Der BGH hat schon vor einiger Zeit zum Architekten- und Ingenieurvertrag entschieden, dass die privatautonome Vereinbarung der Parteien entscheidend dafür ist, welche Hauptleistungen ein Planer erbringen muss. Der Planervertrag des BGB verweist lediglich auf die Planungs- und Überwachungsziele, die die Parteien selbst vereinbaren.

Die Praxis behilft sich noch immer in der Regel mit den Leistungsbildern der HOAI und ihren Leistungsphasen 1 bis 9. Immerhin hält der Gesetzgeber „Leistungsphase 0: Zielfindung“ bereit: Soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, hat der Architekt/Ingenieur nach § 650p Abs. 2 BGB zunächst eine Planungsgrundlage zur  Ermittlung dieser Ziele zu erstellen. Er legt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung für das Vorhaben zur Zustimmung vor.

In dieser Ausgangslage hat die „Phase Nachhaltigkeit“ ihren Auftritt, eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und der Bundesarchitektenkammer mit der Zielsetzung einer Transformation der aktuellen Planungs- und Baukultur hin zum nachhaltigen Bauen als neues Normal. Im Rahmen dieser Inititaitive verpflichten sich Architekturbüros dazu, bei ihren Projekten gemeinsam mit dem Bauherrn über die Deklaration Nachhaltigkeit die gemeinsamen projektindividuellen Zielsetzungen zu definieren.

Essentieller Bestandteil hierfür ist eine ganzheitliche Planung, in der zu einem frühen Zeitpunkt die angestrebten Zielsetzungen diskutiert und fixiert werden. Gerade dieses gemeinsame Verständnis ist für die Umsetzung von nachhaltigen Projekten die Grundvoraussetzung.

Deklaration Nachhaltigkeit Architektur, DGNB/BAK

Siehe auch:
Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2021: Nachhaltiges Bauen wird zum zentralen Transformationsbereich

Auszüge Vortrag, Dr. Elmar Bickert, Nachhaltiges Bauen, BBA Baurechtstag 2022

Considering climate change impacts and risks (e.g., through climate services) in the design and planning of urban and rural settlements and infrastructure is critical for resilience and enhancing human well-being. Effective mitigation can be advanced at each of the design, construction, retrofit, use and disposal stages for buildings. Mitigation interventions for buildings include: at the construction phase, low-emission construction materials, highly efficient building envelope and the integration of renewable energy solutions; at the use phase, highly efficient appliances/equipment, the optimisation of the use of buildings and their supply with low-emission energy sources; and at the disposal phase, recycling and re-using construction materials. Sufficiency measures can limit the demand for energy and materials over the lifecycle of buildings and appliances.


IPCC AR6 Synthesis Report Climate Change 2023, IPCC AR6 SYR

Die Deklaration Nachhaltigkeit der Initiative Phase Nachhaltigkeit soll bei der projektindividuellen Ziel- und Schwerpunktdefinition unterstützen, ohne aber einen Vertrag zu ersetzen. Architekten und Ingenieure sollen in ihren Bauherrengesprächen die wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen forcieren, wobei die Deklaration Nachhaltigkeit mit sechs Themenfeldern zugleich die Komplexität der Aufgabe aufzeigt:

  • Suffizienz
  • Klimaschutz
  • Circular Economy
  • Umwelt
  • Positive Räume
  • Baukultur

Sustainability is complex, and it is time to get away from a call for simple solutions and to integrate the value of complexity.” Das hatte schon die UNEP FI Property Working Group in ihren Sustainability Metrics festgestellt. Und die Anforderungen aus SFDR/Taxonomie geben den normativen Rahmen weitergehend vor. Wie aber lässt sich das nun für das einzelne Projekt und seine Verträge runterbrechen und handhabbar machen? Der BGH hat es zum Planungs- und Überwachungsvertrag schon skizziert:

  1. Die Vertragsparteien können im Zeitpunkt des Vertragsschlusses umfassend Planungs- und Überwachungsziele bestimmen und Planungs- und Leistungsschritte detailliert beschreiben.
  2. Die Vertragsparteien können aber auch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Planungs- und Überwachungsziele nur im Ansatz vereinbaren und die weitergehend notwendige Konkretisierung der zukünftigen Planung überlassen.

Die Phase Nachhaltigkeit deutet in Richtung der zweiten Option, zu komplex ist typischerweise die Aufgabenstellung, um sie schon bei Vertragsschluss detailliert beschreiben zu können. Der BGH hat deutlich gemacht, dass es nicht erforderlich ist, schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung umfassend und detailliert zu beschreiben. Und er hat deutlich gemacht, dass auch in der zweiten Option am Ende der Auftraggeber entscheidet und die Leistung bestimmt.

Zwar wird im Bauvertragsrecht gerne behauptet, Vertragslücken oder Unbestimmbarkeiten im Planungs-, Überwachungs- oder Bausoll könnten nicht durch ein Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers geschlossen werden. Das aber ist immer schon unzutreffend gewesen (siehe auch schon: Der Bauvertrag als symbiotischer Interessenwahrungsvertrag).

Schon § 315 BGB zeigt, dass die Parteien sich nicht über alle Punkte einigen müssen, sondern Vertragsbestandteile unter Abmilderung der Bestimmtheitsanforderungen auch einseitig durch eine Partei bestimmt werden können. Zur Ausfüllung einer Vertragslücke, welche sich unbewusst oder durch einen bewussten Verzicht der Parteien auf eine ins Einzelne gehende Regelung ergeben kann und welche von Anfang an bestehen oder sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben kann, kann das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers nach § 315 BGB mit dessen Maßstab des billigen Ermessens herangezogen werden. Das gilt für den Planervertrag mit seinem Entwicklungscharakter und dynamischen Leistungsverhältnis im besonderen Maße.

Der BGH hat dies in einer aktuellen Entscheidung zum Ingenieur- und Architektenvertrag bestätigt und anhand des § 650p Abs. 2 BGB konkretisiert.

  • Eine fehlende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Vertragsinhalts im Zeitpunkt des Vertragsschlusses führt dann nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags, wenn die Vertragsparteien eine (stillschweigende) Vereinbarung getroffen haben, nach der dem Besteller ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich des Inhalts der Leistungspflichten des Unternehmers zusteht (§§ 315, 316 BGB).
  • Diese Regelungen ermöglichen es den Vertragsparteien, die Konkretisierung der geschuldeten Leistung vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu lösen.
  • Eine Unwirksamkeit kann sich insbesondere auch nicht daraus ergeben, dass es bei Vertragsschluss an der Vereinbarung wesentlicher Planungsziele im Sinne von § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB fehlt.
  • Mit §§ 650p ff. BGB ist nun auch kraft Gesetzes grundsätzlich davon auszugehen, dass dem Besteller eines Architekten- oder Ingenieurvertrags ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der noch nicht vereinbarten Planungs- (und gegebenenfalls Überwachungs-)Ziele zusteht, es sei denn, es ist etwas anderes vereinbart.

Der neu eingeführte § 650p Abs. 2 BGB dient dem Zweck, dieses Leistungsbestimmungsrecht frühzeitig ausüben und damit Klarheit über den wesentlichen Planungsinhalt schaffen zu können. Zugleich klärt das Gesetz die Rechtsfolgen für den Fall, dass der Besteller eine solche Leistungsbestimmung nicht mehr vornehmen möchte oder nicht zeitnah vornimmt, indem es die Möglichkeiten der Vertragsbeendigung nach § 650r BGB vorsieht.

BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 862/21

Dies gilt ganz allgemein, kann aber bei Projekten mit Nachhaltigkeitszielen besondere Bedeutung erlangen. Die Deklaration Nachhaltigkeit hilft bei der zentralen Grundvoraussetzung für die Umsetzung nachhaltiger Projekte: Die Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses vom Nachhaltigkeitsansatz und seiner projektspezifischen Anwendung. Insoweit kann sie auch in den jeweiligen Vertrag einfließen. Das gemeinsame Verständnis heißt aber nicht zwingend gemeinsame Entscheidung über die Leistungsziele. Auch hier steht am Ende vorbehaltlich abweichender Vereinbarung im Vertrag dem Auftraggeber das Leistungsbestimmungsrecht zu.

Siehe auch:
Das Anordnungsrecht des Auftraggebers: BGH räumt mit altem Bauvertragsmythos auf und bejaht Sicherungsanspruch für Mehrvergütung

Nicht nur die Anforderungen aus SFDR/Taxonomie vertiefen die normativen Anforderungen für Nachhaltigkeitsprojekte. Auch die Förderung verlangt nach einer zwingenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsthemen, siehe nur:

HINWEIS:
Architekten und Ingenieure wiederum müssen bedenken, dass sie auch wirtschaftlich-finanzielle Gesichtspunkte ihres Auftraggebers beachten müssen, wozu auch Gesichtspunkte der Förderung gehören können. Eine Haftung der Planer kann sich dabei auch ohne vertragliche Grundlage aus einer faktischen Übernahme von Architekten-/Ingenieursaufgaben ergeben. So gesehen erfahren nicht nur die Nachhaltigkeitsaspekte selbst, sondern auch der Umgang mit ihnen im Projekt eine nicht zu unterschätzende rechtliche Bedeutung.


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