der BGH sieht den vorliegenden Fall eher vergleichbar mit einem anderen Urteil, ebenfalls aus dem Jahr 2003. In diesem wurde eine aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abzuleitende Verpflichtung des Eigentümers einer Doppelhaushälfte verneint, die andere (ohne eigene Heizung erbaute) Doppelhaushälfte dauerhaft mit Heizwärme zu versorgen.
Der Grundstückseigentümer ist nach den Grundsätzen über das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis auch zu einem positiven Tun – hier: Mitbeheizen der benachbarten Doppelhaushälfte – nur verpflichtet, wenn dies für einen billigen Interessenausgleich zwingend geboten ist.
Bundesgerichtshof – Heizwärme (2003)
Im vorliegenden Frischwassser-Fall hat der BGH entschieden, dass eine Verpflichtung des Eigentümers, den Nachbarn weiterhin mit Wasser zu versorgen, nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleitet werden kann. Denn eine aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ausnahmsweise abzuleitende selbständige Verpflichtung kommt nicht schon in Betracht, wenn das Interesse einer der Nachbarn hieran (ggf. deutlich) überwiegt; erforderlich ist vielmehr, dass die in Rede stehende Verpflichtung zum Ausgleich der im konkreten Fall widerstreitenden Interessen zwingend geboten ist. Das war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Ausschlaggebend waren zwei Aspekte:
- Die Pflicht eines Grundstückseigentümers zur Versorgung des Nachbargrundstücks mit Medien, die zu dessen ordnungsgemäßen Bewirtschaftung erforderlich sind, besteht im Allgemeinen nur, wenn derartige Rechte dinglich abgesichert sind. Fehlt es daran, fällt es daher grundsätzlich in den Risikobereich des Eigentümers des Nachbargrundstücks, die Anbindung an das öffentliche Leitungsnetz herzustellen.
- Abweichend vom Abwasser-Fall des BGH hatten die Nachbarn im vorliegenden Fall ihre Grundstücke in Kenntnis des Umstandes erworben, dass die Wasserversorgung über das Fremdgrundstück erfolgt. Für die Nachbarn hat sich damit ein Risiko verwirklicht, das bei dem Erwerb der Grundstücke erkennbar war. Auch dies lässt das Entstehen eines schutzwürdigen Vertrauenstatbestandes entfallen.
Eine aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis folgende selbstständige Verpflichtung (hier: Versorgung des Nachbargrundstücks mit Wasser) ist mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine eng begrenzte Ausnahme und kann nur dann angenommen werden, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten erscheint.
Bundesgerichtshof
Rechtsgemeinschaft
Abschließend unternimmt der BGH einen Ausflug in das Recht der Rechtsgemeinschaft. Warum? Nach § 743 Abs. 2 BGB ist jeder Teilhaber einer Rechtsgemeinschaft zum Gebrauch des gemeinschaftlichen Gegenstands insoweit befugt, als nicht der Mitgebrauch der übrigen Teilhaber beeinträchtigt wird. Der BGH lehnt es entgegen der Vorinstanz jedoch ab, einen Anspruch des Nachbarn auf Wasserversorgung aus dem Recht der Rechtsgemeinschaft herzuleiten. Denn es fehlt nach dem BGH bereits an einer Bruchteilsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB. Ausgangspunkt für die Annahme einer Gemeinschaft ist ein Recht, das den Beteiligten gemeinschaftlich zusteht. Daran fehlte es im vorliegenden Fall.
Der BGH widerspricht damit dem Berufungsgericht, das in ständiger Rechtsprechung annimmt, dass zwischen Eigentümern von Grundstücken eine Rechtsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB besteht, wenn sie über ein einheitliches, die gemeinsamen Grundstücksgrenzen überschreitendes Leitungssystem verfügen.
Diese Aussage ist in dieser Allgemeinheit aber nicht haltbar. Das Vorhandensein von Leitungen, die Grundstücksgrenzen überschreiten und der Versorgung verschiedener Grundstücke dienen, begründet für sich genommen keine zwischen den Grundstückseigentümern bestehende Rechtsgemeinschaft.
Bundesgerichtshof
Ein gemeinschaftliches Recht besteht zwischen den Nachbarn insbesondere bezüglich der folgenden Anknüpfungspunkte nicht:
Mitbesitz als Gegenstand der Gemeinschaft?
Zunächst ist es zweifelhaft, ob Besitz als Recht im Sinne des § 741 BGB in Betracht kommt. Zudem ist regelmäßig nicht festgestellt bzw. feststellbar, dass Mitbesitz an den Wasserleitungen begründet worden ist.
Miteigentum als Gegenstand der Gemeinschaft?
Ebenso wenig wird Miteigentum der Parteien an den Wasserleitungen schon durch eine gemeinschaftliche Nutzung begründet.
Nicht jeder, der durch eine Leitung versorgt wird, ist deshalb (Mit-) Eigentümer dieser Leitung. (…) Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, führte der Anschluss des Doppelhauses an die Leitungen des bereits errichteten Hauses nicht dazu, dass dessen (vorhandene) Leitungen nunmehr auch wesentliche Bestandteile des Doppelhauses sind. Die sachenrechtliche Zuordnung einer Leitung ändert sich nicht dadurch, dass ihr später eine neue Anschlussstelle hinzugefügt und sie über diese zur Versorgung weiterer Gebäude oder Grundstücke genutzt wird.
Bundesgerichtshof
Schließlich stellt der BGH klar, dass Wasserleitungen entweder das Zubehör oder aber wesentlicher Bestandteil des Hauses sind, dessen Versorgung sie dienen, und zwar auch dann, wenn die Leitungen außerhalb des Gebäudes bzw. in fremdem Grund verlegt sind.
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